BFH Beschluss v. - VII B 336/04

Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 2 K 382/00

Gründe

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) waren Geschäftsführer einer in Konkurs geratenen GmbH. Aufgrund rückständiger Umsatzsteuerschulden der GmbH wurden sie vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) gemäß § 34 i.V.m. § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Bei der Ermittlung der Haftungsquote legte das FA die vom Konkursverwalter übersandten Bilanzunterlagen und die vom vormaligen Prozessvertreter der Kläger anhand dieser Unterlagen erstellte Bilanz zugrunde und ermittelte eine Tilgungsquote von 80 %. Zu Gunsten der Kläger ging das FA bei der Berechnung der Haftungssumme von einer Tilgungsquote von 70 % aus. Das Einspruchsverfahren führte zu einer teilweisen Rücknahme der Haftungsbescheide. Die daraufhin erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Es urteilte, das FA habe die Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen und anhand der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen die Tilgungsquote in ausreichendem Maße ermittelt. Demgegenüber hätten es die Kläger unterlassen, geeignete Unterlagen beizubringen, die eine für sie günstigere Berechnung der Haftungssumme ermöglicht hätten, obwohl der Konkursverwalter die Unterlagen der GmbH bereits mehrere Jahre zuvor freigegeben habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass das FA ausgehend von der ermittelten Tilgungsquote zu Gunsten der Kläger einen Abschlag von 10 % vorgenommen habe.

Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG. Im Streitfall stelle sich die Frage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—), ob das FG seine Pflicht zur Sachaufklärung erfüllt habe, wenn es die Sachaufklärungsergebnisse des FA übernehme, obwohl es Kenntnis davon habe, dass über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet worden sei und der Konkursverwalter nicht an der Sachaufklärung in der gebotenen Weise mitwirke (Abgabe von Steuererklärungen) und der durch Haftungsbescheid in Anspruch Genommene seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt habe. Diese Rechtsfrage sei klärungsbedürftig, weil es bereits an entsprechender Rechtsprechung und Literatur fehle. Die unzureichende Mitwirkung des Konkursverwalters an der Sachverhaltsaufklärung könne nicht zu Lasten der Kläger gehen, die diese Pflicht ihrerseits gehörig erfüllt hätten.

Das erstinstanzliche Urteil weiche von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, nach der die Feststellungslast für die dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Tatsachen beim FA liege. Die Mitwirkungspflicht des Haftungsschuldners reiche nicht soweit, dass er sich nach Beendigung des Konkursverfahrens die Unterlagen vom Konkursverwalter beschaffen müsste.

Darüber hinaus weise das Urteil des FG mehrere Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) auf. Das Gericht habe in der Urteilsbegründung keine Ermächtigungsgrundlage für die Haftungsbescheide angegeben und dadurch gegen das in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) festgelegte Rechtsstaatsprinzip sowie gegen den Vorbehalt des Gesetzes (Art. 19 Abs. 1 GG) verstoßen. Auch folge das Urteil keinem klaren Aufbau. Schließlich habe das FG die ihm obliegende Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt. Ohne die zur Überprüfung erforderlichen Unterlagen beizuziehen, habe es den vom FA ermittelten Sachverhalt ungeprüft übernommen. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei darin zu sehen, dass das FG dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Vertagung nicht gefolgt sei. Dieser Antrag sei damit begründet worden, dass trotz entsprechender Bemühungen die Unterlagen des Konkursverwalters nicht hätten eingesehen werden können. Über diesen Antrag habe das FG nicht entschieden und statt dessen am Schluss der Sitzung das Urteil verkündet. Durch diese Vorgehensweise habe sich das FG die Möglichkeit genommen, einen richterlichen Hinweis zu geben. Ein besonderer Grund für die eilige Verkündung des Urteils habe nicht vorgelegen.

Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 FGO) ist unzulässig und daher zu verwerfen; denn in der Beschwerdebegründung ist keiner der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO so dargelegt, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt.

1. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Kläger nicht. Insbesondere legen die Kläger nicht dar, dass der von ihnen aufgeworfenen Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Die bloße Behauptung, dass die Rechtsfrage von unterschiedlichen FG und einer Vielzahl von Finanzbehörden in unterschiedlicher Weise beantwortet wird, reicht hierzu nicht aus. Auch geht die Annahme der Kläger fehl, dass der Rechtsfrage bereits deshalb eine grundsätzliche Bedeutung beizumessen sei, weil entsprechendes Schrifttum noch nicht existiere. Unabhängig davon, dass diese Behauptung hinsichtlich des Umfanges der dem FG nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht nicht zutrifft, ist der beschließende Senat der Auffassung, dass eine Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen nicht erkennbar ist. Denn die von den Klägern formulierte Frage bezieht sich auf eine besondere Sachverhaltskonstellation im Konkurs einer GmbH, bei der eine Verletzung der dem Konkursverwalter nach Ansicht der Kläger obliegenden Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht unterstellt wird. Darüber hinaus würde sich die Frage in der von den Klägern abgefassten Form in dem angestrebten Revisionsverfahren überhaupt nicht stellen, da das FG eine unterlassene Mitwirkung des Konkursverwalters an der Sachaufklärung nicht festgestellt, sondern auf die Übermittlung der Bilanzunterlagen an das FA und auf eine Freigabe im Sommer 2000 hingewiesen hat.

2. Ebenfalls nicht schlüssig dargelegt ist die behauptete Divergenz. Rügt der Beschwerdeführer eine Abweichung von Entscheidungen des BFH, so muss er nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH auch nach neuem Revisionszulassungsrecht tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den mit Datum und Aktenzeichen bzw. unter genauer Angabe der Fundstelle anzuführenden Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom X B 52/03, BFH/NV 2004, 80, und vom XI B 67/00, BFH/NV 2002, 1479; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 41, m.w.N.).

Bereits die Bezeichnung der Divergenzentscheidung unter Hinweis auf den Inhalt der Gerichtsakten und Angabe einer unverständlichen Fundstelle (BFHE (NV) 134/92) ohne Nennung des vollständigen Aktenzeichens genügt diesen Anforderungen nicht. Darüber hinaus hat das FG den von den Klägern behaupteten Rechtssatz, dass sich der Haftungsschuldner nach Beendigung des Konkursverfahrens die Unterlagen selbst von der Gemeinschuldnerin beschaffen müsse, nicht aufgestellt. Vielmehr ist das FG von einer Freigabe der Unterlagen durch den Konkursverwalter ausgegangen. Dies kann dahin gehend verstanden werden, dass der Konkursverwalter die Buchführungsunterlagen der GmbH zurückgereicht hat. In diese Richtung weist auch der Einwand der Kläger, dass keine Freigabe, sondern eine Verwahrung bzw. Archivierung durch den Konkursverwalter erfolgt sei. Im Übrigen haben die Kläger nicht dargelegt, dass das FG ohne die vermeintliche Abweichung von der Rechtsprechung des BFH zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Dies wäre aber erforderlich gewesen, zumal das FG seine Entscheidung insbesondere darauf gestützt hat, dass die anhand eines Jahresabschlusses und anderer Buchführungsunterlagen durchgeführten Ermittlungen des FA zur Bestimmung der Tilgungsquote ausreichend gewesen sind. Darin unterscheidet sich der Streitfall von den vom Senat entschiedenen Fällen, bei denen das FA aufgrund einer Verletzung der dem Haftungsschuldner obliegenden Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme den vollen Betrag der rückständigen Steuern zugrunde gelegt oder die Haftungssumme im Wege der Schätzung bestimmt hat (, BFH/NV 2004, 1498, und vom VII R 99/87, BFH/NV 1990, 351).

3. Soweit sich die Kläger auf die Verletzung der dem FG obliegenden Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 76 FGO) berufen, ist das Vorliegen eines solchen Verfahrensfehlers nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Wird geltend gemacht, das FG hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Antrag des im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesenden Prozessvertreters der Kläger von Amts wegen umfassender aufklären müssen, ist u.a. darzulegen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei der weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern das Ergebnis der weiteren Aufklärung des Sachverhaltes auf der Grundlage des materiellen Rechtsstandpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Senatsbeschluss vom VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493, 494, m.w.N.). Entgegen diesen Anforderungen erschöpft sich der Vortrag der Kläger in der bloßen Behauptung, dass es nicht auszuschließen sei, dass das FG bei eigener Auswertung der Buchführungsunterlagen der GmbH zu einem für die Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Annahme werden nicht vorgebracht. Gänzlich unberücksichtigt lassen die Kläger den Umstand, dass das FA von der ermittelten Tilgungsquote zu Gunsten der Kläger bereits einen Abschlag von ca. 10 % vorgenommen hat. Ihrem Vorbringen lässt sich des Weiteren nicht entnehmen, aus welchen Gründen eine Auswertung der Bilanzunterlagen durch das FG ein gegenüber dem Ermittlungsergebnis des FA genaueres bzw. zutreffenderes Resultat gebracht hätte. Konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fehlerhaftigkeit der vom FA der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme zugrunde gelegten Tilgungsquote legen sie nicht dar.

4. Auch eine schlüssige Darlegung der Verletzung des Anspruchs auf Gehörsgewährung ist der Beschwerde nicht zu entnehmen. Allerdings ist den Klägern zuzugeben, dass das Gericht über den Antrag auf Vertagung nicht in der gebotenen Form entschieden hat. Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat das Gericht über den Antrag zu entscheiden und seine Entscheidung kurz zu begründen. Der Begründungszwang soll einer Terminsänderung ohne hinreichenden Grund entgegenwirken und das Gericht zur Rechenschaft veranlassen (Feiber, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, § 227 Rz. 20). Da der Beschluss nach § 128 Abs. 2 FGO unanfechtbar ist, kann die Begründung jedoch nicht dazu dienen, der Rechtsmittelinstanz eine Überprüfung der Entscheidung zu ermöglichen (vgl. § 124 Abs. 2 FGO). Dennoch ist eine Nichtbescheidung bzw. Nichtbeantwortung des Antrages trotz bestehender Möglichkeit zu einer solchen als rechtswidrig anzusehen (Beschluss des Oberlandgerichts Karlsruhe vom 15 W 22/91, Monatsschrift für Deutsches Recht 1991, 1195). Dieser Umstand kann jedoch nur dann einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründen, wenn darin zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt und die Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruht. Eine schlüssige Gehörsrüge erfordert, dass der Kläger substantiiert darlegt, wozu er sich nicht hat äußern können und was er bei Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte.

Ausweislich des Sitzungsprotokolls sind die Kläger im Streitfall ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden und haben ausreichend Gelegenheit erhalten, sich in der mündlichen Verhandlung zu äußern. Ihren Vertagungsantrag haben sie insbesondere darauf gestützt, dass sie im Rahmen der Überprüfung der Haftungsquote noch keine Gelegenheit zur Einsichtnahme in die beim Konkursverwalter befindlichen Unterlagen gehabt hätten. Dieser sei zu weiteren Auskünften nicht bereit und könne sich nicht mehr erinnern, bei welchem Unternehmen die Akten eingelagert worden seien. Zur Begründung ihrer Beschwerde berufen sich die Kläger darauf, dass sich das FG durch die Nichtbescheidung des Antrages auf Vertagung und durch die Urteilsverkündung am selben Tage der Möglichkeit zur Erteilung eines richterlichen Hinweises begeben hätte und dass eine unter Beachtung von § 227 Abs. 4 ZPO ergangene Entscheidung für sie günstiger ausgefallen wäre.

Diesem Vorbringen ist eine schlüssige Gehörsrüge jedoch nicht zu entnehmen. Insbesondere tragen die Kläger nicht vor, zu welchen Umständen sie sich in der mündlichen Verhandlung nicht hätten äußern können, was sie im Falle einer Vertagung zur Erlangung der nach ihrem eigenen Vortrag unerreichbaren Beweismittel unternommen und inwiefern sie ihren Vortrag nach Einsichtnahme der Unterlagen in entscheidungserheblicher Weise ergänzt hätten. Auch wird nicht dargelegt, welchen Hinweis das FG aus seiner materiell-rechtlichen Sicht hätte geben sollen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 70 Nr. 1
CAAAB-69761