BFH Beschluss v. - I B 19/05

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Geschäftsanteile an der am gegründeten Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) steuerlich von Anfang an der Beigeladenen zuzurechnen sind und ob deshalb für das Streitjahr (1993) eine Organschaft zwischen der Klägerin und der Beigeladenen anzuerkennen ist. Die Klägerin macht in diesem Zusammenhang geltend, schon vor ihrer Gründung sei vereinbart worden, dass ihre Gründungsgesellschafterin als Treuhänderin der Beigeladenen tätig werde. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat ein solches Treuhandverhältnis nicht anerkannt und auf dieser Basis Steuerbescheide erlassen, in denen das Einkommen der Klägerin dieser selbst zugerechnet wurde.

In dem deshalb eingeleiteten Klageverfahren führte das Finanzgericht (FG) eine mündliche Verhandlung durch, an der drei hauptamtliche Richter und die ehrenamtlichen Richter A und B mitwirkten. Nachdem das FG die Verhandlung für geschlossen erklärt hatte, fasste es noch am selben Tag den Beschluss, dass die mündliche Verhandlung wiedereröffnet werde. Im weiteren Verlauf fragte es bei den Beteiligten an, ob diese mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden seien, was jeweils bejaht wurde. Daraufhin wies das die Klage ohne mündliche Verhandlung ab, ohne die Revision zuzulassen. An dieser Entscheidung wirkten neben den drei schon ursprünglich tätigen Berufsrichtern der ehrenamtliche Richter B und die ehrenamtliche Richterin C mit.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO). Dieses hat nicht in der gesetzlich vorgesehenen Besetzung entschieden, wodurch das Recht der Klägerin auf den gesetzlichen Richter verletzt worden ist.

1. Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Daraus folgt u.a., dass eine gerichtliche Entscheidung nur von denjenigen Richtern getroffen werden darf, die in einer vorab erstellten allgemeinen Norm zur Mitwirkung an der Entscheidung vorgesehen sind. Ein Verstoß gegen diese Vorgabe führt zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts i.S. des § 119 Nr. 1 FGO, die als Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügt werden kann.

2. Welche Berufsrichter und ehrenamtlichen Richter an einer vom FG zu treffenden Entscheidung mitwirken, richtet sich nach den Geschäftsverteilungsplänen des FG (§ 21e Abs. 1 des GerichtsverfassungsgesetzesGVG—) und des jeweiligen Senats (§ 21g Abs. 1 GVG). Sehen diese die Mitwirkung der einzelnen Richter an bestimmten Sitzungstagen oder in einer bestimmten Reihenfolge vor, so ist das betreffende Kriterium grundsätzlich unabhängig davon maßgeblich, ob in einem früheren Stadium des Verfahrens bereits Entscheidungen getroffen wurden und welche Richter an ihnen mitgewirkt haben. Das gilt namentlich dann, wenn auf Grund einer mündlichen Verhandlung die Sache vertagt wird oder eine anderweitige Zwischenentscheidung (z.B. ein Beweis- oder Beiladungsbeschluss) ergeht. In einem solchen Fall endet die Zuständigkeit derjenigen Richter, die zur Mitwirkung an der mündlichen Verhandlung berufen sind, mit dieser Entscheidung; welche Richter an nachfolgenden Entscheidungen in demselben Verfahren mitwirken, richtet sich allein nach denjenigen Regeln, die gleichermaßen ohne voraufgegangene mündliche Verhandlung gelten (, BFH/NV 1998, 67, m.w.N.).

Anders ist es jedoch bei der Wiedereröffnung einer mündlichen Verhandlung, die dazu führt, dass die bereits durchgeführte Verhandlung —zumindest u.a.— Grundlage der später zu treffenden Entscheidung bleibt. Hier muss auch dann, wenn das FG später im Einverständnis mit den Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheidet (§ 90 Abs. 2 FGO), die Entscheidung von den an der mündlichen Verhandlung beteiligten Richtern getroffen werden (, BFH/NV 1994, 495). Diese Situation liegt im Streitfall vor.

Denn der besagt ausdrücklich, dass die am selben Tag durchgeführte und (zunächst) geschlossene mündliche Verhandlung „wiedereröffnet” werde. Dieser eindeutige Wortlaut lässt für eine Deutung dahin, dass in Wahrheit eine Vertagung gemeint sei, keinen Raum. Angesichts dessen hätte das FG unter Mitwirkung der an der mündlichen Verhandlung beteiligten Richter —und damit u.a. des ehrenamtlichen Richters A— die Entscheidung treffen müssen. Ein Wechsel der Besetzung wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn A gehindert gewesen wäre, an der erneuten Beratung und Entscheidung mitzuwirken; dafür bieten aber weder das angefochtene Urteil noch der sonstige Akteninhalt einen Anhaltspunkt.

3. Im Ergebnis war das FG bei seiner Entscheidung mithin nicht ordnungsgemäß besetzt. Nach § 119 Nr. 1 FGO wird vermutet, dass das angefochtene Urteil auf dem Besetzungsfehler beruht. Deshalb kann es keinen Bestand haben; vielmehr wird das FG den Streitfall erneut —in vorschriftsmäßiger Besetzung— entscheiden müssen. Der Senat hält es für zweckmäßig, den Rechtsstreit zu diesem Zweck ohne Zwischenschaltung eines Revisionsverfahrens an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).

Fundstelle(n):
AO-StB 2006 S. 3 Nr. 1
BFH/NV 2006 S. 68 Nr. 1
VAAAB-69733