BFH Beschluss v. - X B 58/05

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) oder wegen Verfahrensmängeln des angefochtenen Urteils (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.

1. Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz zu Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) kommt im Streitfall nicht in Betracht. Es kann dahinstehen, ob die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts (FG) einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen des BFH andererseits herausgearbeitet und einander gegenübergestellt und so eine mögliche Abweichung ausreichend verdeutlicht haben. Die gerügte Abweichung von den zitierten Entscheidungen des BFH liegt jedenfalls nicht vor.

a) Eine Abweichung von den BFH-Urteilen vom I R 70/99 (BFHE 193, 422), vom I R 15/00 (BFHE 194, 191) und vom I R 79/00 (BFHE 197, 164) liegt schon deshalb nicht vor, weil das FG und der BFH nicht —wie geboten (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 58)— über die nämliche —identische— Rechtsfrage geurteilt haben. Während im Streitfall das FG darüber zu befinden hatte, ob die Darlehensforderung des Besitzunternehmens des Klägers gegen die Betriebsgesellschaft sowie die im Betriebsvermögen der Besitzgesellschaft gehaltenen Gesellschaftsanteile an dem Betriebsunternehmen dauernd wertgemindert waren und deshalb die Voraussetzungen einer Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorlagen, hatte der I. Senat des BFH in den genannten Entscheidungen die Frage zu beurteilen, ob es sich bei der Zuführung zu einer Pensionsrückstellung aus steuerlicher Sicht um eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) handelt, weil der Eintritt des Versorgungsfalles unter bestimmten Umständen zur Überschuldung der pensionsverpflichteten Gesellschaft führen würde.

b) Auch die Abweichung des Urteils der Vorinstanz von den BFH-Entscheidungen vom VIII R 6/96 (BFHE 187, 480, BStBl II 1999, 348), vom VIII R 47/98 (BFH/NV 2001, 589) und vom GrS 2/86 (BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348) liegt nicht vor. Anders als im Anwendungsbereich des § 17 EStG führt die betrieblich veranlasste Gewährung eines Eigenkapital ersetzenden Darlehens des Gesellschafters an seine Kapitalgesellschaft, deren Anteile der Gesellschafter in seinem Betriebsvermögen hält, grundsätzlich nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten des Gesellschafters auf die Beteiligung. Die entsprechende Darlehensforderung ist vielmehr ein eigenständiges Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens (vgl. Senatsurteil vom X R 2/03, juris Nr: STRE200510233).

2. Auch die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen führen nicht zur Zulassung der Revision.

a) Aus dem klägerischen Vortrag, der Senatsvorsitzende habe in der mündlichen Verhandlung eine tatsächliche Verständigung angeregt, wonach der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Teilwertabschreibung in Höhe von 50 v.H. anerkennen solle und nur deshalb habe der damalige Prozessbevollmächtigte der Kläger die volle Werthaltigkeit des der GmbH gewährten Darlehens nicht widerlegt, ergibt sich —seine Richtigkeit unterstellt— nicht die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung des rechtlichen Gehörs.

aa) Rechtliches Gehör wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (vgl. § 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (§ 139 Abs. 2 der ZivilprozessordnungZPO— i.V.m. § 155 FGO; vgl. auch § 93 Abs. 1 FGO; , BFH/NV 2001, 1580).

Deshalb kann eine Verletzung des Rechts auf Gehör vorliegen, wenn das Gericht die Beteiligten nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt hinweist, den es seiner Entscheidung zugrunde legen will (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1997, 2305). Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein bisher nicht erörterter Gesichtspunkt zur Grundlage der Entscheidung gemacht wird, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 1580).

bb) Derartige Umstände haben die Kläger nicht vorgetragen und sind im Streitfall auch nicht gegeben.

Im Klageverfahren waren die Notwendigkeit einer Wertberichtigung der Darlehensforderung des Einzelunternehmens gegen die GmbH und der Beteiligung des Klägers an der GmbH die einzig strittigen Punkte. Auch wenn der Senatsvorsitzende den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung —wie von den Klägern im Beschwerdeverfahren vorgetragen— eine tatsächliche Verständigung dahin gehend vorschlug, dass das FA eine Teilwertberichtigung akzeptieren soll, musste —nachdem es zu dieser tatsächlichen Verständigung nicht kam— der in seiner Entscheidung freie Vollsenat in der mündlichen Verhandlung die Kläger nicht darauf hinweisen, er werde im Urteil möglicherweise eine hiervon abweichende Rechtsansicht vertreten. Auch eine Darlegung in den Urteilsgründen, wie es zu der von der Auffassung des Senatsvorsitzenden abweichenden Entscheidung des Senats gekommen ist, war nicht geboten und wegen des Beratungsgeheimnisses (vgl. § 43 des Deutschen Richtergesetzes) auch nicht zulässig. Im Urteil sind lediglich die Gründe für die Rechtsansicht des Senats zu erörtern. Da alle maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte vor Erlass des Urteils angesprochen waren und die Kläger sich hierzu ausreichend äußern konnten, ist das finanzgerichtliche Urteil keine unzulässige Überraschungsentscheidung (BFH-Entscheidungen in BFH/NV 2001, 1580, und vom IV R 87/93, BFHE 180, 396, BStBl II 1996, 523).

b) Mehrfach rügen die Kläger, das FG-Urteil sei unter Verstoß gegen den Inhalt der Akten zustande gekommen.

aa) Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten ist nur dann ein Zulassungsgrund, soweit er einen Verfahrensfehler darstellt. Die hierfür vorauszusetzende Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt geblieben ist. Kein Verfahrensfehler ist dagegen die fehlerhafte Würdigung des Beteiligtenvorbringens oder eines erhobenen Beweises durch das FG (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 80, m.w.N.), es sei denn, das FG hätte falsche Beweisregeln angewendet.

bb) Dementsprechend setzt eine schlüssige Rüge eines „Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten” die Darlegung des Beschwerdeführers voraus, dass ein von den Beteiligten vorgetragener oder aus den Akten erkennbarer Sachverhalt vom FG nicht zur Kenntnis genommen worden sei, dass Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung sich dem FG hätten aufdrängen müssen oder dass das FG falsche Beweisregeln bei seiner Ermittlung des Gesamtergebnisses des Verfahrens angewendet habe (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 76/96, BFH/NV 1997, 246). Der Beschwerdeführer muss grundsätzlich substantiiert darlegen, dass die Vorentscheidung unter Zugrundelegung der dort vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders getroffen worden wäre, wenn dem FG der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre.

cc) Die Beschwerdebegründung der Kläger genügt diesen Anforderungen nicht. Sie haben nicht dargelegt, dass die Entscheidung des FG anders ausgefallen wäre, wenn sich das Gericht mit der Revisionsschrift im Verfahren XI R 43/03 oder mit dem Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, der Kläger habe ein Darlehen aufgenommen und dieses an die GmbH weitergeleitet, weil der GmbH selbst ein Bankdarlehen gekündigt worden sei, auseinander gesetzt hätte. Zudem gebietet § 96 FGO nicht, dass sich das Gericht mit allen im Verfahren eingereichten Schriftsätzen im Urteil befasst. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, den es in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich erörtert hat (, BFH/NV 2000, 673).

c) Selbst wenn das FG —das Vorbringen in der Beschwerdeschrift als zutreffend unterstellt— den Streitfall mit den Beteiligten nicht umfassend erörtert hat, liegt auch ein Verstoß gegen § 93 Abs. 1 FGO nicht vor. Das Gericht muss nach der genannten Bestimmung nicht alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erschöpfend mit den Beteiligten erörtern und ist weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (vgl. , BFH/NV 2000, 978, 979).

d) Ebenso wenig Erfolg hat die Rüge der Kläger, das angefochtene FG-Urteil sei insoweit nicht i.S. von § 119 Nr. 6 FGO mit Gründen versehen, als das FG die Revisionsschrift im Verfahren XI R 43/03 mit Stillschweigen übergangen habe.

aa) Ein Revisionsgrund i.S. von § 119 Nr. 6 FGO liegt vor allem dann vor, wenn überhaupt jede Begründung der Entscheidung fehlt. Dem völligen Fehlen der Entscheidungsgründe steht es gleich, wenn diese zwar vorhanden, aber derart unverständlich und verworren sind, dass nicht mehr erkennbar ist, welche Überlegungen für die (Sach-)Entscheidung maßgebend waren. Hingegen stellt eine bloß lückenhafte Begründung keinen Mangel in diesem Sinne dar (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 23, m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Allerdings kann § 119 Nr. 6 FGO auch dann verletzt sein, wenn die Entscheidungsgründe nur zum Teil fehlen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Entscheidung aber auch dann nicht mit Gründen versehen, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 80, m.w.N.). Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestalteten Rechtsnorm bilden (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 80, m.w.N.).

bb) Derart gravierende Begründungsmängel der angefochtenen FG-Entscheidung vermochte der Kläger nicht darzulegen. Insbesondere handelt es sich bei der in den Akten befindlichen Revisionsschrift im Verfahren XI R 43/03 —entgegen der Auffassung der Kläger— um kein selbständiges Angriffs- und Verteidigungsmittel.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2193 Nr. 12
DB 2007 S. 13 Nr. 27
PAAAB-68588