BFH Beschluss v. - VII B 101/05

Keine Beschwerde gegen Beschluss über Aussetzung der Vollziehung; Auslegung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung

Gesetze: FGO § 128 Abs. 3; AO § 365

Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss vom 3 V 960/04

Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hat bei dem Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Haftungsbescheides des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) beantragt. Mit diesem Bescheid ist er für Abgabenrückstände der Gesellschaft bürgerlichen Rechts Einkaufscenter X (im Folgenden: Gesellschaft) in Anspruch genommen worden, deren Gesellschafter der Antragsteller neben anderen gewesen ist. Unter dem hat das FA wegen der Abgabenschulden der Gesellschaft einen Änderungsbescheid erlassen, und zwar über die gleiche Haftungssumme, jedoch mit in mehrfacher Hinsicht geänderter Begründung. Das FA führte dabei aus, in dem ursprünglichen Haftungsbescheid sei einer der Mitgesellschafter im Rahmen der Ermessensausübung unberücksichtigt geblieben; das FA habe daher sein Ermessen erneut ausüben und folglich einen neuen Haftungsbescheid erlassen müssen. Hingegen bewertet der Antragsteller diesen angeblichen Bescheid lediglich als eine Ergänzung bzw. Richtigstellung der dem ursprünglichen Bescheid vom zugrunde liegenden Begründung und hat begehrt, dessen Vollziehung auszusetzen.

Das FG hat den Antrag auf AdV des Haftungsbescheides vom mit dem in diesem Verfahren angegriffenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung führt es aus, die AdV dieses Bescheides sei nicht möglich, da er keine Wirkungen entfalte; das FA habe mit dem Bescheid vom eine neue Regelung der Haftungsfrage getroffen, so dass der ursprüngliche Bescheid in seiner Wirkung suspendiert sei. Der vom Antragsteller gestellte Antrag könne nicht, und zwar auch nicht hilfsweise, dahin ausgelegt werden, dass er sich gegen die Vollziehung dieses Bescheides vom richte. Denn der Antragsteller habe diesem angeblichen Bescheid ausdrücklich keinen Verwaltungsaktcharakter zuerkennen wollen.

Gegen diesen Beschluss, in dem die Beschwerde nicht zugelassen worden ist, richtet sich der Rechtsbehelf des Antragstellers, für dessen Zulässigkeit er sich auf den (BFHE 206, 194, BStBl II 2004, 833) beruft. Er meint, der Entscheidung des FG liege eine völlig falsche Vorstellung darüber zugrunde, was im Falle der Anfechtung eines Steuer- und Haftungsbescheides Gegenstand des Einspruchsverfahrens oder des Klageverfahrens ist und was im Falle eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Antrags auf AdV Verfahrensgegenstand ist. Selbst wenn das Schreiben des FA vom nicht lediglich eine Ergänzung der Begründung des früheren Haftungsbescheides enthalte, sondern einen Änderungsbescheid darstelle, könne dies unter Beachtung des Grundsatzes der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Anträgen nicht zu einem endgültigen Verlust des Rechtsmittels führen. Das FG habe auch keine Begründung für seine Rechtsauffassung nennen können, warum der Antrag des Antragstellers nicht dahin gehend ausgelegt werden könne, dass die AdV des Bescheides vom begehrt werde. Dieser sei vielmehr Gegenstand des vorliegenden gerichtlichen Antragsverfahrens.

II. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Gegen den Beschluss des FG ist ein ordentlicher Rechtsbehelf nicht gegeben (§ 128 Abs. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der beschließende Senat hat keinen Anlass, die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der Beschwerde bei AdV-Beschlüssen (zuletzt , BFH/NV 2002, 1477, m.N.), die nur eine vorläufige Regelung enthalten, in Zweifel zu ziehen; das gilt auch bei Verfahrensfehlern des FG.

Nach dem Beschluss des BFH in BFHE 206, 194, BStBl II 2004, 833, auf den sich die Beschwerde beruft, ist allerdings gegen mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht anfechtbare Entscheidungen der FG —über eine entsprechende Anwendung des § 321a der Zivilprozessordnung (ZPO) hinaus (vgl. dazu jetzt § 133a FGO)— eine außerordentliche Beschwerde zum BFH statthaft, wenn die Entscheidung des FG auf der Verletzung von Verfahrensvorschriften beruht und deren Auslegung gerade den Gegenstand der Entscheidung des FG bildet; denn eine Gegenvorstellung nach § 321a ZPO, mit der schweres Verfahrensunrecht geltend gemacht werden könne, biete in diesem Fall keinen wirksamen Rechtsschutz, weil sich das Gericht bereits ausdrücklich eine Überzeugung von der Rechtmäßigkeit seines Verfahrens gebildet habe. Eine außerordentliche Beschwerde sei dann statthaft, um mit ihr geltend zu machen, dass die erstinstanzliche Entscheidung jeglicher Grundlage entbehrt und damit eine nicht hinnehmbare Gesetzwidrigkeit zur Folge hat, etwa weil sie auf einer Gesetzesauslegung beruht, die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte und deshalb unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint.

Diese Voraussetzungen liegen indes im Streitfall nicht vor. Die Entscheidung des FG beruht schon nicht auf einer —rechtlich zu beanstandenden— „Auslegung” von Verfahrensvorschriften, und wird von der Beschwerde auch nicht wegen einer solchen „Auslegung” beanstandet. Sie beruht vielmehr wesentlich auf einer Auslegung des von dem Antragsteller gestellten Antrages und der an den Umständen des Streitfalles orientierten Deutung dessen, was das FA mit dem Änderungsbescheid vom bewirkt hat. Die Entscheidung des FG entbehrt insofern auch nicht jeglicher Grundlage. Auch wenn man die vom FG für richtig gehaltene Auslegung des Begehrens des Antragstellers und insbesondere die Auffassung des FG für falsch halten müsste, dass dessen Begehren auch nicht hilfsweise ein Antrag auf AdV des Bescheides vom entnommen werden könne, führt die Auffassung des FG nicht zu einer Gesetzesanwendung, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte und deshalb unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint. Es ist vielmehr jedenfalls vertretbar, einen durch einen Steuerberater vertretenen Beteiligten an dem von diesem fachkundig formulierten Antrag insbesondere dann festzuhalten, wenn er sich zur Rechtslage ausdrücklich und mit Bestimmtheit in einer Weise eingelassen hat, die einen an sich nach Sachlage zumindest als Hilfsantrag in Betracht zu ziehenden Antrag gerade ausschließt. Ohne dass der beschließende Senat näher untersuchen müsste, ob eine solche Handhabung tatsächlich zu billigen ist, ist es jedenfalls nicht greifbar „gesetzwidrig”, einem sachkundig vertretenen Antragsteller nicht einen Antrag zu unterstellen, wenn die Beantwortung der Rechtsfragen, über die er mit der Behörde gerade streitet, dafür maßgeblich ist, ob ein solcher Antrag zu stellen oder nicht zu stellen ist.

Wenn der Antragsteller sich im Übrigen dagegen wendet, dass das FA aufgrund des angefochtenen Beschlusses des FG das Einspruchsverfahren gegen den Bescheid vom nicht fortführen will, sondern meint, dem Einspruch sei durch den Bescheid vom vollständig abgeholfen worden, rügt der Antragsteller ebenfalls keine greifbar gesetzwidrige Auslegung von Verfahrensvorschriften durch das FG, sondern allenfalls ein Missverständnis des FA hinsichtlich der Gebote des § 365 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977), welches nämlich offenbar seinen Bescheid vom nicht als einen im Sinne dieser Vorschrift ersetzenden Bescheid erkannt hat, obwohl der Antragsteller sein eigentliches mit dem Einspruch verfolgtes Ziel, von der Haftung freizukommen, durch Erlass jenes Bescheides nicht erreicht hat.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2020 Nr. 11
XAAAB-63578