Begriff „Transportdauer” in der Richtlinie zum Schutz von Tieren beim Transport zweifelhaft
Gesetze: VO (EWG) Nr. 805/68, EGV 615/98
Instanzenzug: ,
Gründe
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hat im Herbst 2000 28 lebende Rinder nach Ägypten ausgeführt und dafür vorschussweise Ausfuhrerstattung erhalten. Als der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt —HZA—) anhand des von der Klägerin vorgelegten Transportplanes feststellte, dass der Transport offenbar am um 10 Uhr begonnen und erst am um 1 Uhr unterbrochen worden ist, hat das HZA die Ausfuhrerstattung zuzüglich 10 % mit der Begründung zurückgefordert, die von der Richtlinie 91/628/EWG (RL 91/628/EWG) des Rates vom über den Schutz von Tieren beim Transport sowie zur Änderung der Richtlinien 90/425/EWG und 91/496/EWG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 340/17) vorgeschriebene erste einstündige Ruhepause sei nicht rechtzeitig (nach einer Transportdauer von 14 Stunden) eingelegt worden.
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, nach Art. 13 Abs. 9 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABlEG Nr. L 148/24), neugefasst durch Verordnung (EG) Nr. 2634/97 des Rates vom zur Änderung vorgenannter Verordnung (ABlEG Nr. L 356/13) —VO Nr. 805/68—, hänge die Gewährung von Ausfuhrerstattung von der Einhaltung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zum Wohlbefinden der Tiere ab, insbesondere der Vorschriften zum Schutz der Tiere während des Transports. Hierzu gehöre die RL 91/628/EWG, neugefasst durch die Richtlinie 95/29/EG des Rates vom (ABlEG Nr. L 148/52). Dementsprechend mache Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 615/98 der Kommission vom mit Durchführungsbestimmungen zur Ausfuhrerstattungsregelung in Bezug auf den Schutz lebender Rinder beim Transport (ABlEG Nr. L 82/19) die Zahlung der Erstattung von der Einhaltung vorgenannter Richtlinie abhängig. Gegen die Vorschriften dieser Richtlinie habe die Klägerin verstoßen.
Es sei zwar zwischen den Beteiligten streitig, wann die Rinder den Versandort verlassen hätten, ob um 10 Uhr oder erst um 11.30 Uhr. Das bedürfe aber keiner Klärung, weil es nicht auf diesen Zeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt des Beginns der Verladung der Rinder ankomme, womit nach der Darstellung der Klägerin um 10 Uhr begonnen worden sei —das HZA geht insofern von 8 Uhr aus—. Durch die Fahrtunterbrechung um 1 Uhr des Folgetages sei damit die in der Richtlinie vorgeschriebene maximale Transportdauer auch nach der Sachdarstellung der Klägerin überschritten worden. Gründe, die nach der Richtlinie eine solche Überschreitung ausnahmsweise rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Gleichwohl müsse die Klage Erfolg haben, weil die Richtlinie im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sei, dass ein Verstoß gegen die Vorschriften über den Transport und die Ruhezeiten nur dann zum Verlust des Erstattungsanspruches führe, wenn die Nichteinhaltung der Tierschutzvorschriften nachweislich —d.h. feststellbar— zu einer Beeinträchtigung des Wohls der Tiere geführt habe. Das sei im Falle der Klägerin nicht festgestellt worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des HZA.
Der Rechtsstreit ist auszusetzen und eine Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) einzuholen.
Nach der in dem angefochtenen Urteil insoweit richtig dargestellten Rechtslage hängt der Anspruch der Klägerin auf Ausfuhrerstattung —erstens— davon ab, ob bei dem Transport gegen die vorgenannte Richtlinie verstoßen worden ist und —zweitens— ob dies ggf. gleichwohl nicht zum Verlust des Anspruches auf Ausfuhrerstattung führt, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, diese der Klägerin trotz dieses Verstoßes zu belassen.
1. Die zweite Frage ist, wie der Senat in seinem heutigen Urteil VII R 76/04 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) näher ausgeführt hat, eindeutig zu verneinen; die gegenteilige Auffassung des FG ist mit dem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbaren. Ein Verstoß gegen die Vorschriften vorgenannter Richtlinie, insbesondere eine Überschreitung der höchstens zulässigen Transportdauer, hat den Verlust des Anspruches auf Ausfuhrerstattung zur Folge, ohne dass dies davon abhängig wäre, dass tatsächliche Feststellungen dazu getroffen werden können, dass das Wohlbefinden der Tiere während des Transports beeinträchtigt war.
Die Rechtsfolge des Verlustes des Erstattungsanspruches bei Nichtbeachtung der Vorschriften der Richtlinie ist in den vorstehend bezeichneten Rechtsvorschriften angeordnet. Die einschlägigen Vorschriften lassen keinen Raum für die vom FG für geboten gehaltene „Auslegung”. Tiere wie Rinder müssen nach Abschn. 48 Nr. 4 Buchst. d des Anhangs der Richtlinie nach einer Transportdauer von 14 Stunden eine Ruhepause erhalten. Dem Verordnungsgeber kann nicht der Vorwurf gemacht werden, damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen zu haben. Für die Wahrung der Belange des Tierschutzes beim Export lebenden Viehs konnte es erforderlich erscheinen, —wie in der Richtlinie geschehen— bestimmte Standards für dessen Transport aufzustellen und deren Einhaltung ungeachtet der Auswirkungen eines Verstoßes gegen diese auf das Wohlbefinden der Tiere im Einzelfall zu verlangen. Ob die große Bedeutung, die der gemeinschaftliche Gesetzgeber der Wahrung des Tierschutzes bei der Ausfuhr von lebendem Vieh beigemessen hat, gerechtfertigt ist und insbesondere auch den Interessen der Exportwirtschaft ausreichend Rechnung trägt, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.
2. Die vom Senat zu treffende Entscheidung hängt mithin davon ab, ob es einen Verstoß gegen die Richtlinie darstellt, dass im Streitfall eine (Zwischen-)Entladung der Rinder bzw. Fahrpause erst am um 1 Uhr stattgefunden hat. Zu diesem Zeitpunkt wäre die (maximal) zulässige Transportdauer von 14 Stunden bereits überschritten gewesen, wenn man insofern die Zeit der Beladung der Rinder auf die LKW mitberücksichtigen muss. Denn mit der Beladung ist im Streitfall nach der eigenen Darstellung der Klägerin um 10 Uhr begonnen worden —nach den Feststellungen des HZA sogar schon um 8 Uhr—. Das FG hat auch ohne Rechtsirrtum festgestellt, dass nichts gemäß Abschn. 48 Nr. 8 des Anhangs der Richtlinie eine Überschreitung des 14-Stunden-Zeitraums hätte rechtfertigen können, der folglich am folgenden Tag um 1 Uhr um mindestens eine Stunde überschritten war.
Die vom Senat zu treffende Entscheidung hängt also von der Beantwortung der Rechtsfrage ab, ob die Zeit der Beladung des Transportmittels (LKW) zur „Transportdauer” rechnet. Die Europäische Kommission hat diese (auf den ersten Blick zu bejahende) Frage anders beantwortet als das FG und als es der beschließende Senat für richtig hält. Es erscheint deshalb angebracht, hierzu die Entscheidung des EuGH einzuholen.
Die maßgeblichen Vorschriften der vorgenannten Richtlinie haben insoweit folgenden Wortlaut:
Transport ist nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b jegliche Beförderung von Tieren mit einem Transportmittel, einschließlich Ver- und Entladen. Verbringung ist nach den dortigen Buchst. g der Transport vom Versandort zum Bestimmungsort. Nach dem Buchst. h sind Ruhezeiten ein ununterbrochener Zeitraum während der Verbringung, in dem die Tiere nicht in einem Transportmittel befördert werden.
Die Richtlinie enthält einen Anhang, in dessen Kapitel VII Zeitabstände für das Tränken und Füttern sowie Fahrt- und Ruhezeiten (Überschrift zu Abschn. 48) festgelegt sind. Im Buchst. d der Nr. 4 des Abschn. 48 heißt es dazu, Tiere wie Rinder müssten nach einer „Transportdauer” von 14 Stunden eine ausreichende, mindestens einstündige Ruhepause erhalten, insbesondere damit sie getränkt und nötigenfalls gefüttert werden können. Nach dieser Ruhepause könne der Transport für weitere 14 Stunden fortgesetzt werden. Nach Nr. 5 müssen die Tiere nach der festgesetzten Transportdauer entladen, gefüttert und getränkt werden und eine Ruhezeit von mindestens 24 Stunden erhalten.
Diese Vorschriften sprechen eine deutliche Sprache dahin, dass die Zeit des Be- und Entladens von Tieren zur Transportdauer dazu gehört.
Es ist davon auszugehen, dass nach den Regeln guter Gesetzgebungskunst ein und derselbe Begriff, insbesondere wenn er in der Verordnung ausdrücklich definiert wird, in demselben Rechtsakt immer in demselben Sinne verwendet wird und zwar auch dann, wenn der Begriff in der Zusammensetzung mit anderen Begriffen gebraucht wird. Da der Begriff Transport dahin definiert ist, dass zum Transport auch das Be- und Entladen gehört, ist folglich davon auszugehen, dass zur Transportdauer ebenfalls nicht nur die Fahrtzeit, sondern auch die Zeit des Be- und Entladens gehört. Überdies dürften Ladezeiten nicht weniger als reine Fahrtzeiten geeignet sein, die Tiere zu belasten und bei übermäßiger Dauer ihr Wohlbefinden ernstlich zu beeinträchtigen, so dass Sinn und Zweck der Regelung für die Einbeziehung der Be- und Entladezeiten in die bis zu einer Ruhepause maximal zulässige „Transportdauer” sprechen.
Den Senat veranlasst, den Gerichtshof gleichwohl darüber zu befragen, ob zur Transportdauer auch die Zeit des Be- und Entladens gehört, in erster Linie der Umstand, dass die Europäische Kommission die Auffassung vertritt, für die Bestimmung der Transportzeit sei der Zeitpunkt maßgeblich, an dem das Fahrzeug den Versandort verlässt, selbst wenn der Verladevorgang mehrere Stunden gedauert habe (Schreiben der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz an das Bundesministerium für Ernährung Landwirtschaft und Forsten vom , Aktenzeichen D/015810). Ferner kann zu Unsicherheit über das richtige Verständnis des Begriffs Transportdauer vorgenannte Nr. 5 des Abschn. 48 führen, wonach die Tiere nach der festgesetzten Transportdauer entladen werden müssen, die Entladung also offenbar nicht zum Transport gerechnet wird, sondern sich an den Transport anschließt. Dabei mag diese der Definition des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie widersprechende Formulierung damit zusammenhängen, dass Abschn. 48 des Anhangs in dessen ursprünglicher Fassung noch nicht enthalten war; träfe dies zu, könnte in Zweifel gezogen werden, ob die Bedeutung des Begriffs des Transports bei der Festlegung der Transportdauer beachtet worden ist. Schließlich scheint das vom Senat schon wegen des Sinnes und Zwecks der Begrenzung der ununterbrochenen Transportzeit auf 14 Stunden für geboten erachtete Auslegungsergebnis nicht in allen Sprachfassungen durch den Wortlaut des Anhangs in gleicher Deutlichkeit wie bei der deutschen Fassung bestätigt zu werden. So spricht die englische Fassung in Abschn. 48 Nr. 4 Buchst. d anstelle von Transportzeit von „hours of journey"; sie nimmt also anders als die deutsche Fassung nicht den in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie definierten Begriff des Transports unmittelbar auf und scheint dadurch dem Wortlaut nach der Annahme Raum zu lassen, die „Fahrt” (journey) beginne nicht schon mit der Beladung des Fahrzeuges, sondern erst mit dessen Abfahrt. Freilich stellt auch die englische Fassung den Bezug zu der Transport-Definition der Richtlinie mittelbar her, weil „journey” nach der Definition des Art. 2 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie der „transport from place of departure to the place of destination” ist, folglich die „hours of journey” ganz genauso wie in der deutschen Fassung die Stunden des Transports, einschließlich Be- und Entladen sind.
Der EuGH wird wegen der gleichwohl verbleibenden Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtslage um die Beantwortung der für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Frage ersucht, ob die Zeit der Beladung zur „Transportdauer” i.S. des Abschn. 48 Nr. 4 Buchst. d des Anhangs der RL 91/628/EWG über den Schutz von Tieren beim Transport gehört.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1888 Nr. 10
BAAAB-58945