Keine Aussetzung des Verfahrens, wenn lediglich vor dem BFH ein Musterverfahren anhängig ist
Gesetze: FGO § 74; EStG § 2 Abs. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) verrechnete positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 515 908 DM nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (EStG) mit negativen Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von 564 308 DM nur mit einem Betrag von 364 630 DM. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 137 023 DM wurde die Einkommensteuer auf 34 872 DM festgesetzt.
Gegen diese Steuerfestsetzung haben die Kläger Klage erhoben. Das Finanzgericht (FG) hat die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids ausgesetzt. Die Beschwerde des FA gegen diesen Beschluss hat der Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluss vom XI B 76/02 (BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523) zurückgewiesen. Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG ergäben sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wonach der Staat dem Steuerpflichtigen von seinem Erworbenen soviel steuerfrei belassen müsse, wie er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und —unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG— desjenigen seiner Familie benötige (Existenzminimum); der existenznotwendige Bedarf bilde von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer (sog. subjektives Nettoprinzip).
Mit Beschluss vom 8 K 6331/01 (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2005, 623) hat das FG das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt, da bei dem BFH unter dem Az. XI R 26/04 ein Musterverfahren anhängig sei, das denselben Sachverhalt betreffe. Dabei gehe der Senat davon aus, dass der BFH wegen der verfassungsrechtlichen Problematik des § 2 Abs. 3 EStG die Sache dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen werde.
Gegen diesen Beschluss haben die Kläger Beschwerde erhoben. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens seien nicht gegeben.
Das FA ist der Auffassung, dass eine Aussetzung des Verfahrens sinnvoll erscheine.
II. Die Beschwerde ist begründet.
1. Nach § 74 FGO kann das FG das Verfahren u.a. aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Eine solche Situation ist im Streitfall nicht gegeben.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist das Klageverfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, wenn vor dem BVerfG ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den FG zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat; die Aussetzung des Verfahrens nach diesen Maßstäben kommt nicht in Betracht, wenn lediglich vor dem BFH ein Musterverfahren anhängig ist (, BFH/NV 2004, 956).
2. Danach kommt hier eine Aussetzung des Klageverfahrens weder wegen des beim BFH anhängigen Verfahrens XI R 26/04 noch wegen eines beim BVerfG anhängigen Musterverfahrens in Betracht. Beim BVerfG ist kein Verfahren anhängig, das in Bezug auf die Streitsache als Musterverfahren angesehen werden könnte. Selbst das beim BFH anhängige Verfahren XI R 26/04, dem das (EFG 2004, 996) zugrunde liegt, ist mit dem Verfahren des Streitfalls nicht hinreichend vergleichbar; in jenem Fall liegt ein durch erhöhte Abschreibungen entstandener („unechter”) Verlust aus Vermietung und Verpachtung vor (dazu vgl. auch , juris Nr.: STRE200550470).
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 143 Rz. 2).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1607 Nr. 9
ZAAAB-56526