BFH Beschluss v. - VII B 83/04

Wirksamkeit einer Einverständniserklärung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter im FG-Verfahren

Gesetze: FGO § 79a, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119

Instanzenzug:

Gründe

I. In der Sache ist die Rechtmäßigkeit einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung streitig.

Im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens erklärte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nach entsprechendem schriftlichen Hinweis durch den Berichterstatter des für das Verfahren zuständigen Senats des Finanzgerichts (FG), dass er mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter nicht einverstanden sei. Daraufhin teilte der Berichterstatter dem Kläger mit Schreiben vom mit, dass die Klage durch den Senat und nicht durch den Einzelrichter entschieden werde. In dem vom Berichterstatter durchgeführten Erörterungstermin vom erklärte der Kläger, er sei mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden.

Mit Urteil vom entschied der Berichterstatter gemäß § 79a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Grund mündlicher Verhandlung vom und wies die Klage ab. Insoweit wurde ausgeführt, das Gericht habe durch den Berichterstatter entscheiden können, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt hätten.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit welcher er das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend macht. Er, der Kläger, habe weder im Vorfeld zu der mündlichen Verhandlung noch in der mündlichen Verhandlung sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt. Das FG habe ihm schriftlich zugesichert, dass es durch den vollständig besetzten Senat entscheiden werde. Dem FG sei ein erheblicher Verfahrensfehler unterlaufen, weil die Entscheidung trotz fehlender Einverständniserklärung eines Beteiligten durch einen Einzelrichter getroffen worden sei.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind nicht gegeben, weil der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO) nicht vorliegt.

Hat über eine Klage nicht der gesetzlich vorgesehene Spruchkörper, sondern ein einzelner Richter dieses Kollegiums entschieden, ohne dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Einzelrichterentscheidung nach § 6 FGO noch diejenigen gemäß § 79a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 FGO erfüllt waren, liegt hierin ein schwerwiegender Verfahrensfehler i.S. des § 119 Nr. 1 FGO, der dazu führt, dass der Kläger seinem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) entzogen wird (ständige Rechtsprechung; s. , BFHE 187, 404, BStBl II 1999, 300, und vom XI R 44/98, BFH/NV 1999, 1485; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Rz. 5a).

Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 FGO sind im Streitfall nicht erfüllt, weil der für das Verfahren zuständige Senat des FG den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung nicht übertragen hat.

Allerdings konnte der Berichterstatter den Rechtsstreit anstelle des Senats nach § 79a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 FGO entscheiden. Danach ist eine Entscheidung durch den Einzelrichter zulässig, wenn die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben (konsentierter Einzelrichter). Die Einverständniserklärung ist —wie die Erklärung über den Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO— eine Prozesshandlung, die dem Gericht gegenüber unmissverständlich abzugeben ist (BFH-Urteil in BFHE 187, 404, BStBl II 1999, 300; vgl. auch Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 79a FGO Tz. 16). In Zweifelsfällen ist der Inhalt der Erklärung unter Berücksichtigung der dem Gericht bekannten Umstände durch Auslegung (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs analog) zu ermitteln.

Der Kläger gab im Erörterungstermin gegenüber dem FG die Erklärung ab, dass er mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden sei (s. Niederschrift über den Erörterungstermin vom ). Diese Einverständniserklärung ist eindeutig und unmissverständlich. Äußere Umstände, die den klaren Inhalt der Erklärung in Zweifel hätten ziehen können, sind dem FG im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung nicht bekannt gewesen und für den beschließenden Senat auch nicht erkennbar. Der Berichterstatter konnte die Erklärung nur in der Weise verstehen, dass der Kläger mit einer Einzelrichter-Entscheidung einverstanden war. Daran ändert auch das vorangegangene Schreiben des nichts, mit welchem dem Kläger mitgeteilt wurde, dass entsprechend der geäußerten Bitte des Klägers die Klage durch den Senat entschieden werde. Die Beteiligten haben während des gesamten gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit, eine Einverständniserklärung i.S. des § 79a Abs. 3 FGO abzugeben. Eine zuvor geäußerte gegenteilige Erklärung steht dem nicht entgegen. Eine solche kann jederzeit —auch konkludent— widerrufen werden. Dies hat der Kläger mit seiner Einverständniserklärung im Erörterungstermin getan. Eine darüber hinausgehende verbindliche Zusicherung des FG kann nicht angenommen werden.

Der Senat vermag auch der Annahme, dass die Einverständniserklärung des Klägers sich lediglich auf den Erörterungstermin beziehen sollte, nicht dagegen auf die zu treffende Entscheidung, schon deshalb nicht zu folgen, weil eine derartige Erklärung ins Leere ginge. Der Berichterstatter ist nämlich aufgrund § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGO berechtigt, als Mitglied des Senats einen Erörterungstermin durchzuführen. Einer Einverständniserklärung der Beteiligten bedarf es dazu nicht.

Der Kläger hat seine Einverständniserklärung schließlich nicht wirksam widerrufen bzw. angefochten. Eine Anfechtung wegen Irrtums ist bereits per se unzulässig (so schon , BFHE 90, 82, BStBl III 1967, 794, bez. der vergleichbaren Verzichtserklärung auf mündliche Verhandlung; Gräber/Koch, a.a.O., § 90 Rz. 13). Aber auch ein Widerruf scheidet im Streitfall aus. Dabei kann der Senat die Frage offen lassen, ob die Einverständniserklärung der Beteiligten i.S. von § 79a Abs. 3, 4 FGO als Prozesserklärung unwiderruflich ist (so z.B. Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 79a FGO Rz. 44) oder widerrufen werden kann, wenn sich bei objektiver Betrachtung die Prozesslage nachträglich wesentlich geändert hat (so z.B. Gräber/Koch, a.a.O., § 79a Rz. 26). Denn der Widerruf müsste jedenfalls —wie die Einverständniserklärung— klar, eindeutig und vorbehaltlos gegenüber dem Gericht erklärt werden (vgl. , BFH/NV 1995, 129, wiederum bez. der vergleichbaren Verzichtserklärung gemäß § 90 Abs. 2 FGO). Dies hat der Kläger weder nach dem Erörterungstermin noch in der mündlichen Verhandlung —in der er im Übrigen anwaltlich vertreten war— getan. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt im finanzgerichtlichen Verfahren zu erkennen gegeben, dass er von seiner ursprünglichen Einverständniserklärung abrücken wollte. Soweit der Kläger erstmals in der Beschwerdebegründung sich nicht mehr an seiner Einverständniserklärung festhalten lassen möchte, kommt dieses Vorgehen zu spät.

Aufgrund der jeweils wirksamen Einverständniserklärungen der Beteiligten konnte daher der Berichterstatter anstelle des Senats als Einzelrichter gemäß § 79a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 FGO entscheiden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1592 Nr. 9
QAAAB-56098