Umsatzsteuerliche Behandlung von Leistungen eines Bestattungsunternehmens einschließlich Leichenüberführung ins Drittlandsgebiet
Gesetze: UStG § 3a Abs. 1 Satz 1, § 4 Nr. 3
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt unter der Bezeichnung „X Transport GmbH” ein Bestattungsunternehmen für Angehörige des islamischen Glaubens. Die von der Klägerin ausgeführten Leistungen betreffen nahezu ausschließlich in Deutschland verstorbene Personen, deren Leichnam in der Türkei bestattet und zu diesem Zweck per Luftfracht dorthin überführt wird.
Nach den bisherigen Feststellungen erbringt die Klägerin im Wesentlichen folgende Leistungen:
- Waschung und rituelle Vorbereitung des Leichnams
- Lieferung der Bestattungshülle
- Lieferung des für den Lufttransport vorgeschriebenen Holzsargs
- Lieferung des für den Lufttransport (zusätzlich) erforderlichen Zinksargs einschließlich der notwendigen luftdichten Verlötung
- Besorgung der Leichenüberführung in die Türkei einschließlich der Erledigung aller erforderlichen Formalitäten
- Übernahme der Speditionsgebühren.
Die Klägerin stellt ihren Auftraggebern regelmäßig folgende Positionen in Rechnung:
1. Überführungssarg
2. Zinksarg, einschließlich Lötung
3. Bestattungshülle
4. Inlandstransport zum (deutschen) Flughafen sowie Lufttransport in die Türkei einschließlich Erledigung aller Formalitäten und Speditionsgebühren.
Die Rechnungssumme in Höhe von durchschnittlich etwa 3 000 DM entfällt dabei zu etwa 70 v.H. auf die letztgenannte Position und zu etwa 25 v.H. auf die Positionen 1. und 2. Im Einzelfall wird eine Position „Waschung und Vorbereitung des Leichnams” gesondert berechnet.
Die Klägerin behandelte die vorbezeichneten Leistungen als steuerfrei gemäß § 4 Nr. 3 Buchst. a, aa des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung. Im Anschluss an die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Auffassung, die Klägerin erbringe ihren Auftraggebern gegenüber eine einheitliche, nicht steuerbefreite sonstige Leistung. Zur Begründung verwies das FA im Wesentlichen auf das —vom Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluss nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (vom V R 6/96) bestätigte— (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1996, 611).
Gegen den (auf einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung beruhenden) Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr 1998 vom und die geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis IV. Quartal 1999 vom und vom legte die Klägerin Einsprüche ein, die mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen wurden.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage.
Gegenstand des Klageverfahrens sind die Änderungsbescheide vom .
Das FG gab der Klage statt, weil es sich bei den streitigen Umsätzen um sonstige Leistungen handele, die gemäß § 4 Nr. 3 Buchst. a, aa UStG steuerfrei seien.
Zur Begründung führte es u.a. aus, die Einzelpositionen der Leistungen der Klägerin stellten sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise und aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers als Bestandteile einer einheitlichen sonstigen Leistung dar. Die Auftraggeber zahlten aus ihrer Sicht für das „Paket” Beschaffung von Särgen, Erledigung der notwendigen Formalitäten und Überführung in die Türkei einen Gesamtpreis. Die einzelnen Teilleistungen griffen dabei so ineinander, dass diese bei einheitlicher Betrachtungsweise hinter dem Ganzen zurückträten. Denn ohne z.B. den Überführungs- und den Zinksarg zu liefern, könnte der Auftrag, den Leichnam in die Türkei zu transportieren, nicht erfüllt werden, weil der Transport über ein Luftfahrtunternehmen diese Särge als Transportmittel notwendig voraussetze. Diese vorgenannten Handlungen hätten auch für die Auftraggeber einen eigenen Zweck, nämlich den komplikationslosen Transport des Leichnams in die Türkei. Da es nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin nicht zu ihrem Leistungspaket gehöre, auch die Bestattung der Toten in der Türkei vorzunehmen, sei die vom FA angeführte Entscheidung des BFH zur Seebestattung (Urteil vom XI R 51/91, BFH/NV 1995, 553, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1995, 305) für den vorliegenden Sachverhalt nicht einschlägig. Denn bei dieser habe die eigentliche Bestattung, die regelmäßig unter Beachtung bestimmter Regularien und Zeremonien (Gedenkworte, Traueransprache) erfolgte, im Vordergrund der Leistung gestanden, während die Beförderung der Urnen und der Trauergäste zwangsläufige Voraussetzung für die eigentliche Bestattung gewesen sei. Im Streitfall stehe hingegen die Beförderung des Leichnams im Mittelpunkt der Leistung.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Es macht im Wesentlichen geltend, die Hauptleistung bestehe im Streitfall in der von den Auftraggebern gewünschten Bestattungsvorbereitung, hinter der die Besorgung des Flugtransports und die Beschaffung des dafür notwendigen Zinksargs als Nebenleistung zurücktrete. Im Vordergrund stünden typische Bestattungsleistungen, wie das Abholen und Einsargen der Leiche, die Erledigung der Formalitäten bei inländischen Behörden und dem türkischen Konsulat, die Vorbereitung des Leichnams nach den Regeln des Islam sowie die Beschaffung der Bestattungshülle bzw. des Überführungssargs. Das Leistungsbild entspreche daher eher dem des Bestattungsunternehmers als dem eines Spediteurs. Der Transport in die Türkei stelle eine Nebenleistung dar. Er sei die einzige Leistung, die nicht unmittelbar von der Klägerin selbst, sondern durch Dritte ausgeführt worden sei. Auch hierin liege ein Indiz für das mindere Gewicht dieses Leistungsbestandteils. Da die von der Klägerin ausgeführten Leistungen weitreichender seien als die Besorgung von Frachtpapieren und sachgerechtem Transport, könne die Leistung der Klägerin nicht mit derjenigen eines Transportunternehmens verglichen werden. Auch im Streitfall werde insbesondere die Bestattungshülle von der Klägerin geliefert. Alle Leistungsbestandteile dienten dem einheitlichen wirtschaftlichen Ziel des vollständigen Dienstes der Leichenüberführung, die als sonstige Leistung i.S. des § 3a Abs. 1 UStG der Umsatzsteuer zu unterwerfen sei.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Sie vertritt die Auffassung, das FG habe die streitigen Leistungen zu Recht als gemäß § 4 Nr. 3 Buchst. a, aa UStG steuerfrei behandelt.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Zu Unrecht geht das FG bei seiner Entscheidung davon aus, die Klägerin habe eine einheitliche, als grenzüberschreitende Beförderung von Gegenständen nach § 4 Nr. 3 Buchst. a, aa UStG steuerfreie sonstige Leistung erbracht. Der Senat kann nicht selbst abschließend entscheiden. Dazu bedarf es weiterer Feststellungen.
1. Erbringt ein Steuerpflichtiger gegenüber einem Leistungsempfänger aufgrund eines Vertrages ein Bündel verschiedener Leistungen —wie hier die Klägerin mit der Beschaffung des Sarges und dessen Ausstattung, der Einsargung, dem Inlandstransport, der Überführung ins Ausland einschließlich der erforderlichen Formalitäten—, können diese als einheitliche Leistung oder als mehrere umsatzsteuerrechtlich eigenständige Leistungen zu betrachten sein.
a) Im Wesentlichen sind für die Annahme einer einheitlichen Leistung folgende (gemeinschaftsrechtlich geklärte) Grundsätze zu berücksichtigen (vgl. z.B. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-349/96 —Card Protection Plan Ltd.—, Slg. 1999, I-973, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht —UVR— 1999, 157 RandNr. 29 ff.; , BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658):
Zum einen ist jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten. Zum anderen darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Daher ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt. Dabei ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen.
b) Bei der Beurteilung grenzüberschreitender Sachverhalte, bei denen die Bestimmung als einheitliche Leistung oder mehrere Leistungen mit Rücksicht auf den Leistungsort erforderlich ist, sind die speziellen hierfür geltenden Regelungen zu berücksichtigen (vgl. § 3 Abs. 5 a, § 3a bis § 3f UStG bzw. Art. 8 und Art. 9 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG —Richtlinie 77/388/EWG—). Diese Regelungen dienen, wie insbesondere die siebte Begründungserwägung der Richtlinie 77/388/EWG betont, der Vermeidung von Kompetenzkonflikten, die zu einer Doppelbesteuerung oder zur Nichtbesteuerung von Umsätzen führen könnten; die Vorschriften sollen gewährleisten, dass durch die einheitliche Festlegung des steuerrechtlichen Anknüpfungspunktes eine angemessene Abgrenzung des jeweiligen Geltungsbereiches des nationalen Mehrwertsteuerrechts herbeigeführt wird (zu Art. 9 der Richtlinie 77/388/EWG z.B. EuGH-Urteile in Slg. 1999, I-973, UVR 1999, 157 RandNr. 41; vom Rs. C-327/94 —Dudda—, Slg. 1996, I-4597, BStBl II 1998, 313; vom Rs. C-116/96 —Binder—, Slg. 1997, I-6103, UR 1998, 146 RandNr. 12).
Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG bzw. § 3b UStG nimmt Beförderungsleistungen von der allgemeinen Regel zur Bestimmung des Ortes für eine sonstige Leistung aus, weil für den Beförderer der Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit keine sinnvolle Anknüpfung für das Besteuerungsrecht darstellt. Es handelt sich insoweit um eine Leistung, die sich auf das Gebiet verschiedener Staaten erstrecken kann, so dass ein anderes Kriterium erforderlich ist, das eine Abgrenzung der Besteuerungsbefugnisse ermöglicht (EuGH-Urteil in Slg. 1997, I-6103, UR 1998, 146 RandNr. 13).
c) Zu Recht geht das FG zwar davon aus, dass es den Auftraggebern —meist den Familienangehörigen der Verstorbenen— aus der Sicht eines Durchschnittsbetrachters vor allem um den Flugtransport des Verstorbenen geht, um dessen Bestattung in der Türkei zu ermöglichen; entgegen der Auffassung des FG können jedoch die anderen Leistungen nicht ohne weiteres als Nebenleistungen hierzu beurteilt werden.
Die Klägerin hat gegenüber ihren Auftraggebern die Aufgabe übernommen, die Leichen einzusargen und diese hierfür den rituellen Anforderungen entsprechend vorzubereiten. Diese Leistungen dienen für den Durchschnittsbetrachter nicht lediglich der einfachen Durchführung des Transports, sie haben umsatzsteuerrechtlich ein selbständiges Gewicht. Die Leistungen bis zur Einsargung des rituell vorbereiteten Leichnams werden ausschließlich im Inland erbracht. Sie sind schon vor der Übergabe des Sarges an das Transportunternehmen abgeschlossen.
Allein die Tatsache, dass die Einsargung auch Voraussetzung für den Transport ist, rechtfertigt nicht die Beurteilung als Nebenleistung zur Beförderungsleistung.
Der vorstehenden Beurteilung steht die Entscheidung des XI. Senats im Urteil in BFH/NV 1995, 553 schon deshalb nicht entgegen, weil es sich um einen anderen Sachverhalt handelt, nämlich eine Seebestattung, die nur auf hoher See ausgeführt werden kann und bei der die Beförderung der Urnen und ggfs. der Trauergäste zwangsläufige Voraussetzung der eigentlichen Bestattung ist. Soweit der (BFHE 103, 375) insgesamt, d.h. einschließlich der Beförderung eine einheitliche Leistung angenommen hatte, ist die vor Erlass der Richtlinie 77/388/EWG ergangene Entscheidung überholt.
d) Als Nebenleistungen, die mit der Beförderung zusammenhängen, kommen nur die ausschließlich damit verbundenen Leistungen in Betracht wie z.B. die den Speditionsgebühren zugrunde liegenden Leistungen. Das FG wird den Umfang der unmittelbar die Beförderung durch ein Luftfahrtunternehmen betreffenden Nebenleistungen noch ermitteln.
2. Der Leistungsort für diese Beförderungsleistung und die damit zusammenhängenden und wie diese zu behandelnden Nebenleistungen bestimmt sich nach § 3b UStG.
Gemäß § 3b Abs. 1 Satz 1 UStG wird eine Beförderungsleistung dort ausgeführt, wo die Beförderung bewirkt wird. Erstreckt sich die Beförderung nicht nur auf das Inland, so fällt nur der Teil der Leistung unter dieses Gesetz, der auf das Inland entfällt (§ 3b Abs. 1 Satz 2 UStG). Der Anteil des Entgelts, der auf die Beförderungsleistung entfällt, ist danach insoweit steuerbar, als die Beförderungsleistung im Inland ausgeführt wurde.
3. Diese Beförderungsleistungen sind nach § 4 Nr. 3 Buchst. a, aa UStG steuerbefreit. Danach sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen u.a. steuerfrei die grenzüberschreitenden Beförderungen von Gegenständen, wenn sich diese Leistungen unmittelbar auf Gegenstände der Ausfuhr beziehen. Ausfuhr bezeichnet zollrechtlich lediglich den tatsächlichen Vorgang des Verbingens von Waren aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in das Drittland (vgl. Art. 161 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 —Zollkodex— des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 302/1, und § 6 Abs. 1 UStG). § 4 Nr. 3 Buchst. a, aa UStG setzt danach lediglich voraus, dass Gegenstände aus dem Erhebungsgebiet in das Drittlandsgebiet verbracht werden. Ohne Bedeutung ist deshalb, ob auch die Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung i.S. des § 6 UStG vorliegen (z.B. Weymüller in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 3 Rz. 39; Schumann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 3 Anm. 96; Kraeusel in Reiß/ Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 3 Rz. 46.1). Die Beförderungsleistung ist danach im Streitfall steuerfrei, denn sie hatte (auch) die Beförderung der Särge in die Türkei zum Gegenstand.
4. Der Leistungsort der sonstigen Leistungen bis zur Einsargung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG. Leistungsort ist der Sitz der Klägerin.
Nach § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG wird eine sonstige Leistung vorbehaltlich des § 3b UStG an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt.
Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen (sonstige Leistungen) sind, richtet sich nach ihrem Wesen. Dieses ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln; maßgebend ist die Sicht des Durchschnittsverbrauchers (z.B. , BFHE 200, 135, UR 2003, 143, m.w.N.).
Die Leistungen der Klägerin bis zur Einsargung des Leichnams sind im Wesentlichen vom Dienstleistungselement bestimmt und mit der Einsargung abgeschlossen. Den Auftraggebern und Leistungsempfängern geht es darum, den Leichnam in üblicher Weise für die Bestattung vorbereiten zu lassen. Dass die Klägerin diese Leistungen zum Teil nicht oder nur teilweise gesondert berechnet hat, steht dem nicht entgegen (z.B. , BFH/NV 1988, 465). Den Umfang dieser Leistungen muss das FG noch ermitteln.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1395 Nr. 8
HFR 2005 S. 1107 Nr. 11
VAAAB-55295