BFH Urteil v. - I R 13/04

Einbeziehung von Urlaubstagen in Portugal bei Berechnung der Dauer des Aufenthalts in Portugal i. S. des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a DBA Portugal

Gesetze: DBA Portugal Art. 15 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, wie die Dauer eines „Aufenthalts in Portugal” i.S. des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom (DBA-Portugal) zu berechnen ist.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie wohnten im Streitjahr (1995) in Deutschland und wurden zusammen zur Einkommensteuer 1995 veranlagt. Der Kläger war im Streitjahr für einen deutschen Arbeitgeber, die X-AG, nichtselbständig tätig.

Die X-AG stellte den Kläger für die Zeit vom 2. Januar bis zum zu einem „temporären Arbeitseinsatz” bei der Firma Y in Portugal ab. In der Zeit vom 24. Juli bis zum verbrachte der Kläger ferner seinen Jahresurlaub in Portugal. Anschließend arbeitete er wieder im Inland.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrten die Kläger, den auf die Zeit vom 1. Januar bis zum entfallenden Arbeitslohn des Klägers als nach dem DBA-Portugal steuerfrei zu behandeln. Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) nicht. Er ging auf Grund von Reiseabrechnungen des Klägers gegenüber der X-AG davon aus, dass der Kläger sich während der Abordnungszeit nur an 158 Tagen in Portugal aufgehalten habe, und unterwarf den Arbeitslohn deshalb in vollem Umfang der Einkommensteuer.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen den entsprechenden Bescheid mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1705 abgedruckten Urteil abgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision. Sie rügen eine Verletzung des Art. 15 Abs. 2 DBA-Portugal und beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Bescheid in der Weise zu ändern, dass Einkünfte in Höhe von ... DM bei der Besteuerung außer Ansatz bleiben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten, hat aber keinen Antrag gestellt.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hat die in Portugal verbrachte Urlaubszeit des Klägers zu Unrecht nicht in die Berechnung der abkommensrechtlich maßgeblichen Aufenthaltsdauer einbezogen. Seine Feststellungen lassen jedoch keine abschließende Entscheidung darüber zu, in welchem Umfang der Arbeitslohn des Klägers bei einer Berücksichtigung des Urlaubs als „Aufenthalt” in Portugal von der deutschen Einkommensteuer befreit ist.

1. Das FG hat festgestellt, dass der Kläger im Streitjahr in Deutschland einen Wohnsitz hatte. Diese Feststellung ist nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb im Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Der Kläger war deshalb unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 des EinkommensteuergesetzesEStG—), unterlag also mit seinen Welteinkünften der deutschen Besteuerung. Da sich in Deutschland sein Familienwohnsitz befand und er am Arbeitsort ersichtlich allenfalls einen vorübergehenden Zweitwohnsitz besaß, war er aus abkommensrechtlicher Sicht zumindest gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Portugal in Deutschland ansässig.

2. Nach Art. 24 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Portugal werden bei einer in Deutschland ansässigen Person diejenigen Einkünfte aus Portugal, die nach dem DBA-Portugal in Portugal besteuert werden können, regelmäßig von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen. Ausnahmen von dieser Regel ergeben sich aus Art. 24 Abs. 2 Buchst. a Satz 3 und aus Art. 24 Abs. 2 Buchst. b DBA-Portugal; von diesen Bestimmungen wird der Streitfall jedoch nicht erfasst. Angesichts dessen kommt es im vorliegenden Verfahren darauf an, ob der Arbeitslohn des Klägers in Portugal besteuert werden darf.

3. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Portugal können Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) ausgeübte nichtselbständige Arbeit bezieht, im Tätigkeitsstaat besteuert werden. Das gilt nach Art. 15 Abs. 2 DBA-Portugal jedoch nicht, wenn der Empfänger der Vergütungen sich während des betreffenden Kalenderjahres insgesamt nicht länger als 183 Tage im Tätigkeitsstaat aufhält (Buchst. a), die Vergütungen von einem oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist (Buchst. b) und die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat getragen werden (Buchst. c); in diesem Fall ist abkommensrechtlich nur der Ansässigkeitsstaat zur Besteuerung der Vergütung berechtigt. Das FG hat ein Besteuerungsrecht Portugals hiernach nicht für gegeben erachtet, da die in Art. 15 Abs. 2 Buchst. a DBA-Portugal genannte Aufenthaltsdauer von mehr als 183 Tagen nicht erreicht sei. Dabei hat es darauf abgestellt, dass der Kläger während seiner Abordnung an die Y nur an 158 Tagen in Portugal „körperlich anwesend” gewesen und sein anschließend in Portugal verbrachter Urlaub nicht in die maßgebliche Aufenthaltszeit einzubeziehen sei. Dem ist nicht beizupflichten.

a) Art. 15 Abs. 2 Buchst. a DBA-Portugal macht das ausschließliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats davon abhängig, dass der Vergütungsempfänger sich während des betreffenden Kalenderjahres im Tätigkeitsstaat „insgesamt nicht länger als 183 Tage aufhält”. Nach dieser Formulierung kommt es insoweit allein auf die tatsächliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Tätigkeitsstaat an; eine Einschränkung des Inhalts, dass die Anwesenheit mit der Arbeitstätigkeit zusammenhängen oder ihr dienen müsse, ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen. Bei isolierter Betrachtung des Abkommentextes wird mithin die im Streitfall vorliegende Situation, in der das Zusammentreffen eines beruflichen und eines privaten Aufenthalts im Tätigkeitsstaat zum Überschreiten der Zeitgrenze von 183 Tagen führt, von Art. 15 Abs. 2 Buchst. a DBA-Portugal nicht erfasst.

b) Allerdings ist bei der Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht nur auf dessen Wortlaut, sondern auch auf den Sinn und Zweck und den systematischen Zusammenhang der auszulegenden Bestimmung abzustellen (Senatsurteil vom I R 40/97, BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207, m.w.N.). Zudem erlangen hierbei internationale Gepflogenheiten Bedeutung, die sich vor allem im OECD-Musterabkommen und in dem Kommentar hierzu (OECD-MustAbK) widerspiegeln (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 3 OECD-MA Rz. 78, m.w.N.). Auch unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes ist jedoch im Streitfall der in Portugal verbrachte Urlaub des Klägers in die Berechnung der dortigen Aufenthaltsdauer einzubeziehen.

aa) Die Finanzverwaltung rechnet Urlaubstage nur dann der Aufenthaltszeit im Tätigkeitsstaat zu, wenn sie unmittelbar vor, während oder unmittelbar nach der Tätigkeit im Tätigkeitsstaat verbracht werden ( BStBl I 1994, 11, Nr. 2). Das FG ist dem gefolgt und hat auf dieser Basis darauf abgestellt, dass der Kläger im Anschluss an seine Tätigkeit in Portugal zunächst nach Deutschland zurückgekehrt sei, um seine Familie abzuholen. Dabei habe er sich drei Tage außerhalb Portugals aufgehalten, so dass die in Portugal verbrachte Urlaubszeit nicht unmittelbar auf die dortige Tätigkeit gefolgt sei und mithin die Urlaubstage nicht in die abkommensrechtlich maßgebliche Aufenthaltsdauer einzubeziehen seien. Diese Deutung der genannten Verwaltungsanweisung hat das dem Verfahren beigetretene BMF unter Hinweis auf die Ausführungen im OECD-MustAbK (Nr. 5 zu Art. 15) bestätigt.

bb) Im vorliegenden Verfahren muss nicht abschließend entschieden werden, ob die Forderung nach einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Urlaubszeit mit Wortlaut und Zweck des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a DBA-Portugal vereinbar ist. Denn im Streitfall liegt ein solcher Zusammenhang jedenfalls vor: Zum einen betrug der zeitliche Abstand zwischen der Ausreise des Klägers aus Portugal nach Abschluss seiner Tätigkeit und seiner Wiedereinreise zum Zweck des Urlaubs nur wenige Tage. Zum anderen diente die zwischenzeitliche Rückkehr nach Deutschland nicht der Vornahme von Dienstgeschäften; vielmehr wollte der Kläger, dessen Urlaub sich unmittelbar an die Arbeitstätigkeit in Portugal anschloss, lediglich seine Familie an den Urlaubsort in Portugal holen. Eine solche Gestaltung ist in systematischer Hinsicht mit derjenigen vergleichbar, bei der ein Arbeitnehmer nach Abschluss seiner Tätigkeit im Tätigkeitsstaat (z.B. Portugal) verbleibt und dort seinen Urlaub verbringt, im Verlauf dieses Urlaubs aber kurzfristig einen Drittstaat (z.B. Spanien) aufsucht. In einem solchen Fall wäre der Abstecher in den Drittstaat nicht geeignet, den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen den ihm nachfolgenden Urlaubstagen und der vor Urlaubsantritt ausgeübten Tätigkeit in Frage zu stellen. Deshalb muss ein solcher Zusammenhang auch in der hier zu beurteilenden Konstellation angenommen werden.

c) Im Ergebnis ist deshalb der in Portugal verbrachte Urlaub des Klägers als „Aufenthalt in Portugal” i.S. des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a DBA-Portugal anzusehen. Unter Berücksichtigung der Urlaubszeit war nach den Feststellungen des FG die in der Vorschrift genannte Aufenthaltsdauer von mehr als 183 Tagen erreicht. Daher steht Art. 15 Abs. 2 DBA-Portugal einem Besteuerungsrecht Portugals nicht entgegen mit der Folge, dass die auf die Tätigkeit in Portugal entfallenden Einkünfte des Klägers von der deutschen Einkommensteuer befreit sind.

4. Das FG hat —von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig— zur Höhe dieser Einkünfte keine Feststellungen getroffen. Das kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden, weshalb die Sache zu diesem Zweck an das FG zurückverwiesen werden muss.

Zu der im zweiten Rechtsgang vorzunehmenden Berechnung der steuerbefreiten Einkünfte weist der Senat darauf hin, dass der von der X-AG gezahlte Arbeitslohn im Zweifel zeitanteilig der Tätigkeit des Klägers in Portugal einerseits und in Deutschland sowie ggf. in Drittstaaten andererseits zugeordnet werden muss. Dabei ist entgegen der Ansicht der Kläger nicht etwa ein auf die Urlaubszeit entfallender Teil des Arbeitslohns dem portugiesischen Tätigkeitsbereich zuzurechnen; vielmehr bleibt bei der gebotenen Aufteilung der Gesamtbezüge die Urlaubszeit außer Betracht. Der Senat verweist dazu auf sein Urteil vom I R 88/03 (BFHE 206, 64, BStBl II 2004, 936); die dort entwickelten Grundsätze gelten im Bereich des DBA-Portugal entsprechend. Schließlich wird zu beachten sein, dass nach Art. 24 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Portugal die dort genannten Einkünfte zwar von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, jedoch im Rahmen des in § 32b EStG geregelten Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1242
BFH/NV 2005 S. 1242 Nr. 8
HFR 2005 S. 1062 Nr. 11
IWB-Kurznachricht Nr. 14/2005 S. 661
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 1685
HAAAB-55278