Verrechnung der Sondervorauszahlung im Insolvenzverfahren
Gesetze: AO §§ 220, 226, 251; InsO § 95
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Verwalter in dem im September 2001 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der X-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Durch an ihn gerichtetes Schreiben vom hat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) gegen ein Guthaben des Klägers aus Umsatzsteuer Dezember 2001 in Höhe eines Teilbetrages von 7 166,24 € mit Ansprüchen aus Umsatzsteuer Mai 2001 in Höhe von 5 716,24 € und aus Umsatzsteuer Juni 2001 in Höhe von 1 450 € die Aufrechnung erklärt. Das zur Aufrechnung herangezogene Guthaben beruhte auf der Anrechnung der Umsatzsteuersondervorauszahlung 2001, die das FA in seinem Bescheid vom vorgenommen hatte. Das FA hat einen Abrechnungsbescheid vom erlassen, nach dessen Inhalt dieses Guthaben in Höhe von 7 166,24 € erloschen ist. Den hiergegen gerichteten Einspruch hat es im Mai 2002 zurückgewiesen. Bereits im November 2001 hatte das FA seine Forderungen gegenüber der Schuldnerin in Höhe von rd. 72 000 DM zur Insolvenztabelle angemeldet, und zwar im Wesentlichen Umsatzsteuer Mai 2001 (22 505,20 DM) und Juni 2001 (49 048 DM). Der Kläger hat der Anmeldung widersprochen. Aufgrund seiner vom Finanzgericht (FG) in seinem Urteil in Bezug genommenen Mitteilung vom , vorbehaltlich einer Korrektur nach § 17 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) betrage die Umsatzsteuervorauszahlung für Mai 2001 25 720 DM (entspricht 13 150,43 €) und für Juni 2001 22 322 DM (entspricht 11 413,06 €), hat das FA die Umsatzsteuervorauszahlungsforderung Juni 2001 auf vorgenannten Betrag berechnet und später mit Feststellungsbescheid vom festgestellt; die Umsatzsteuervorauszahlungsforderung Mai 2001 hat das FA dort auf 11 506,73 € (entspricht 22 505,20 DM) festgestellt.
Das FG hat den Abrechnungsbescheid dahin geändert, dass ein Umsatzsteuerguthaben des Klägers Dezember 2001 in Höhe von 7 166,24 € festgestellt werde. Es urteilte, im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des FA habe es an der Fälligkeit der Ansprüche auf Umsatzsteuer Mai und Juni 2001 gefehlt. § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG sei insoweit nicht anwendbar. Ob der Aufrechnung die Verbote nach §§ 95 und 96 der Insolvenzordnung (InsO) entgegenstünden, könne ebenso offen bleiben wie die Frage, ob mit dem vom FA erlassenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid Mai 2001 vom oder sogar dem vorausgegangenen, vorgenannten Schriftsatz des Klägers der Widerspruch des Klägers gegen die vom FA vorgenommene Anmeldung der Umsatzsteuer Mai 2001 zur Insolvenztabelle auf einen Betrag von 13 150,43 € beschränkt worden sei. Ebenso könne dahin stehen, wie sich der angefochtene Bescheid zu dem Feststellungsbescheid des FA in Einklang bringen lasse.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA. Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist die vom FA erklärte Aufrechnung nur wirksam und der angefochtene Abrechnungsbescheid folglich rechtmäßig, wenn die Forderung auf Umsatzsteuervorauszahlungen Mai und Juni 2001, mit der das FA gegen das der Schuldnerin zustehende Umsatzsteuerguthaben aus Dezember 2001 aufgerechnet hat, im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung fällig gewesen ist. Das scheitert indes anders als das FG meint nicht daran, dass die Forderungen des FA bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht durch Steuerbescheid festgesetzt waren und auch im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des FA nicht festgesetzt oder nach § 251 Abs. 3 AO 1977 festgestellt waren.
Nach § 220 Abs. 1 AO 1977 richtet sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis wie dem zwischen dem FA und der Schuldnerin bestehenden in erster Linie nach den Vorschriften der Steuergesetze. Greifen spezielle steuergesetzliche Fälligkeitsbestimmungen i.S. des § 220 Abs. 1 AO 1977 nicht ein, wird ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 —von dem hier nicht gegebenen Fall eines abweichenden Leistungsgebots abgesehen— grundsätzlich mit seiner Entstehung fällig. Die Gegenforderung des FA ist, was auch das FG und die Beteiligten nicht in Zweifel ziehen, im Februar 2002 entstanden gewesen; denn der Anspruch des FA auf Umsatzsteuervorauszahlungen entsteht mit dem Ende des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums —hier: 31. Mai bzw. — (vgl. , BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716).
Vorgenannten Grundsatz schränkt § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zwar ein. Denn nach dieser Vorschrift tritt die Fälligkeit erst mit der Bekanntgabe der Steuerfestsetzung ein, wenn sich in den Fällen des § 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977, also bei Steuern, für die keine spezialgesetzliche Fälligkeitsbestimmung getroffen ist, der betreffende Anspruch aus der Festsetzung der Steuer ergibt. Diese Einschränkung greift freilich dann nicht Platz, wenn der Anspruch des FA keiner Festsetzung durch Steuerbescheid nach § 218 Abs. 1 AO 1977 zugänglich ist, weil das FA wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch § 87 InsO gehindert ist, seine Steuerforderungen durch Steuerbescheid festzusetzen (vgl. , BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630). Das hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom VII R 45/03 (BFHE 205, 409, BStBl II 2004, 815) entschieden. Da das FA nach Verfahrenseröffnung einstweilen nicht einmal einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO 1977 erlassen kann, weil es bis zum Bestreiten seiner Forderung durch einen dazu Berechtigten an der Erforderlichkeit eines solchen Bescheides fehlt (vgl. BFH-Entscheidungen vom V R 80/77, BFHE 141, 7, BStBl II 1984, 545, und vom V B 73/99, BFH/NV 2000, 548), greift § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht ein. Die Fälligkeit der Forderung des FA richtet sich dann folglich nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977.
Da das Urteil des FG dieser Rechtslage nicht entspricht, ist es aufzuheben (§ 126 Abs. 3 FGO). Es erweist sich auch nicht als im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Der Aufrechnung des FA stehen jedenfalls Aufrechnungsverbote (§§ 95, 96 InsO) nicht entgegen, insbesondere nicht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Danach ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Die Forderung, gegen die das FA aufgerechnet hat, war zwar bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht festgesetzt, sie war jedoch bereits vor Verfahrenseröffnung dadurch begründet, dass die Schuldnerin vor Verfahrenseröffnung (vgl. § 48 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung —UStDV—) eine Sondervorauszahlung entrichtet hatte, die von vornherein unter der auflösenden Bedingung gezahlt worden ist, dass sie mit der Vorauszahlung des letzten Voranmeldungszeitraums zu verrechnen bzw. in dem betreffenden Zeitpunkt zu erstatten ist; das schließt die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO aus, weil der entstandene Erstattungsanspruch bereits vor Verfahrenseröffnung (aufschiebend bedingt) gegeben war (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791). Die Aufrechnung des FA war auch nicht nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen, weil die Forderung der Schuldnerin fällig geworden wäre, bevor die Aufrechnung erfolgen konnte, bevor also die Gegenforderung des FA fällig geworden ist. Denn die Forderung der Schuldnerin auf Erstattung von Umsatzsteuer ist erst durch die zum Dezember 2001 durch Bescheid vom Januar 2002 erfolgte Anrechnung der Umsatzsteuervorauszahlung 2001 (vgl. § 48 Abs. 4 UStDV) fällig geworden, während die Gegenforderung des FA, wie ausgeführt, bereits seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im September 2001 aufgerechnet werden konnte.
Die Sache ist spruchreif. Substantiierte Einwendungen gegen das Bestehen der aufgerechneten Forderungen des FA sind nicht erhoben worden, so dass der erkennende Senat keinen Anlass hat, den Rechtsstreit um einer diesbezüglichen tatrichterlichen Prüfung willen an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Der Senat kann vielmehr davon ausgehen, dass die Umsatzsteuerforderungen des FA in der bei der Aufrechnung zugrunde gelegten Höhe bestanden haben, nachdem substantiierte Einwände gegen diese Forderungen jedenfalls insoweit, als gegen sie nach Maßgabe des angefochtenen Bescheides aufgerechnet worden ist, in dem bisherigen Verfahren anscheinend nicht erhoben worden sind und der Kläger unbeschadet seines —offenbar in erster Linie vorsorglichen— Widerspruchs gegen die Anmeldung des FA zur Tabelle in seinem späteren Schreiben vom bezüglich der Umsatzsteuervorauszahlungen Mai und Juni 2001 im Vergleich zu den aufgerechneten noch wesentlich höhere Insolvenzforderungen als berechtigt anzuerkennen vorbehaltlich des § 17 Abs. 1 UStG, zu dessen tatsächlichen Voraussetzungen nichts vorgetragen oder sonst erkennbar ist, dem FA in Aussicht gestellt hat.
Die Klage ist folglich abzuweisen, weil der angefochtene Abrechnungsbescheid rechtmäßig ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AO-StB 2005 S. 261 Nr. 9
BFH/NV 2005 S. 1210
BFH/NV 2005 S. 1210 Nr. 8
NAAAB-54881