Ohne Antrag irrtümlich ausgezahltes Kindergeld kann nach § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert werden
Gesetze: AO § 37
Instanzenzug:
Gründe
I. Der geschiedene Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, beantragte mit Schreiben vom die Wiedergewährung des Familienzuschlages für seinen Sohn, der nach Ableistung des Zivildienstes und vorübergehendem Aufenthalt im Ausland zum nächstmöglichen Termin ein Studium aufnehmen wolle.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (Familienkasse) zahlte daraufhin mit den Bezügen des Klägers für Juli 2003 nicht nur den beantragten Kinderanteil im Familienzuschlag aus, sondern rückwirkend ab März 2003 auch Kindergeld für den Sohn fortlaufend bis einschließlich November 2003.
Mit Schreiben vom begehrte der Kläger, seinen Sohn „auch weiterhin ab Dezember 2003” bei Familienzuschlag, Sonderzahlung und Kindergeld zu berücksichtigen.
Mit Bescheid vom hob die Familienkasse die „Festsetzung des Kindergeldes” mit Wirkung vom gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf unter Hinweis darauf, dass die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien, weil das Kind im Haushalt des anderen Elternteils lebe; dieser andere Elternteil sei daher vorrangig anspruchsberechtigt. Zugleich forderte sie das gezahlte Kindergeld für die Monate März bis November 2003 in Höhe von 1 386 € nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zurück.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, die Familienkasse habe das streitbefangene Kindergeld unabhängig von dem Aufhebungsbescheid von vornherein ohne Rechtsgrund i.S. von § 37 Abs. 2 AO 1977 gezahlt, weil den Zahlungen keine Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG zugrunde gelegen habe. Die Erteilung eines solchen Bescheids sei zwar nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG verzichtbar, wenn dem Antrag des Kindergeldberechtigten entsprochen werde. Ein Antrag nach § 67 EStG liege aber nicht vor. Vielmehr habe der Kläger im Schreiben vom ausschließlich die Gewährung des kindbedingten Familienzuschlags begehrt. Sein Antrag auf Kindergeld vom beziehe sich auf die Zeit ab Dezember 2003 und somit nicht auf den streitbefangenen Zeitraum.
Da die Familienkasse im Verhandlungstermin den im Bescheid vom enthaltenen Rechtsschein der „Aufhebung” der Kindergeldfestsetzung, die mangels vorheriger Festsetzung ins Leere gegangen sei, wieder beseitigt habe, fehle es hinsichtlich der vom Kläger begehrten Gewährung von Kindergeld ab März 2003 an einem erforderlichen Vorverfahren nach § 44 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die Gründe der Fortbildung des Rechts und der Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternativen 1 und 2 FGO sowie eines schwerwiegenden Rechtsfehlers des FG für die Zulassung der Revision geltend.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 FGO).
1. Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ist nicht gegeben.
a) Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Eine Rechtsfrage ist aber nicht klärungsbedürftig, wenn sich ihre Beantwortung eindeutig aus dem Gesetz ergibt und zweifelsfrei so zu beantworten ist, wie es das FG in dem angefochtenen Urteil getan hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom V B 101/03, BFHE 205, 416, BStBl II 2004, 748).
b) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Zahlung von Kindergeld ohne Antrag als Verwaltungsakt zu behandeln ist, der einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Kindergeldes i.S. von § 37 Abs. 2 AO 1977 darstellt, ist nicht klärungsbedürftig. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage durch das FG entspricht der eindeutigen Rechtslage.
Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG ist das Kindergeld durch Bescheid festzusetzen. Von der Erteilung eines schriftlichen Bescheids kann nur abgesehen werden, wenn einem Antrag des Kindergeldberechtigten entsprochen wird (§ 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG).
Der Kläger hat im Schreiben vom ausdrücklich nur den bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu gewährenden kindbedingten Familienzuschlag beantragt. Die Auszahlung des Kindergeldes hätte daher einer Festsetzung bedurft. Das von der Familienkasse mit den Bezügen irrtümlich ausgezahlte Kindergeld für die Monate März bis November 2003 ist daher ohne Rechtsgrund geleistet worden und durfte von der Familienkasse nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zurückgefordert werden.
Auf die vom Kläger in diesem Zusammenhang ergänzend angesprochene Rechtsfrage, ob diese Grundsätze auch für den Fall gelten, dass das Kindergeld auf Antrag des Kindergeldberechtigten nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ohne schriftlichen Bescheid ausgezahlt wird, kommt es in diesem Verfahren nicht an, da das Kindergeld ohne vorherigen Antrag gezahlt wurde.
Die Ausführungen des Klägers zu § 126 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sind ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Die Heilung von Verfahrensmängeln nach dieser Vorschrift setzt einen Verwaltungsakt voraus. Im Streitfall ist aber gerade kein Kindergeld festsetzender Verwaltungsakt ergangen. Das Kindergeld ist aufgrund eines Eingabefehlers der Familienkasse irrtümlich ausgezahlt worden. Nur wenn ein Antrag auf Kindergeld gestellt, dieser Antrag geprüft und dann Kindergeld entsprechend dem Antrag ausbezahlt wird, kann in der Auszahlung eine konkludente Festsetzung gesehen werden. Bei irrtümlicher Auszahlung ohne Antrag liegt keine Festsetzung vor, die durch einen nachträglichen Antrag geheilt werden könnte. Vielmehr hat die Familienkasse bei einem erst nach dem Erlass des Rückforderungsbescheids gestellten Antrag auf Kindergeld zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Wird dieser Antrag —wie im Streitfall— erst im Klageverfahren nachgeholt, fehlt es an dem erforderlichen Vorverfahren, weil die Familienkasse über den Antrag noch nicht entschieden hat.
Soweit der Kläger die Frage der Haushaltsaufnahme nach § 63 EStG für volljährige Kinder angesprochen hat, ist diese Rechtsfrage im Streitfall nicht klärungsbedürftig, da das FG ausdrücklich über die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Kindergeldberechtigung keine Entscheidung getroffen hat. Dies war auch nicht erforderlich, da die Familienkasse keinen Festsetzungsbescheid erteilt hatte, dessen materielle Rechtmäßigkeit das FG hätte prüfen müssen. Selbst den Rechtsschein einer Festsetzung, der sich daraus ergab, dass im Rückforderungsbescheid vom eine nicht vorhandene Festsetzung aufgehoben worden war, hat die Familienkasse in der mündlichen Verhandlung durch „Aufhebung der Aufhebung” beseitigt. Das FG hatte somit nur um die Rückforderung des ohne Rechtsgrund geleisteten Kindergeldes nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zu entscheiden. Die Prüfung der Voraussetzungen der Kindergeldberechtigung wurde ausdrücklich einem weiteren Verwaltungsverfahren vorbehalten.
2. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist gleichfalls nicht gegeben.
Die gerügte Divergenz liegt nicht vor. Der von dem Kläger aus dem FG-Urteil abgeleitete Rechtssatz, „ein Aufhebungsbescheid über ohne vorherigen Antrag gewährte Kindergeldzahlungen stelle einen Scheinverwaltungsakt dar, der rechtlich irrelevant und daher einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nicht zugänglich sei”, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen.
Im Gegenteil ergibt sich aus den Entscheidungsgründen des Urteils, dass das FG die von der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ausgehende Rechtswirkung gesehen und deshalb die Familienkasse zur „Aufhebung der Aufhebung” veranlasst hat. Dieser nur noch die Rückforderung des versehentlich gezahlten Kindergeldes enthaltende Änderungsbescheid wurde nach § 68 FGO Verfahrensgegenstand, so dass nur über die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zu entscheiden war. Zu einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage bezogen auf einen Scheinverwaltungsakt hat das FG gerade keine Aussage getroffen.
Nicht entscheidungserheblich ist auch der Vortrag des Klägers, es liege ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vor, weil mit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung im Bescheid vom zugleich das Kindergeld für künftige Zeiträume versagt werde. Denn —wie dargelegt— hat die Familienkasse in der mündlichen Verhandlung den von der Aufhebung der nicht vorhandenen Kindergeldfestsetzung ausgehenden Rechtsschein wieder rückgängig gemacht, so dass die ursprüngliche Aufhebung auch nicht in Bestandskraft erwachsen konnte. Im Übrigen kann nur die Auszahlung von Kindergeld aufgrund eines zuvor gestellten Antrags auf Gewährung von Kindergeld einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellen, der monatliche Einzelregelungen umfasst (, BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174; Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 70 Rz. 1). Da es im Streitfall an einem vorherigen Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld fehlt, wäre der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung von vornherein auch aus diesem Grund keine Dauerwirkung zugekommen.
3. Schließlich ist auch kein schwerwiegender Fehler des FG erkennbar, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
Die Entscheidung des FG erscheint weder objektiv willkürlich, noch beruht sie auf sachfremden oder rechtlich unvertretbaren Erwägungen (, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1305 Nr. 8
PAAAB-54863