Keine Verletzung des Rechts auf Gehör bei Hinweis des FG auf Bedeutung neuer Gesichtspunkte
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
1. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) lehnte die beantragte Änderung der bestandskräftigen Bescheide für 1997 und 1998 gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ab, weil der Berater der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) das nachträgliche Bekanntwerden der Tatsache, dass bestimmte Zinszahlungen betrieblich veranlasst gewesen seien, grob verschuldet habe. Die Sachbearbeiterin hatte bei der Erstellung der Gewinnermittlung für das Wirtschaftsjahr 1994 bereits als betrieblich erfassten Zinsaufwand eines Darlehenskontos mit dem Vermerk „Wohnung” auf ein Privatkonto umgebucht, was zu einer entsprechenden fehlerhaften Behandlung auch in den Folgejahren führte.
Die Klage hatte keinen Erfolg; die Übernahme des Fehlers aus den Vorjahren sei zwar keine grobe Fahrlässigkeit, es handele sich dabei aber um eine nachträglich bekannt gewordene fehlerhafte Rechtsauffassung und nicht um eine Tatsache. Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Kläger die Zulassung der Revision mit der Begründung, das Finanzgericht (FG) habe ihr Recht auf Gehör verletzt und sei von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen.
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die Voraussetzungen hierfür müssen innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des Urteils dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).
a) Das Gericht verstößt gegen Verfahrensvorschriften (§ 96 Abs. 2 FGO) und verletzt das Recht auf Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn die Verfahrensbeteiligten von einer Entscheidung überrascht werden, weil das Urteil auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gegründet ist, zu denen sie sich nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern sie nach dem vorherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten (, BFH/NV 1998, 732, m.w.N.).
Soweit die Kläger als Verfahrensfehler die Verletzung ihres Rechts auf Gehör unter dem Gesichtspunkt einer „Überraschungsentscheidung” rügen, ist die Beschwerde schon deshalb unbegründet, weil sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, dass der Vorsitzende des FG zum Ende der mündlichen Verhandlung die Frage aufgeworfen hatte, „ob das Verhalten der seinerzeitig betrauten Mitarbeiterin überhaupt den Charakter einer neuen Tatsache in sich trage” und ihre Entscheidung nicht vielmehr als rechtliche Wertung zu qualifizieren sei. Der Vorsitzende hatte dabei auch zu erkennen gegeben, dass dies dazu führen könne, dass die beantragte Änderung der Bescheide nach § 173 AO 1977 ausgeschlossen sei. Erst im Anschluss hieran wurden —so der Prozessvertreter der Kläger— die Anträge verlesen.
Es mag zwar sein, dass der Hinweis des Vorsitzenden den Prozessbevollmächtigten überraschte, nachdem die Beteiligten bis dahin nur darum gestritten hatten, ob die Fortführung des 1994 unterlaufenen Fehlers als grobes Verschulden des Beraters anzusehen sei; er war damit aber vorgewarnt, dass das FG möglicherweise auf diesen neuen Gesichtspunkt abstellen werde. Den Klägern bzw. ihrem Prozessvertreter war damit Gelegenheit gegeben, auch zu dieser rechtlichen Frage Stellung zu nehmen oder zumindest den Vorsitzenden hierzu um weitere Erläuterungen zu bitten und gegebenenfalls den Nachlass einer rechtlichen Stellungnahme zu beantragen. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte ohne Zusatzinformationen der Kläger keine Stellung nehmen konnte, wofür nichts ersichtlich ist, so hätte er in der mündlichen Verhandlung nunmehr einen Vertagungsantrag stellen können und müssen (vgl. auch , BFHE 176, 571). Dass das FG die Klage tatsächlich aus dem vom Vorsitzenden angesprochenen Grunde dann ablehnte, durfte die Kläger nicht mehr überraschen.
b) Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Zur Zulässigkeit einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer u.a. dartun, dass das vorinstanzliche Gericht dem angefochtenen Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem —ebenfalls tragenden— abstrakten Rechtssatz einer Entscheidung des BFH abweicht. Das setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die betreffenden Rechtssätze der Vorentscheidung und des BFH so genau bezeichnet, dass die behauptete Abweichung erkennbar wird (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 48 ff. und § 116 Rz. 42 f.). Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen der Kläger nicht. Eine Divergenz ist innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht ausreichend dargelegt worden. Sie liegt im Übrigen auch nicht vor.
Soweit der Prozessbevollmächtigte in Erwiderung auf den Schriftsatz des FA näher auf die (BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585) und vom VIII R 65/93 (BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264) eingeht, ergibt sich daraus keine Abweichung des FG von der Rechtsprechung des BFH. Nach diesen Urteilen kann ein Steuerbescheid zwar geändert werden, wenn sich aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen (oder Beweismittel) herausstellt, dass die vom Steuerpflichtigen übernommene Wertung nicht zutrifft. Diese Aussage bezieht sich aber ausdrücklich nur auf solche Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger beispielsweise unter der Bezeichnung „Kauf”, „Pacht” oder „Vermietung” in der Steuererklärung vorgreifliche Rechtsverhältnisse geltend macht. Dieser Sachverhalt kann nicht mit dem des Streitfalls gleichgesetzt werden, in dem bei der steuerrechtlichen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts —hier die Veranlassung von Zinsaufwand— ein Fehler unterlaufen ist.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1331 Nr. 8
NAAAB-54346