Fortsetzung des Verfahrens nach § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO vorrangig gegenüber Klage gegen Zinsbescheid
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte gegen die Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 1987 bis 1990 geklagt und diese Klage (Az. 17 K 4972/98 E) in der mündlichen Verhandlung vom zurückgenommen. Das Verfahren wurde durch Beschluss vom eingestellt.
Daraufhin setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) mit Bescheid vom Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1987 bis 1990 jeweils für den Zeitraum vom bis in Höhe von insgesamt 2 872 € fest. Hiergegen legte der Kläger nach erfolglosem Einspruch am Klage ein. Er beantragte, den Zinsbescheid aufzuheben, hilfsweise, das Verfahren 17 K 4972/98 E fortzusetzen. Er habe die Klage nur unter „unwiderstehlichem Zwang” zurückgenommen.
Das Finanzgericht (FG) trennte durch Beschluss vom das Verfahren wegen Fortsetzung des Verfahrens 17 K 4972/98 E ab und entschied im angefochtenen Urteil nur über die Aussetzungszinsen.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, die der Kläger auf einen Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stützt. Die Vorinstanz habe die einheitliche Klage aufgespalten, so dass deren Zweck vereitelt werde. Innerhalb des Prozesses gegen den Zinsbescheid sei incidenter zu entscheiden, ob die Erklärung der Klagerücknahme wirksam gewesen sei.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung ist nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Denn der vom Kläger gerügte Verfahrensfehler liegt vor.
Der Kläger macht mit seinem Vortrag, das FG habe den Rechtsstreit nicht aufspalten und allein über die Klage gegen den Zinsbescheid entscheiden dürfen, sinngemäß die Verletzung des § 73 Abs. 1 Satz 2 FGO, jedenfalls aber des § 74 FGO geltend.
1. Nach § 73 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht durch Beschluss anordnen, dass mehrere in einem Verfahren zusammengefasste Klagegegenstände in getrennten Verfahren verhandelt und entschieden werden. Der Trennungsbeschluss kann zwar nicht angefochten werden (§ 128 Abs. 2 FGO), kann aber nach der ständigen Rechtsprechung zu einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führen, wenn das FG die Klagegegenstände ohne sachlichen Grund voneinander getrennt hat oder wenn es einen Beteiligten dadurch prozessual in der Wahrnehmung seiner Rechte behindert (, BFH/NV 1999, 329; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 73 FGO Tz. 12 unter 5., m.w.N.).
Ob eine Trennung pflichtgemäßem Ermessen widerspricht, wenn ein Verfahren —wie hier— eine Klage mit Haupt- und Hilfsantrag umfasst, ist umstritten. Die herrschende Meinung im Schrifttum bejaht diese Frage, weil vor der Entscheidung über den Hilfsantrag über den Hauptantrag entschieden werden muss (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 73 FGO Tz. 9, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 73 Anm. 24; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 13. Aufl., § 93 Rz. 3). Nach einer anderen Auffassung ist zwar eine Trennung zulässig, wenn nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für die Klagegegenstände verschiedene Senate zuständig sind; der für den Hilfsantrag zuständige Senat hat dieses jedoch auszusetzen bis das Verfahren über den Hauptantrag entschieden ist (so Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 73 Rz. 31).
2. Der Senat kann unerörtert lassen, welcher Auffassung er folgt. Denn jedenfalls hat das FG, indem es mit seiner angefochtenen Sachentscheidung zunächst über den Zinsbescheid entschieden hat, insoweit gegen Verfahrensrecht verstoßen. Es hätte dieses Verfahren nach § 74 FGO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über den Fortsetzungsantrag aussetzen müssen (vgl. , BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731 zur Verletzung der Grundordnung des Verfahrens).
a) Um ein Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag handelt es sich auch im Streitfall, allerdings in der umgekehrten Reihenfolge als dies vom Kläger vor dem FG beantragt wurde. Gegen den Zinsbescheid macht der Kläger allein geltend, er habe die Klage unter „unwiderstehlichem Zwang” zurückgenommen. Damit verneint er eine Voraussetzung, unter der das FA Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung nach § 237 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) festsetzen kann, nämlich dass eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid (hier die Anfechtungsklage mit dem Az. 17 K 4972/98 E gegen die Einkommensteuerbescheide der Jahre 1987 bis 1990) endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Der Kläger kann nachträglich die Unwirksamkeit der Rücknahme geltend machen (§ 72 Abs. 2 Satz 3 FGO), und zwar durch einen Fortsetzungsantrag (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO Rz. 122; Gräber/Koch, a.a.O., § 72 Rz. 40, m.w.N.) im Rahmen des bisherigen Klageverfahrens. Es handelt sich bei diesem Antrag entgegen der Beschwerdebegründung nicht um einen Feststellungsantrag, sondern um einen Antrag zur Fortsetzung der Anfechtungsklage.
b) Dieser Antrag ist gegenüber der zugleich erhobenen Klage gegen den Zinsbescheid prozessual vorrangig (vgl. zum Verhältnis bei Klagehäufung auch Steinhauff in HHSP, § 43 FGO Rz. 22, m.w.N.); denn von seinem Erfolg hängt der Zinsanspruch nach § 237 AO 1977 ab. Stellt das Gericht nämlich die Unwirksamkeit der Klagerücknahme fest, setzt es das Verfahren fort und entscheidet durch Endurteil in der Sache (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 159, 486, BStBl II 1990, 503). Von dem Ausgang dieses Verfahrens ist die Klage gegen den Zinsbescheid abhängig. Denn eine Entscheidung in dieser Sache (z.B. Stattgabe oder Abweisung der Klage; Feststellung, dass Klage zurückgenommen worden ist) wirkt sich auf die Rechtmäßigkeit des Zinsbescheides aus. Wendet sich der Kläger deshalb gegen den Zinsbescheid und beantragt zugleich die Fortsetzung des Verfahrens nach § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO, wegen dessen endgültiger Erfolglosigkeit Zinsen nach § 237 Abs. 1 AO 1977 festgesetzt wurden, so ist zunächst über den Fortsetzungsantrag zu entscheiden.
c) Dieses Verhältnis beider Anträge zueinander hat zur Folge, dass das FG jedenfalls die Klage gegen den Zinsbescheid solange nach § 74 FGO aussetzen muss, bis über den Fortsetzungsantrag entschieden ist.
3. Im Streitfall hätte das FG das Verfahren über den Fortsetzungsantrag mit dem Az. 17 K 4972/98 E deshalb entweder nicht vom Verfahren über den Zinsbescheid abtrennen dürfen oder aber mit seiner Entscheidung über den Zinsbescheid solange warten müssen, bis über den Fortsetzungsantrag rechtskräftig entschieden ist. Dieser Verfahrensfehler wirkt sich auf das angefochtene Urteil aus; denn es hätte nicht ergehen dürfen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 836 Nr. 6
HAAAB-51717