Anforderungen an die Wiedereinsetzung bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist
Gesetze: FGO § 56
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Auf die Beschwerde der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat der Senat die Revision mit einem dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am zugestellten Beschluss zugelassen.
Nachdem innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keine Revisionsbegründung beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen war, wies der Senatsvorsitzende den Prozessbevollmächtigten der Kläger mit einem am zugestellten Schreiben auf die Fristversäumnis und die Vorschrift des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin.
Daraufhin übersandte der Prozessbevollmächtigte am eine Revisionsbegründung und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dazu trug er vor, die Revisionsbegründung bereits am fertig gestellt, selbst kuvertiert und frankiert und noch am gleichen Tag „in den Postkasten an der Universität” X eingeworfen zu haben.
In einem weiteren, am eingegangenen Schriftsatz hat er diese Ausführungen dahin ergänzt, dass er den Brief mit der Revisionsbegründungsschrift um 12.30 Uhr auf dem Weg zur Mensa eingeworfen habe und der Postkasten um 17 Uhr geleert werde. Er ist der Auffassung, dass es in seinem Fall auf eine Fristenkontrolle nicht ankomme, weil er den Brief persönlich eingeworfen habe, hauptberuflich als Hochschullehrer tätig sei und als Steuerberater nebenberuflich nur ca. fünf Klagen bzw. Revisionen im Jahr bearbeite. Er führe keine Fristenkontrolle mittels eines gebundenen Buches durch, sondern trage sämtliche durchzuführenden Arbeiten in eine Tätigkeitsliste („ABC-Liste”) ein; nach Erledigung der Arbeit werde der Eintrag gestrichen.
Nach Aufforderung des Berichterstatters des beschließenden Senats, zur Glaubhaftmachung der in seinem Wiedereinsetzungsantrag angeführten Tatsachen eine Ablichtung des entsprechenden Auszugs seiner „ABC-Liste” sowie eine eidesstattliche Versicherung vorzulegen, versicherte der Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom an Eides statt, dass er die Revisionsbegründung am fertig gestellt und den betreffenden Schriftsatz zusammen mit anderer Post auf dem Weg zur Mensa in den Postkasten an der Universität X eingeworfen habe. Gleichzeitig teilte er mit, da er seine „ABC-Listen” etwa alle zwei Wochen neu schreibe, wenn die Streichungen erledigter Sachen die unerledigten Angelegenheiten überwögen, hebe er die alten Listen nicht auf.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist das angefochtene Urteil aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1. Die Kläger haben die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Wird die Revision auf eine Beschwerde der Kläger vom BFH zugelassen, ist sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). Der Zulassungsbeschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am zugestellt. Gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs endete die Revisionsbegründungsfrist am und konnte durch die erst am eingegangene Revisionsbegründung nicht gewahrt werden.
2. Den Klägern kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Die Gewährung von Wiedereinsetzung setzt in formeller Hinsicht voraus (vgl. § 56 Abs. 2 FGO in der bis geltenden Fassung), dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll; die Glaubhaftmachung der geltend gemachten Tatsachen kann hingegen auch noch im weiteren Verfahren über den Antrag geschehen (BFH-Beschlüsse vom II R 211/81, BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681; vom VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616, und vom VII B 246/02, BFH/NV 2003, 1206).
Das Wiedereinsetzungsbegehren der Kläger scheitert jedenfalls daran, dass sie ihren Vortrag nicht hinreichend glaubhaft gemacht haben.
a) Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf die Behauptung der fristgerechten Absendung eines beim Adressaten nicht eingegangenen Schriftsatzes gestützt, sind zum einen genaue Angaben dazu erforderlich, wann (an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten oder Abgabe in einer bestimmten Postfiliale) und von welcher Person der Schriftsatz zur Post gegeben worden ist (BFH-Beschlüsse vom X R 90/87, BFH/NV 1989, 110; in BFH/NV 1993, 616; vom VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644; vom I R 13/96, BFH/NV 1997, 120, und vom VIII R 35/96, BFH/NV 1998, 1242, unter 1.). Ferner ist die Organisation der Fristenkontrolle nach Art und Umfang darzulegen (BFH-Beschlüsse vom IX R 43/90, BFH/NV 1994, 813, unter 5., und vom X R 71/01, BFH/NV 2002, 1320). Schließlich sind diese Angaben durch geeignete Beweismittel glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2, § 155 FGO, § 294 ZPO). Dazu ist sowohl die Abgabe detaillierter eidesstattlicher Versicherungen der mit der Anfertigung und Absendung des Schriftsatzes unmittelbar befassten Personen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1242, unter 1.) als auch die Vorlage von Auszügen aus dem Fristenkontrollbuch und dem Postausgangsbuch erforderlich (, BFH/NV 1995, 1002).
Im Streitfall haben die Kläger lediglich vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Revisionsbegründungsschrift am fertig gestellt, selbst kuvertiert und frankiert und in den Postkasten an der Universität X eingeworfen. Es kann dahinstehen, ob mit diesem Vortrag die Anforderungen der Rechtsprechung an die Bezeichnung des Postbriefkastens, in den die Sendungen eingeworfen worden sein sollen, erfüllt werden (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom II B 197/88, BFH/NV 1990, 298, unter 2.; in BFH/NV 1994, 644; in BFH/NV 1994, 813, unter 5.; vom VII B 112/01, BFH/NV 2002, 798, und in BFH/NV 2003, 1206), zumal sich im räumlichen Ausdehnungsbereich größerer Universitäten regelmäßig mehrere Postbriefkästen befinden. Jedenfalls haben die Kläger keinerlei Darlegungen zu Art und Umfang der bei ihrem Prozessbevollmächtigten eingerichteten Fristenkontrolle vorgebracht (vgl. dazu , BFH/NV 2002, 946).
b) Selbst wenn man den Vortrag in dem weiteren Schriftsatz vom , der Prozessbevollmächtigte trage sämtliche zu erledigenden Arbeiten „gegebenenfalls mit Frist” in seine Tätigkeitsliste ein, als zulässige Ergänzung des innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragenen Wiedereinsetzungsgrunds der rechtzeitigen Absendung ansieht, fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Glaubhaftmachung. Denn einen Auszug aus dieser Tätigkeitsliste konnte der Prozessbevollmächtigte der Kläger dem Senat nicht vorlegen, obwohl die Vorlage derartiger vorhandener objektiver Mittel der Glaubhaftmachung nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht durch die Abgabe persönlicher Erklärungen oder Versicherungen ersetzt werden kann (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1995, 1002; vom III R 13/96, BFH/NV 1997, 420, unter III., und vom III B 146/96, BFH/NV 1997, 674).
c) Im vorliegenden Fall muss nicht abschließend entschieden werden, welche Anforderungen an die Fristen- und Postausgangskontrolle bei Steuerberatern, die nur eine geringe Anzahl an Mandaten betreuen, zu stellen sind.
Die Rechtsprechung ist bisher davon ausgegangen, dass eine Überwachung der Fristen „von Fall zu Fall” genügen kann, wenn nur wenige Verfahren mit fristgebundenen Schriftsätzen zu führen sind. Auch dann erfordert die Überwachung aber eine allgemeine Organisation, die gewährleistet, dass eine Frist erst nach dem Abgang des Schriftsatzes gestrichen wird ( 9b RU 8/86, BSGE 61, 213, für eine Behörde, die nur etwa zehn Berufungen im Jahr selbst einlegt; daran anschließend , BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, unter 4.). Auch in der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom T 428/98 (ABl EPA 2001, 494, juris MPRE110060964, unter 3.5.) sind —für den Fall einer „kleinen Arbeitseinheit”, in der der Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen allein für die Bearbeitung der anfallenden Akten verantwortlich war— nicht etwa die Anforderungen an die Fristenkontrolle als solche begrenzt worden; vielmehr wurde dort nur ausgesprochen, dass eine Überwachung der Fristenkontrolle durch einen von der fristenführenden Person unabhängigen Kontrollmechanismus nicht geboten sei. Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine jedenfalls diesen Mindestanforderungen entsprechende Organisation der Überwachung des Fristablaufs eingerichtet hätte, hat er weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Zwar kann es an der Ursächlichkeit eines Organisationsmangels für die Fristversäumung fehlen, wenn der Prozessbevollmächtigte —wie hier— vorträgt, das beim Adressaten nicht eingegangene Schreiben persönlich zur Post gegeben zu haben (, BFH/NV 2000, 546, unter 2.). Auch in diesen Fällen muss aber der Absendevorgang detailliert geschildert und eine Kopie des Fristen- oder Postausgangsbuchs vorgelegt werden; allein eine Versicherung des Prozessbevollmächtigten genügt nicht (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 546, unter 3.a, und vom IX R 24/01, BFH/NV 2003, 198, unter 2.a).
Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass sich weder dem Steuerberatungsgesetz noch der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften Regelungen entnehmen lassen, die bei lediglich nebenberuflich tätigen Steuerberatern eine Herabsetzung der —gerade im Interesse der Mandanten geltenden— Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt und die einzurichtende Organisation rechtfertigen könnten. Vielmehr gebietet der Schutzzweck dieser Vorschriften eine Beachtung der Sorgfaltsanforderungen unabhängig vom Umfang der unter der Bezeichnung als „Steuerberater” ausgeübten Tätigkeit, der zudem für den einzelnen Mandanten nicht immer erkennbar sein wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1115 Nr. 7
EAAAB-51705