BFH Beschluss v. - VII B 17/04

Zulässigkeit der Verwertung von schriftlichen Zeugenaussagen im Wege des Urkundsbeweises; Festsetzung von Einfuhrabgaben für eingeschmuggelte Zigaretten

Gesetze: FGO §§ 81, 115

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden vom Hauptzollamt W, dessen Zuständigkeit auf den Beklagten und Beschwerdegegner übergegangen ist, wegen vorschriftswidrigen Verbringens von unversteuerten Zigaretten in das Zollgebiet der Gemeinschaft als Gesamtschuldner abgabenrechtlich in Anspruch genommen. Während die Kläger Festsetzungen von Einfuhrabgaben für in den Jahren 1996 und 1997 eingeschmuggelte Zigaretten rechtsbeständig werden ließen, erhoben sie nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage gegen Steuerbescheide vom , mit denen Einfuhrabgaben für im Jahr 1993 eingeschmuggelte Zigaretten festgesetzt worden waren. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung aus, dass es nach den zollamtlichen Feststellungen, den Einlassungen der Kläger und dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu seiner Überzeugung feststehe, dass der Kläger zu 1. auch im Jahr 1993 Zigaretten aus Tschechien in das Zollgebiet der Gemeinschaft vorschriftswidrig eingeführt habe. Dies ergebe sich insbesondere aus Aufzeichnungen in einem sichergestellten Kalender für das Jahr 1993, welche als „Buchführung” über den Handel mit Zigaretten in jenem Jahr anzusehen seien. Sollte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen sein, dass die Klägerin zu 2. zu jener Zeit nicht an den Schmuggelfahrten teilgenommen habe, so habe sie die Zigaretten später jedenfalls in Besitz gehabt, wobei sie hätte wissen müssen, dass es sich um eingeschmuggelte Ware gehandelt habe.

Zuvor waren die Kläger bereits mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts (AG) wegen gewerbsmäßigen Schmuggels in 64 Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das AG ging bei dieser Verurteilung davon aus, dass die Kläger in den Jahren 1996 und 1997 an 64 Tagen gemeinschaftlich handelnd Zigaretten aus Tschechien eingeschmuggelt hatten.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger geltend, dass das Urteil des FG auf Verfahrensmängeln i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beruhe, dass die Rechtssache aber auch grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO habe.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe zum Teil nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert, jedenfalls aber nicht vorliegen.

1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung und innerhalb der Begründungsfrist schlüssig und substantiiert darlegen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO). Dazu ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 5/95, BFH/NV 1996, 141, m.w.N., und vom V B 23/00, BFH/NV 2000, 1148).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht, denn sie formuliert nicht einmal eine abstrakte Rechtsfrage, sondern macht geltend, dass das FG-Urteil an Rechtsfehlern leide, welche geeignet seien, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Zum einen kann mit diesem Vorbringen nicht die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache, sondern allein der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) dargelegt werden (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896), zum anderen fehlt es aber auch bezüglich dieses Zulassungsgrundes an schlüssigen Darlegungen der Beschwerde. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das erstinstanzliche Urteil auf Rechtsfehlern, geschweige denn auf Rechtsfehlern dieser Art beruht.

2. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf denen die Entscheidung des FG beruhen kann, liegen —soweit sie überhaupt als schlüssig dargelegt i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO angesehen werden können— nicht vor.

a) So rügt die Beschwerde zu Unrecht, dass das FG die tatsächlichen Feststellungen des AG aus dem Strafverfahren gegen die Kläger nicht übernommen habe. Das FG ist zwar nicht gehindert, sich die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen eines Strafgerichts zu Eigen zu machen, wenn und soweit es diese für zutreffend hält; eine Verpflichtung, die im Strafverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu übernehmen, besteht hingegen nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 1988, 692; vom VII R 17/03, BFHE 204, 380). Darüber hinaus lassen sich dem Strafurteil ohnehin keine tatsächlichen Feststellungen des AG entnehmen, wonach die Kläger im Jahr 1993 keine unversteuerten Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht haben; vielmehr enthält jenes Urteil hinsichtlich dieses Zeitraums keine tatsächlichen Feststellungen. Die Kläger sind vom AG zwar wegen gewerbsmäßigen Schmuggels in 64 Fällen während der Jahre 1996 und 1997 strafrechtlich verurteilt worden; jedoch verhält es sich nicht etwa so, dass die Kläger wegen entsprechender auch im Jahr 1993 begangener Straftaten angeklagt waren, insoweit aber vom AG freigesprochen worden sind.

b) Soweit die Beschwerde rügt, dass das FG die vernommene Zeugin von vornherein als nicht glaubwürdig angesehen habe, weil diese die Schwester der Klägerin zu 2. sei, legt sie zum einen keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen sind (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 82 f.); zum anderen ist dieses Vorbringen aber auch offensichtlich unzutreffend, weil das FG allein den Inhalt der Zeugenaussage als nicht glaubhaft angesehen und keineswegs die Ansicht vertreten hat, dass der Zeugin kein Glauben geschenkt werden könne, weil sie die Schwester der Klägerin zu 2. sei.

c) Zur schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels einer Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gehören Angaben, welche Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und weshalb sich dem FG eine Aufklärung unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunktes hätte aufdrängen müssen, obwohl der Kläger selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat; schließlich, welches genaue Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dieses zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom VII R 152/97, BFHE 191, 140, BStBl II 2000, 93). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerde nicht gerecht, wenn sie sich darauf beruft, dass sich das FG „mit dem streitgegenständlichen Sachverhalt nicht ausreichend vertraut und sachkundig gemacht” habe. Weshalb die Beschwerde meint, diese Behauptung aus dem Umstand folgern zu können, dass einer der Richter des FG-Senats in der mündlichen Verhandlung die Frage stellte, gegen welche der mehreren Steuerbescheide sich die Klage richte, ist im Übrigen nicht nachvollziehbar.

d) Anders als die Beschwerde meint, war das FG nicht verpflichtet, seiner Tatsachenfeststellung die schriftliche Erklärung der Zeugin X zu Grunde zu legen. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Die Verwertung von schriftlichen Zeugenaussagen im Wege des Urkundenbeweises ist nur dann zulässig, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint (vgl. , BFHE 104, 409, BStBl II 1972, 399; vom XI R 28/94, BFH/NV 1995, 787). Insoweit ist es weder von Seiten der Beschwerde vorgetragen noch dem Sitzungsprotokoll des FG zu entnehmen, dass die Kläger aus Gründen dieser Art —nämlich wegen der Erkrankung der Zeugin— die Verwertung ihrer früheren schriftlichen Angaben im Wege des Urkundenbeweises beantragt haben. Es ist auch nicht dargelegt oder sonst ersichtlich, weshalb sich dem FG auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag eine Verwertung dieser schriftlichen Erklärung unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunktes hätte aufdrängen müssen, denn das FG hat den vergleichbaren Angaben der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugin Y über deren Besuche bei den Klägern im Jahr 1993 entgegengehalten, dass für die Kläger auch außerhalb dieser Besuchszeiten der Zeugin jederzeit die Möglichkeit bestanden habe, zwecks Einkaufs von Zigaretten nach Tschechien zu fahren.

e) Soweit sich die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG wendet, wonach die Klägerin die im Haus gelagerten Zigaretten jedenfalls in Besitz gehabt habe und dabei hätte wissen müssen, dass es sich um eingeschmuggelte Ware gehandelt habe, macht sie keinen Verfahrensfehler geltend, sondern wendet sich gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (, BFH/NV 2002, 1476, m.w.N.). Anders als die Beschwerde meint, mangelt es hinsichtlich dieser Annahme des FG eines auf Seiten der Klägerin zu 2. bestehenden Mitbesitzes an den eingeschmuggelten Zigaretten auch nicht an den entsprechenden tatsächlichen Feststellungen. Vielmehr hat das FG festgestellt, dass bei der Durchsuchung der Wohnung der Kläger unversteuerte Zigaretten gefunden worden sind. Die darauf beruhende Schlussfolgerung des FG, dass auch die im Jahr 1993 eingeschmuggelten Zigaretten vor ihrem Weiterverkauf in der gemeinsamen Wohnung der Kläger gelagert worden sind, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 935 Nr. 6
CAAAB-50832