BFH Urteil v. - XI R 37/02

Verfassungsmäßigkeit der Kinderbetreuungskosten für Veranlagungszeiträume vor 2000 und des beschränkten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen bei einer sechsköpfigen Arzt-Familie im Jahr 1999

Gesetze: EStG § 10 Abs. 3, §§ 31, 32, 33a, 33c

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1999 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist als Arzt freiberuflich tätig. Die Klägerin ist im Rahmen eines Ehegatten-Arbeitsverhältnisses angestellt. Daneben machte der Kläger Verluste aus mehreren Mitunternehmerschaften geltend. Die Eheleute hatten im Streitjahr 1999 vier Kinder, geboren 1991, 1992 und 1996. Für die Kinder erhielten sie Kindergeld in Höhe von insgesamt 13 800 DM.

Mit Einkommensteuerbescheid vom bzw. nachfolgender Einspruchsentscheidung vom hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Kläger zur Einkommensteuer für 1999 veranlagt und bei einem zu versteuernden Einkommen von 127 963 DM die Einkommensteuer nach der Splittingtabelle auf 31 542 DM festgesetzt. In den Erläuterungen zum Bescheid ist ausgeführt, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden sei. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens seien daher keine Kinderfreibeträge berücksichtigt. Lediglich bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer seien die Kinderfreibeträge in Höhe von insgesamt 27 648 DM einbezogen worden.

Die von den Klägern in der Einkommensteuererklärung geltend gemachten beschränkt abziehbaren Sonderausgaben in Höhe von insgesamt 74 925 DM (davon Lebensversicherung 28 650 DM und Angestellten-Höherversicherung 25 194 DM) wurden nur mit dem Höchstbetrag nach § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von insgesamt 18 330 DM abgezogen.

Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger blieb in den Streitpunkten erfolglos (Einspruchsentscheidung vom ); die Steuerfestsetzung wurde auch hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für vorläufig erklärt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1018 veröffentlicht.

1. Das Existenzminimum der Kinder sei hinreichend berücksichtigt. Eine verfassungswidrige Besteuerung der Kläger könne nur dann vorliegen, wenn entweder die Kinderfreibeträge oder das Kindergeld die Höhe des sächlichen Kinderexistenzminimums nicht angemessen berücksichtigten. Im Streitfall genüge schon das den Klägern gezahlte Kindergeld den verfassungsrechtlichen Anforderungen, so dass es auf die Höhe der Kinderfreibeträge nicht ankomme.

Im Streitfall hätten die Kläger Kindergeld in Höhe von insgesamt 13 800 DM erhalten (je 250 DM monatlich für die ersten beiden Kinder, für das dritte Kind 300 DM und für das vierte Kind 350 DM = 1 150; 1 150 x 12 = 13 800). Bei einem zu versteuernden Einkommen von 127 963 DM betrage der individuelle Grenzsteuersatz der Kläger im Streitjahr 1999 37,04 %. Daraus ergäben sich fiktive Kinderfreibeträge von insgesamt 37 257 DM, d.h. für jedes Kind ein Freibetrag von durchschnittlich 9 314 DM (13 800 : 37,04 x 100 = 37 257; 37 257 : 4 Kinder = 9 314). Bezogen auf jedes einzelne Kind habe der fiktive Kinderfreibetrag für das erste und zweite Kind je 8 099 DM, für das dritte Kind 9 719 DM und für das vierte Kind 11 339 DM betragen. Damit sei das steuerlich zu verschonende Existenzminimum der Kinder bei weitem ausreichend berücksichtigt. Der bei Umrechnung des Kindergelds sich ergebende fiktive Kinderfreibetrag von durchschnittlich 9 314 DM pro Kind übersteige das Existenzminimum, welches nach Auffassung der Kläger bei etwa 7 563 DM pro Kind liegen solle, um 1 751 DM. Selbst für die ersten beiden Kinder überstiegen die fiktiven Kinderfreibeträge von je 8 099 DM das Existenzminimum von 7 563 DM noch um 536 DM.

2. Im Streitfall verbleibe auch noch genügend Spielraum, um die Erhöhung des Umsatzsteuersatzes von 15 % auf 16 % ab dem (§ 12 Abs. 1 des UmsatzsteuergesetzesUStG— in der Fassung vom , BGBl I, 3121) aufzufangen. Denn die Umsatzsteuererhöhung bedeute für die Kläger nach ihrer Darstellung eine Mehrbelastung von 480 DM.

3. Auch hinsichtlich Kinderbetreuung, Erziehungsaufwand und Haushaltsfreibetrag sei die Klage nicht begründet. Obwohl die §§ 33c (Kinderbetreuungskosten) und 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag) mit dem Grundgesetz (GG) nicht vereinbar seien, habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausdrücklich angeordnet, dass diese Normen für eine Übergangszeit weiterhin anwendbar blieben (§ 33c EStG bis ; § 32 Abs. 7 EStG bis ).

4. § 10 Abs. 3 EStG verstoße nicht gegen die Grundrechte der Kläger. Es sei nicht ersichtlich, dass die Begrenzung des Vorwegabzugs auf 12 000 DM statt auf 18 000 DM eine erdrosselnde Wirkung hätte und damit ein Verstoß gegen Art. 14 GG vorliegen könnte (vgl. dazu , BStBl II 1999, 771). Des Weiteren greife die Regelung nicht in das Existenzminimum der Kläger ein (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG). Selbst nach Abzug der festgesetzten Einkommensteuer verbleibe den Klägern so viel, dass sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder bestreiten sowie die notwendigen Vorsorgeaufwendungen tragen könnten. Nach dem BVerfG-Beschluss (3. Kammer des Ersten Senats) vom 1 BvR 1523/88 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1998, 397) sei der Gesetzgeber verpflichtet, nicht nur den gegenwärtigen Grundbedarf eines Steuerpflichtigen von der Besteuerung abzuschirmen, sondern auch die Aufwendungen, die erforderlich seien, um im Falle der Erwerbslosigkeit —insbesondere im Alter— eine das Existenzminimum sichernde Rente zu gewährleisten. Dies bedeute jedoch nicht, dass Vorsorgeaufwendungen in unbegrenzter Höhe abzugsfähig sein müssten. Dem Gesetzgeber sei es erlaubt, Höchstbeträge vorzusehen. Verfassungsrechtlich geboten sei nur die Gewährleistung einer existenzsichernden Mindestversorgung. Auch das Gleichheitsgebot nach Art. 3 GG sei nicht verletzt. Die Versorgungssysteme für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer einerseits und für Selbständige andererseits seien unterschiedlich ausgestaltet. Während die Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ihre eigenen Renten finanzierten, sondern nur einen Beitrag leisteten zu den laufenden Renten der aktuell Rentenberechtigten (Umlageverfahren im Generationenvertrag), könnten die Kläger die Finanzierung ihrer eigenen Altersbezüge selbst gestalten. Sie könnten sich Anlageformen auswählen, welche eine möglichst hohe Rendite versprächen.

Im Übrigen betreffe die Frage, in welchem Umfang Vorsorgeaufwendungen zum Abzug von der Bemessungsgrundlage unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zuzulassen seien, einen Regelungsbereich, der vom Auftrag des BVerfG an den Gesetzgeber zur Neuordnung der Besteuerung von Alterseinkünften umfasst werde (BVerfG-Entscheidung vom 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618).

Mit der Revision machen die Kläger geltend:

1. Der Kläger sei als Kassenarzt Pflichtmitglied der Ärztekammer und habe im Jahr 1999 den Pflichtbeitrag zur Ärzteversorgung in Höhe von 25 194 DM gezahlt. Das Versorgungswerk müsse ohne jeden Staatszuschuss auskommen. Die Ärzteversorgung sei keine Luxusversorgung, sondern sichere nur eine Mindestversorgung im Alter. Die vom FA errechnete Rentenhöhe von 3 482 € gelte maximal für drei Jahre, und nur dann, wenn die Kinder in diesen Jahren nicht berufstätig seien. Der künftige Ärztemangel werde zu einer erheblich niedrigeren Rente der heutigen Beitragszahler führen.

2. Im Streitjahr hätten die Vorsorgeaufwendungen des Klägers insgesamt 100 526,99 DM betragen. Die tatsächliche finanzielle Belastung der sechsköpfigen Familie dürfe nicht unberücksichtigt bleiben. Nicht berücksichtigt worden sei, dass die Kläger auch über die „Aufzucht” ihrer Kinder in die Rentenkasse „einzahlten”. Die kumulierten Beitragszahlungen der Kinder betrügen etwa 878 000 €.

3. Die Beschränkung des Abzugs von staatlicherseits erzwungenen Vorsorgeaufwendungen auf bestimmte Höchstbeträge verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Entscheidend sei im Streitfall, dass das FG die Begrenzung des Abzugs nicht unter dem Aspekt der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geprüft habe. Die Gleichbehandlung von Selbständigen mit Kindern und Selbständigen ohne Kinder sei verfassungswidrig. Selbständige mit Pflichtbeiträgen von 25 000 DM seien weniger leistungsfähig als Selbständige mit Pflichtbeiträgen von z.B. nur 18 000 DM. Auch innerhalb der Gruppe müsse die horizontale Steuergleichheit gewahrt bleiben. Die seit 1992 nicht veränderten Abzugsbeträge hätten angepasst werden müssen.

4. Das BVerfG habe in seinem Urteil vom 2 BvR 400/98 u.a. (BStBl II 2003, 534, unter C.I.1.c aa) ausdrücklich festgestellt, dass verfassungsrechtlich bislang noch nicht geklärt sei, wieweit über den Schutz des Existenzminimums hinaus auch sonstige unvermeidbare private Aufwendungen einkommensmindernd zu berücksichtigen seien. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze seien die von den Klägern zur Absicherung des Lebensrisikos ihrer Kinder geleisteten Aufwendungen steuermindernd zu berücksichtigen, ebenso wie auch die Aufwendungen, die der Kläger an das Versorgungswerk einzuzahlen gehabt habe. Hinsichtlich der Höhe des Abzugs habe das BVerfG in dem Urteil in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618 über die unterschiedliche Besteuerung der Pensionen und Renten auf das Gebot „realitätsgerechter Tatbestandsgestaltung” hingewiesen.

5. Die Frage der steuerlichen Berücksichtigung von Pflichtbeiträgen für die Ärzteversorgung, die den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung entsprächen, sei verfassungsrechtlich noch nicht hinreichend geklärt. Die Renten der gesetzlich Rentenversicherten seien zu einem Drittel aus Steuergeldern finanziert. Zusätzlich zahlten die Kläger mit fünf Kindern 822 000 € in das gesetzliche Rentensystem ein. Diese Ungleichbehandlung lasse sich vermeiden, wenn die Zahlungen in geeigneter Weise steuermindernd abgezogen werden könnten. Die in dem Urteil vom XI R 17/00 (BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650) gemachte generelle Aussage, es bestünden gewichtige Unterschiede zwischen der Gruppe der Selbständigen und der Gruppe der gesetzlich Pflichtversicherten, treffe nicht zu. Die jeweiligen Vor- und Nachteile müssten quantifiziert werden.

6. Die Pflichtbeiträge an die berufsständische Altersversorgung seien Zwangsbeiträge; sie minderten zwangsweise die steuerliche Leistungsfähigkeit. Zu prüfen sei auch, ob Vorsorgeaufwendungen Werbungskostencharakter hätten. Die Ungleichbehandlung von gesetzlich Pflichtversicherten mit Nicht-Pflichtversicherten sei verfassungswidrig. Die Pflichtbeiträge seien in vollem Umfang zu berücksichtigen. Insgesamt stelle die Familie des Klägers der gesetzlichen Rentenversicherung 1 433 542 € zur Verfügung, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Jeder Beitragszahler mit Kindern trage eine doppelte Last, nämlich die Einzahlungen in das System und die Investition in Humankapital.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben, den Einkommensteuerbescheid 1999 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom abzuändern und die Einkommensteuer unter Abzug weiterer Aufwendungen in Höhe von 44 832 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

1. Für Zwangsmitglieder von Versorgungswerken gälten die allgemeinen Grundsätze. Der Kläger werde voraussichtlich eine Rente von 3 482 € beziehen. Demgegenüber beliefe sich die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf ca. 1 800 €.

2. Vorsorgeaufwendungen brauchten nicht in Höhe einer Mindestvorsorge von der Besteuerung abgeschirmt zu werden. Der BFH habe die in der Entscheidung vom XI R 41/99 (BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179) dargestellten Grundsätze in der Entscheidung in BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650, in dem auch der Abzug von Beiträgen an ein Versorgungswerk streitig gewesen sei, bestätigt. Die unterschiedliche Behandlung der Gruppe der Freiberufler und der Gruppe der nichtselbständig Beschäftigten sei gerechtfertigt.

3. Das sächliche Existenzminimum der Kinder werde durch die Gewährung des Kindergeldes in ausreichendem Umfang freigestellt. In der Entscheidung 2 BvR 400/98 (BStBl II 2003, 534) führe das BVerfG unter C.I.1.c bb aus, dass hinsichtlich der Kosten im familiären Umfeld eine Klärung bereits herbeigeführt sei.

4. Auch die Versicherung mehrerer Kinder in einer privaten Krankenversicherung könne nicht zu einer verfassungswidrigen Benachteiligung der Kläger führen, wenn Vorsorgeaufwendungen bereits dem Grunde nach keine Aufwendungen zur Sicherung des aktuellen Existenzminimums darstellten.

II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen.

1. Existenzminimum der Kinder

Für den Unterhalt der Kinder kommen keine weiteren Abzugsbeträge in Betracht.

Im Bereich des aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleiteten subjektiven Nettoprinzips ist das Verfassungsgebot der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie zu beachten. Dem Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums hat der Gesetzgeber —abschließend— durch den Familienleistungsausgleich (Kinderfreibetrag/Kindergeld, §§ 31 f., §§ 62 ff. EStG) und den Ausbildungsfreibetrag (§ 33a Abs. 2 EStG) Rechnung getragen (, HFR 2004, 690). Es ist geklärt, dass der Kinderfreibetrag für 1999 verfassungsgemäß ist (, BFH/NV 2003, 1580; zur Umrechnung von Kindergeld in einen Kinderfreibetrag und zur Berechnung des existenznotwendigen Bedarfs vgl. auch , BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174).

Der bei Umrechnung des Kindergelds sich ergebende fiktive Kinderfreibetrag von durchschnittlich 9 314 DM pro Kind —so wie ihn das FG errechnet hat— übersteigt das Existenzminimum, welches nach Auffassung der Kläger bei etwa 7 563 DM pro Kind liegt, um 1 751 DM, und deckt also auch die Mehrbelastung von 480 DM, die sich aus der Erhöhung der Umsatzsteuer ergeben solle, ab. Selbst für die ersten beiden Kinder übersteigen die fiktiven Kinderfreibeträge von je 8 099 DM das Existenzminimum von 7 563 DM noch um 536 DM.

2. Kinderbetreuung, Erziehungsaufwand, Haushaltsfreibetrag

Es ist vom BFH entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn in den Veranlagungszeiträumen vor 2000 über die bisher geltenden Regelungen hinaus keine Kinderbetreuungskosten und kein Erziehungsbedarf steuermindernd berücksichtigt werden (, BFH/NV 2002, 647). Die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten Vorschriften des § 33c Abs. 1 bis 4 (Kinderbetreuungskosten) und § 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag) sind von den Fachgerichten bis zum Ablauf der vom BVerfG bestimmten Fristen ( bzw. 2001) zu beachten und ihren Entscheidungen zugrunde zu legen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1580).

3. Mindestvorsorge (§ 10 Abs. 3 EStG)

a) Der beschränkte Abzug von Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 EStG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das subjektive Nettoprinzip gebietet die steuerliche Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie (vgl. , 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216, 232 ff., BStBl II 1999, 182, m.w.N.). Für den Bereich innerfamiliärer Unterhaltspflichten ist verfassungsrechtlich geklärt, ob und wieweit zwangsläufiger privater Aufwand von Verfassungs wegen einkommensmindernd zu berücksichtigen ist (BVerfG-Entscheidung in BStBl II 2003, 534). Im Rahmen der gebotenen Neuregelung der Besteuerung von Versorgungsbezügen hat der Gesetzgeber die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird (BVerfG-Entscheidung in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618).

Nach dem subjektiven Nettoprinzip muss dem Steuerbürger ein „staatsfreies Existenzminimum” verbleiben; die Fähigkeit zur Steuerzahlung beginnt erst nach Deckung des allernotwendigsten Lebensbedarfs. Im Unterschied zum objektiven Nettoprinzip bezweckt das subjektive Nettoprinzip eine Verschonung von bestimmten zwangsläufigen Aufwendungen, die in den Bereich der privaten Einkommensverwendung fallen (Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, 1993, 146; BVerfG in BStBl II 2003, 534).

b) Der Senat hat mit Urteil in BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650 entschieden, dass der beschränkte Abzug von Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 in der Fassung des EStG 1997 nicht verfassungswidrig ist; in jenem Fall hatte ein Rechtsanwalt in vergleichbarer Weise Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte geleistet (ebenso , BFH/NV 2003, 1569).

Nach dem Inhalt des subjektiven Nettoprinzips muss der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Dabei ist allerdings zu unterscheiden zwischen dem gegenwärtigen Grundbedarf des Steuerpflichtigen, der von der Besteuerung abzuschirmen ist, und den Aufwendungen, die erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen im Falle der Erwerbslosigkeit —insbesondere im Alter— eine das Existenzminimum sichernde Rente zu gewährleisten. Diese Aufwendungen dienen nicht der aktuellen Existenzsicherung, sondern der Vorsorge (s.a. Bareis, Erwiderung zur Kritik am „Karlsruher Entwurf”, Steuer und Wirtschaft —StuW— 2002, 135, 142). Bei diesen Leistungen ist der Gesetzgeber nicht gehalten, sie im Umfang einer Mindestvorsorge von der Besteuerung abzuschirmen. Es genügt vielmehr, dass der Steuerpflichtige nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld noch ausreichende Mittel zur Verfügung hat, um seinen notwendigen Lebensunterhalt bestreiten und seine Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung leisten zu können (BVerfG-Beschlüsse in HFR 1998, 397, und vom 1 BvR 1300/89, HFR 1997, 937).

Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, Vorsorgeaufwendungen wie Erwerbsaufwendungen zum Abzug zuzulassen. Vorsorgeaufwendungen sind nach den Regelungen des Streitjahrs nicht Aufwendungen der Einkommenserzielung, sondern Maßnahmen der Einkommensverwendung. Sie sind in Form von Beiträgen zur Rentenversicherung und zur Lebensversicherung (auch insoweit als es sich um eine Mindestvorsorge handelt) besonders geartete und besonders gesicherte Sparleistungen. Sparleistungen sind aber nach dem geltenden Einkommensteuerrecht nicht abziehbar und von der Steuer nicht freigestellt. Die Aufwendungen für Kranken- und Pflegeversicherung dienen der vorsorgenden Absicherung bestimmter Risiken; auch ihr Abzug als Sonderausgaben ist von Verfassungs wegen nicht geboten.

c) Die Kläger werden auch nicht in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, die eine Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbieten (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter B.I.2.a). Zwar sind die Abzugsbeträge für kinderlose Steuerpflichtige und Steuerpflichtige mit Kindern gleich hoch. Da die Vorsorgeaufwendungen aber bereits dem Grunde nach keine notwendigen Aufwendungen zur Sicherung des aktuellen Existenzminimums darstellen, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche Regelung keine zusätzlichen Abzugsbeträge für Vorsorgeaufwendungen zugunsten der zum Haushalt gehörenden minderjährigen Kinder vorsieht (BFH in BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650). Auch das BVerfG geht in dem Beschluss in HFR 2004, 690 davon aus, dass dem Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums durch den Familienleistungsausgleich bereits ausreichend Rechnung getragen wird.

d) Ebenso wenig können die Kläger mit Erfolg geltend machen, dass sie mit der „Aufzucht” ihrer Kinder einen besonderen Beitrag zur Sicherung und Funktionsfähigkeit der Sozialsysteme leisten. Die Vorteile, die sich daraus für die Gesellschaft ergeben, sind steuerlich nicht besonders zu erfassen und sind nicht geeignet, einen weiteren Abzug von Vorsorgeaufwendungen zu rechtfertigen; der Staat ist nicht verpflichtet, die „Aufzucht” von Kindern („Investition in Humankapital”) zusätzlich mit weiteren Steuerentlastungen, die über die hergebrachten Leistungen und Abzugsmöglichkeiten hinausgehen, zu berücksichtigen.

e) Im Streitfall betrugen die Summe der Einkünfte 152 448 DM, das zu versteuernde Einkommen der Kläger 127 963 DM und die darauf entfallende Einkommensteuer 31 542 DM. Die insgesamt geleisteten Vorsorgeaufwendungen beliefen sich auf 100 527 DM, davon insbesondere Beiträge zur Sozialversicherung (Ärzteversorgung) von 25 194 DM, zur Krankenversicherung von 18 046 DM und zu Lebensversicherungen von 43 100 DM. Ein Teil (Lebensversicherungen in Höhe von 13 154 DM und 12 696 DM) wurde als Betriebsausgabe berücksichtigt; von den gesamten Aufwendungen in Höhe von 100 527 DM konnten die Kläger einen Betrag von 44 180 DM steuerlich abziehen. Ein relativ hoher Anteil der Vorsorgeaufwendungen entfällt auf Lebens- und Rentenversicherungsbeiträge, deren Gegenwert bei späterer Auszahlung —wenn überhaupt— nach bisheriger Rechtslage nur zu einer geringen Besteuerung führt.

Die Zahlen zeigen, dass die Kläger nach Erfüllung ihrer Einkommensteuerschuld noch ausreichende Mittel zur Verfügung hatten, um ihren notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten und Beiträge zur Sozialversicherung leisten zu können. Steuerlich konnte ein erheblicher Teil der Vorsorgeaufwendungen abgesetzt werden. Weitere Abzugsmöglichkeiten sind nach Maßgabe des subjektiven Nettoprinzips verfassungsrechtlich nicht geboten.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1024
BFH/NV 2005 S. 1024 Nr. 7
VAAAB-44807