Antrag auf Wiedereinsetzung bei Verhinderung aufgrund eines rechtswidrigen Eingriffs von dritter Seite; Organisationsmangel als Grund der Fristversäumnis
Gesetze: FGO § 56
Instanzenzug: ,G,U
Gründe
I. Die Klagefrist lief am ab. Am erhob der Klägervertreter im Namen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Klage.
Mit weiterem Schreiben vom beantragte der Klägervertreter gleichzeitig Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Klagefrist. Er habe mit der Entscheidung über eine Klageerhebung bis nach Rückkehr der Klägerin aus ihrem Urlaub am warten müssen; zur Glaubhaftmachung legte er eine Notiz der Mandantin über ihre Urlaubsabwesenheit bei.
Seine bisherige Partnerin habe sodann am die Sozietät fristlos gekündigt und sei gleichzeitig mit sieben Mitarbeitern und zahlreichen Akten aus der Kanzlei ausgezogen. Außerdem habe sie die Mandanten mit dem beigefügten Schreiben hiervon unterrichtet und abzuwerben versucht. Wie auch das Landgericht A am ausdrücklich bestätigt habe, sei aber er Rechtsnachfolger der Sozietät. Außerdem seien am Montag (dem ) bedauerlicherweise seine Sekretärin und die für die Klägerin zuständige Mitarbeiterin nicht zur Arbeit erschienen.
Mit der Kündigung, dem überraschenden Nichterscheinen der Mitarbeiterinnen, den fehlenden Unterlagen und den erforderlichen Gegenmaßnahmen sei in dem Büro ein heilloses Durcheinander entstanden. Erst seit heute () sei ihm die ordnungsgemäße Führung einer Steuerberaterkanzlei wieder möglich.
Da in der Zwischenzeit keine Sekretärin vorhanden gewesen sei und auch die Sachbearbeiterin gefehlt habe und die Akten der Klägerin nicht auffindbar gewesen seien, sei es ihm bis heute () unmöglich gewesen, die Klage einzureichen. Er sei daher ohne Verschulden verhindert gewesen, die Klagefrist einzuhalten. Es sei die erste Rechtsmittelfrist, die er in seiner 31-jährigen beruflichen Tätigkeit versäumt habe.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig durch Gerichtsbescheid vom ab. Die Klägerin habe nicht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses —spätestens dem — Tatsachen vorgetragen, die ein ihr zurechenbares Verschulden des Klägervertreters in Gestalt eines Organisationsmangels ausschließen würden. Dem Antrag sei nicht die für eine Wiedereinsetzung notwendige Darlegung zu entnehmen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise der Klägervertreter die Überwachung der am abgelaufenen Frist zur Erhebung der Klage organisiert hatte. Es stehe nicht fest, ob der Klägervertreter überhaupt eine Fristenkontrolle organisiert habe, die bei normalem Geschäftsablauf die Einhaltung der Frist gewährleistet hätte. Hiernach bleibe offen, ob die anschließend eingetretenen unvorhergesehenen Umstände, nämlich das Fernbleiben der Sekretärin und der Sachbearbeiterin ab dem , ursächlich für die Fristversäumung gewesen seien.
Mit seinem Antrag auf mündliche Verhandlung machte der Klägervertreter geltend, der am vorgetragene Sachverhalt solle kein bloßes Büroversehen begründen. Die fristlose Kündigung, das Nichterscheinen von sieben weiteren Mitarbeitern und die fehlenden Unterlagen seien einem Bombeneinschlag vergleichbar gewesen. Zu den fehlenden Unterlagen habe auch das natürlich bereits seit 1970 geführte Fristenkontrollbuch gehört. Wegen des von der ehemaligen Partnerin unternommenen Abwerbungsversuchs sei es um die Existenz des Klägervertreters und seiner verbliebenen Mitarbeiter gegangen. Er habe Strafanzeigen stellen, einstweilige Verfügungen erwirken und mit Mandanten Gespräche für deren Verbleiben führen müssen. Rund 50 % der Akten seien verschwunden gewesen, wie den beigefügten Beschlüssen des Landgerichts A vom zu entnehmen sei.
Mit weiterem Schreiben begründete der Klägervertreter die Klage und trug zur Frage der Wiedereinsetzung weiterhin vor, er sei auf das Verstreichen der Klagefrist erst am durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) hingewiesen worden. Erst am habe er aufgrund einer gerichtlichen Verfügung vom eine Vielzahl von Akten und Unterlagen zurückerhalten, worunter eine Mitarbeiterin neben verschiedenen EDV-Bändern u.a. auch das maßgebende Fristenkontrollbuch gefunden habe.
Das FG wies die Klage unter Verweis auf § 90a Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab. Der Klägervertreter habe nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dargetan, dass und gegebenenfalls in welcher Weise er die Einhaltung der Klagefrist gewährleistet habe. Die Darlegungen nach Erlass des Gerichtsbescheides seien keine bloße Ergänzung.
Der Klägervertreter begründet seine Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere mit einer Verletzung des § 56 Abs. 2 FGO; das FG habe zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung abgelehnt und dabei die verfassungsrechtlichen Maßstäbe der Art. 3 und 103 des Grundgesetzes (GG) verkannt.
Nach dem Gesetz komme es nicht auf die Organisation der Fristenkontrolle an, sondern darauf, ob jemand ohne Verschulden verhindert gewesen sei. Die zur Beurteilung notwendigen Tatsachen seien hinreichend dargestellt worden. Es sei deutlich gemacht worden, dass es sich nicht um die bloße Frage eines Büroversehens gehandelt habe —und nur dort sei die Frage der Fristenkontrolle vorrangig—, sondern dass die Organisation durch die „Flucht über Nacht” mit der Mehrzahl der Akten und Unterlagen zusammengebrochen sei. Außerdem verlange § 56 Abs. 2 FGO lediglich, die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Hätte der Gesetzgeber eine Zwei-Wochen-Frist für die Begründung des Antrags vorschreiben wollen, so hätte er nach BVerfGE 4, 31, 37 die Voraussetzungen für den prozessualen Rechtsverlust klar und eindeutig umschreiben müssen. Eine in der finanzgerichtlichen Praxis funktionslose Zwei-Wochen-Frist wäre in Anbetracht der Offizialmaxime systemwidrig und unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes verfassungsrechtlich bedenklich. Die Klägerin dürfe nicht mit einem Sachvortrag ausgeschlossen werden, dessen Relevanz sich ihr erst aus dem Gerichtsbescheid ergeben habe.
Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen, die Vorentscheidung aufzuheben und die angegriffenen Steuerbescheide zu berichtigen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Rz. 65; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 80) liegt nicht vor.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine in Wahrheit zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (BFH-Beschlüsse vom VII B 196/02, BFH/NV 2003, 1007; vom III B 29/98, BFH/NV 1999, 1109; vom V B 75/96, BFH/NV 1997, 415, jeweils m.w.N.). Dies ist u.a. dann der Fall, wenn das FG die beantragte Wiedereinsetzung zu Unrecht abgelehnt hat.
Nach § 56 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (, BFH/NV 1988, 549). Bei der Feststellung des Verschuldens ist zu beachten, dass sich das Maß der —zumutbaren— Sorgfalt nach den besonderen Umständen des Einzelfalles und den persönlichen Verhältnissen des Antragstellers bestimmt (Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rz. 11, m.w.N.; Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom VerfGH 36/03, 36 A/03, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2004, 1158)). Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des am FG-Verfahren Beteiligten gleich (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung —ZPO—; , BFH/NV 1989, 110).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Klagefrist ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO).
2. Aus dem innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist vorgetragenen Sachverhalt ergibt sich nicht, dass der Klägervertreter ohne Verschulden an der Klageerhebung gehindert war.
a) Die Tatsachen, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll, sind innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen vorzutragen (BFH-Beschlüsse vom IV R 41/87, BFH/NV 1988, 377, und in BFH/NV 1989, 110). Nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist können lediglich unvollständige Angaben im Rahmen des bisherigen Vortrags erläutert und ergänzt werden (, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586).
Die Klägerin folgert zu Unrecht aus dem Wortlaut des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO, dass die Tatsachen zur Begründung des Antrags auch erst später im Verfahren über den Antrag vorgetragen werden könnten. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die antragsbegründenden Tatsachen grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist dargelegt werden (vgl. , BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546, m.w.N.; Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Anm. 40), unbeschadet der Möglichkeit, fristgerecht gemachte Angaben nachträglich zu erläutern und zu ergänzen. Zu dem erforderlichen fristgerechten Vortrag gehören auch die Tatsachen, die die unverschuldete Säumnis —§ 56 Abs. 1 FGO— belegen sollen, soweit sie nicht gerichtsbekannt oder offenkundig sind.
b) Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags erfordert innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen (ständige Rechtsprechung, s. z.B. BFH-Beschlüsse vom X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221, und vom IV B 150/98, BFH/NV 1999, 1614; , BFH/NV 1993, 398). Die Ausführungen im Schriftsatz vom genügen diesen Anforderungen nicht, weil sie nicht mit Sicherheit den Schluss zulassen, dass ein Organisationsmangel in der Kanzlei als Ursache der Fristversäumnis ausscheidet (, juris, STRE200051326). Dies gehört auch dann zu den stets vom Klägervertreter im Einzelnen substantiiert darzulegenden Umständen, wenn er aus seiner Sicht als Grund für die unverschuldete Fristversäumung nicht ein Büroversehen geltend machen will, sondern ein von seiner bisherigen Kanzleipartnerin verursachtes „heilloses Durcheinander”, weil diese fristlos gekündigt habe, Mitarbeiter und Akten rechtswidrig unvermittelt abgezogen und zudem versucht habe, Mandanten gezielt abzuwerben, und dass ihm aus diesen Gründen erst am wieder eine ordnungsgemäße Führung der Steuerberaterkanzlei möglich gewesen sei. Auch der Hinweis, es handele sich um die erste Rechtsmittelfrist, die er in seiner 31-jährigen beruflichen Tätigkeit versäumt habe, ist nicht geeignet darzutun, dass der Klägervertreter eine geeignete Fristenüberwachung organisiert hatte.
c) Es kann dahingestellt bleiben, ob sich aus dem Vortrag des Klägervertreters ergeben könnte, dass er am ohne Verschulden an einer Klageerhebung gehindert war; denn die Klagefrist lief erst am ab. Er hätte vielmehr darlegen müssen, wodurch er auch noch am an einer Klageerhebung gehindert war, als die Klagefrist ablief. Dafür hätte er u.a. auch vortragen müssen, dass ihm der Fristablauf an diesem Tag deshalb nicht bekannt sein konnte, weil das Fristenkontrollbuch zu den von seiner ehemaligen Sozietätspartnerin mitgenommenen Unterlagen gehörte oder dass er wegen des unverschuldet entstandenen Durcheinanders in seinem Büro das Fehlen des Fristenkontrollbuchs nicht bemerkt habe und dessen Fehlen deshalb auch nicht zur Begründung seiner Versäumung habe anführen können oder dass er selbst bei Kenntnis der ablaufenden Frist wegen der genannten Schwierigkeiten unverschuldet nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig Klage einzureichen. Diese Umstände hat der Klägervertreter aber erst verspätet mit seinem Antrag auf mündliche Verhandlung im Einzelnen vorgetragen und glaubhaft gemacht.
Entsprechendes gilt für den Vortrag, die Akten der Klägerin seien nicht auffindbar und die Sachbearbeiterin nicht anwesend gewesen. Warum die Akten nicht auffindbar gewesen seien bzw. wo sie sich befunden hätten, wann er dies tatsächlich bemerkt habe und warum er nicht auch ohne die Akten Klage habe erheben können, hat der Klägervertreter ebenfalls nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist dargetan. Er hat auch hier erst mit seinem Antrag auf mündliche Verhandlung vorgetragen, dass sie ebenfalls zu den von der Sozietätspartnerin mitgenommenen gehört hätten.
Es ist auch weder von der Klägerin in der Zwei-Wochen-Frist dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass von dem Klägervertreter angesichts der besonderen Umstände des Streitfalls und der von ihm wegen der Abwerbungsversuche zu ergreifenden Gegenmaßnahmen nur ein geringeres Maß an Sorgfalt zu fordern wäre.
Das im Zusammenhang mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung stehende spätere Vorbringen des Klägervertreters stellt nach alledem nicht eine bloße Ergänzung der innerhalb der Frist gemachten Angaben dar.
Fundstelle(n):
XAAAB-44546