BFH Beschluss v. - II B 110/04

Erbschaftsteuerfestsetzung gegen unbekannte Erben bei Nachlasspflegschaft: Stellung des Nachlasspflegers, Schätzung der Freibeträge und Steuerklassen

Gesetze: ErbStG §§ 31, 32

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erließ gegenüber den Antragstellern und Beschwerdeführern (Antragsteller), nämlich den unbekannten Erben des im Januar 1987 verstorbenen A, am einen Erbschaftsteuerbescheid, den er dem Nachlasspfleger bekannt gab und mit dem er die Steuer auf 115 277 € festsetzte. Dem Bescheid lag ein zwischenzeitlich ermitteltes Rohvermögen von 1 156 351 DM zugrunde, das das FA um geschätzte Kosten der Nachlasspflegschaft von 258 169 DM sowie um Erbfallkosten von 10 000 DM gemindert hatte. Außerdem war es von sieben Erben der Steuerklasse IV gemäß § 15 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) in der am Todestag des Erblassers geltenden Fassung ausgegangen. Dies beruhte zum einen auf einem Schreiben des Nachlasspflegers vom , wonach mittlerweile ein Erbschein für fünf Erben beantragt worden, aber weitere Erben —und zwar der 4. Erbordnung— hinzukommen könnten. Zum anderen hatte der Nachlasspfleger bereits mit Schreiben vom mitgeteilt, es habe ermittelt werden können, dass der Vater des Erblassers drei Geschwister gehabt habe, deren Verbleib nachgegangen werde.

Gegen diesen Bescheid legte der Nachlasspfleger Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Einen gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheides lehnte das FA ab. Auch das Finanzgericht (FG) wies einen entsprechenden Aufhebungsantrag ab, ließ aber die Beschwerde zu.

Mit der daraufhin eingelegten Beschwerde wird geltend gemacht, der Bescheid beruhe nicht auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, sondern verhalte sich im Schätzungswege über das Bestehen von Erbschaftsteuerschuldverhältnissen. Dies sei durch § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht mehr gedeckt.

In Vertretung der unbekannten Erben beantragt der Nachlasspfleger, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides vom aufzuheben. Das FA ist dem entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. An der Rechtmäßigkeit des Erbschaftsteuerbescheides vom bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Der angegriffene Erbschaftsteuerbescheid ist dem Nachlasspfleger für die unbekannten Erben des Erblassers bekannt gegeben worden. Ersetzt man den Begriff des Nachlasspflegers in dieser Formulierung durch seine Funktion, die in der gesetzlichen Vertretung für die unbekannten Erben besteht, kann diese Formulierung dahin verstanden werden, dass der Bescheid an den gesetzlichen Vertreter der unbekannten Erben bekannt gegeben werden sollte, dass also der Nachlasspfleger lediglich Bekanntgabeadressat und die unbekannten Erben Inhaltsadressaten sein sollten. Nur diese Auslegung ist auch rechtlich zutreffend. Der Nachlasspfleger gemäß § 1961 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist nämlich nicht Inhaber eines privaten Amtes (vgl. Leipold in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch —MünchKomm—, 3. Aufl. 1977, § 1960 Anm. 31), sondern gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben (, BGHZ 49, 1, 5). Als solcher ist er nicht im eigenen Namen rechtsmittelbefugt. Er wird somit nicht selbst Beteiligter i.S. des § 57 FGO. Vielmehr tritt er namens der unbekannten Erben einer bestimmten Person auf (, Lindenmaier/Möhring - Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 325 ZPO Nr. 10). Demgemäß spricht § 32 Abs. 2 ErbStG zutreffend nur von der Bekanntgabe des Erbschaftsteuerbescheides an den Nachlasspfleger und regelt § 58 Abs. 2 FGO i.V.m. § 53 der Zivilprozessordnung nur die Frage der Prozessfähigkeit und nicht die der Partei- bzw. Beteiligtenfähigkeit. Antragsteller sind daher die unbekannten Erben.

2. a) Gemäß § 31 Abs. 6 ErbStG ist anstelle der unbekannten Erben der Nachlasspfleger zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung verpflichtet. Nach § 32 Abs. 2 ErbStG ist der Erbschaftsteuerbescheid dem Nachlasspfleger bekannt zu geben. Da anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber mit diesen Regelungen nicht nur solche Sachverhalte im Auge hatte, bei denen die Erben bereits bekannt sind, die Nachlasspflegschaft aber noch nicht aufgehoben worden ist (dazu , BFHE 135, 406, BStBl II 1982, 687), oder nur Fälle, bei denen die Annahme der Erbschaft noch nicht erfolgt oder ungewiss ist, sondern dass er eine Regelung für den gesamten Anwendungsbereich der Nachlasspflegschaft —und damit auch für die bedeutende Fallgruppe der Nachlasspflegschaft bei unbekannten Erben— treffen wollte, muss er davon ausgegangen sein und bezweckt haben, dass die Festsetzung der Erbschaftsteuer während der Nachlasspflegschaft auch gegenüber den unbekannten Erben als Inhaltsadressaten möglich ist (so zu Recht Kien-Hümbert in Moench, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 32 Anm. 15).

b) Soweit dabei die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 AO 1977 zu schätzen sind, gehört dazu bei summarischer Prüfung auch eine Schätzung der Höhe, die etwaige Freibeträge nach den Umständen des konkreten Falles —d.h. bei gesetzlicher Erbfolge auch nach dem verwandtschaftlichen Umfeld des Erblassers— insgesamt erreichen werden, sowie eine Schätzung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Eingruppierung der Erben in die verschiedenen Steuerklassen nach § 15 ErbStG. Zwar ist richtig, dass nur Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden können und nicht, ob und mit wem ein Steuerschuldverhältnis überhaupt begründet worden ist; doch um Letzteres geht es bei der hier vorzunehmenden Schätzung nicht. Mit der Rechtsfigur der unbekannten Erben i.S. der §§ 1960 Abs. 1 Satz 2, 1961 BGB ist als zunächst abstraktes Subjekt, das sich später als eine Person oder —wenn der Nachlasspfleger nicht von vornherein als Pfleger für eine Einzelperson bestellt worden ist— auch als eine Mehrheit konkreter Personen erweisen kann, ein Steuerschuldner vorhanden, der nicht nur Partei eines (Finanz-) Rechtsstreits, sondern auch Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses sein kann. Alles weitere ist als Besteuerungsgrundlage in dem umfassenden Sinn des maßgeblichen Sachverhalts (vgl. dazu , BFHE 145, 7, BStBl II 1986, 52, unter II. B. 4., sowie Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl. 2003, § 162 Anm. 9) einer Schätzung zugänglich.

c) Allerdings müssen die Finanzbehörden dem Nachlasspfleger eine am Einzelfall ausgerichtete angemessene Zeit einräumen, seine Pflicht zur Erbenermittlung sowie seine Mitwirkungspflichten aus § 34 Abs. 1 i.V.m. § 90 AO 1977 (zu Letzteren vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 34 AO 1977 Anm. 98) zu erfüllen, bevor sie von der Möglichkeit einer Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 AO 1977 Gebrauch machen. Im Streitfall ist der angegriffene Erbschaftsteuerbescheid 17 Jahre nach dem Tod des Erblassers ergangen. Damit hat das FA dem Nachlasspfleger auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten der Erbenermittlung ausreichend Zeit gelassen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 704 Nr. 5
BFH/NV 2005 S. 705
BAAAB-44186