BFH Beschluss v. - VII B 178/04

Haftung des Geschäftsführers einer GmbH in Insolvenz nach § 69 AO bei Fehler des vorläufigen Insolvenzverwalters

Gesetze: AO § 69

Instanzenzug:

Gründe

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) war Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen im Februar 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Vor Insolvenzeröffnung bestellte das Amtsgericht (AG) Rechtsanwalt G (G) mit Beschluss vom zunächst zum Gutachter und am zum vorläufigen Insolvenzverwalter ohne eigene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Der Beschluss enthält jedoch die Bestimmung, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind. Am 6. und reichte der Antragsteller Überweisungsaufträge zur Zahlung der Lohnsteuer für den Monat November 2003 bei der Geschäftsbank der GmbH (E-Bank) ein. Zu diesem Zeitpunkt hätte der von der E-Bank eingeräumte Kreditrahmen zur Begleichung der Steuerschulden noch ausgereicht. Am erlangte der Antragsteller davon Kenntnis, dass G der E-Bank die Ausführung sämtlicher Überweisungen untersagt habe. Schließlich gelangte der Antragsteller am auch in den Besitz des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom selben Tage. Mit Schreiben vom teilte der vorläufige Insolvenzverwalter dem Antragsteller mit, „dass eine Zahlung der ausstehenden LSt-Verbindlichkeiten durch die o.g. Schuldnerin (GmbH) unter Zustimmung des Unterzeichners nicht erfolgen kann”.

Mit Haftungsbescheid vom nahm der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) den Antragsteller für Lohnsteuerrückstände der GmbH für die Monate November und Dezember 2003 gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch. Gegen den Bescheid legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Daraufhin änderte das FA den Bescheid und beschränkte die Haftungssumme auf einen Teil der für den Monat November 2003 geschuldeten Lohnsteuer. Soweit das FA hierdurch den ursprünglichen Haftungsbescheid widerrief, gewährte es AdV, im Übrigen lehnte es den Antrag ab. Nunmehr beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die Vollziehung des geänderten Haftungsbescheides auszusetzen.

Das FG gab dem Antrag mit der Begründung statt, dass aufgrund der mangelnden Vorwerfbarkeit der Säumnis und der fehlenden Kausalität zwischen der unterlassenen Handlung und dem Schadenseintritt ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestünden. Aus seiner Sicht habe der Antragsteller mit Einreichung der Überweisungsträger an die E-Bank alles Erforderliche getan, um die von der GmbH geschuldete Lohnsteuer zu begleichen. Die Vorgehensweise der E-Bank müsse er sich nicht zurechnen lassen. Dies gelte auch für das Verhalten des G. Denn der Antragsteller habe die Berufung auf den als Verweigerung der Zustimmung zu dem der E-Bank erteilten Überweisungsauftrag auffassen dürfen. Zwar sei sich der Antragsteller seiner noch bestehenden Verfügungsbefugnis bewusst gewesen, doch habe er sich aufgrund der Zustimmungsverweigerung des G an der Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten gehindert gesehen. Auch habe der Antragsteller die ihm obliegenden Pflichten nicht dadurch schuldhaft verletzt, dass er sein Amt nicht niedergelegt habe. Denn seine Rechtsstellung sei nicht durch eine das Innenverhältnis betreffende Vereinbarung, sondern durch den Beschluss des AG eingeschränkt worden. Auch ein Nachfolger in der Geschäftsführung hätte sich diesem Beschluss beugen müssen, so dass selbst bei einer Amtsniederlegung die Steuer nicht entrichtet worden wäre. Schließlich wäre eine gerichtliche Verpflichtung des G auf Erteilung der Zustimmung schon wegen der Kürze der bis zur Insolvenzeröffnung zur Verfügung stehenden Zeit nahezu ausgeschlossen gewesen. Auch die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes hätte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg geführt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde wendet sich das FA gegen die dem Antragsteller gewährte AdV. Es ist der Ansicht, dass der Antragsteller seine steuerlichen Pflichten durch Nichtabführung der Lohnsteuer für den Monat November 2003 schuldhaft verletzt habe. Allein die Darlegung, dass er sich sowohl bei der E-Bank als auch bei G nach dem Grund für die Stornierung der Überweisungsaufträge erkundigt habe, könne nicht zu seiner Entlastung führen, denn er habe sich gegen diese Maßnahme nicht mit den gebotenen Mitteln zur Wehr gesetzt. Zunächst hätte er gegenüber der Bank unter Androhung von Schadensersatzforderungen auf Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Bankvertrag bestehen müssen. Über das Verhalten des G hätte er sich beim Insolvenzgericht beschweren können. Weiterhin hätte er einen Rechtsanwalt einschalten und gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen oder von seinem Amt als Geschäftsführer zurücktreten können.

Darüber hinaus sei der Antragsteller nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verpflichtet gewesen, die Lohnsteuer nicht erst zum , sondern bereits zum zu begleichen. Der Darstellung des Antragstellers, er habe erst am von der Stornierungs-Anweisung des G Kenntnis erlangt, würde der Inhalt eines Schreibens der GmbH vom widersprechen, in dem mitgeteilt werde, eine Zahlung der Lohnsteuer sei aufgrund des am eingeleiteten Insolvenzeröffnungsverfahrens nicht möglich. Schließlich sei G verpflichtet gewesen, seine Zustimmung zur Überweisung der geschuldeten Lohnsteuer zu erteilen. Der Antragsteller sei auch nicht, wie das FG meint, nach außen erkennbar in seiner Rechtsstellung eingeschränkt gewesen.

Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen. Er sei sich durchaus bewusst gewesen, dass er auch während des Insolvenzeröffnungsverfahrens die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH zu erfüllen gehabt habe. Bereits am sei er durch einen Mitarbeiter der E-Bank über die Stornierung sämtlicher Überweisungsaufträge informiert worden. Der Sachverhalt hätte sich jedoch erst am aufklären lassen als G in Gegenwart des Antragstellers und dessen Steuerberaters den Beschluss des Insolvenzgerichts vom selben Tage überreicht habe. Auf Nachfrage des Steuerberaters, weshalb G sich bereits am ihm nicht zustehende Befugnisse angemaßt habe, habe G von einem Versehen des Insolvenzgerichts gesprochen. Durch eine telefonische Erklärung seines Mitarbeiters habe G am seine Zustimmung unmissverständlich verweigert. Eine gerichtliche Erzwingung der Zustimmung sei am gleichen Tage nicht möglich gewesen. Da eine Abführung von Lohnsteuer an das FA in der Insolvenz des Arbeitgebers regelmäßig gläubigerbenachteiligend wirke, sei der vorläufige Insolvenzverwalter nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, der Abführung der Lohnsteuer zu widersprechen.

Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

Nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der erkennende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides ernstliche Zweifel bestehen, so dass die AdV durch das FG gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO zu Recht erfolgt ist.

1. Als alleiniger Geschäftsführer der GmbH hatte der Antragsteller nach § 34 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) die Pflichten zu erfüllen, die der GmbH als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug oblagen. Ihn traf daher gemäß § 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die öffentlich-rechtliche Verpflichtung, bis zum zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraumes dem FA die Summe der in diesem Zeitraum einzubehaltenden Lohnsteuer in einer Steuererklärung anzugeben und die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene Lohnsteuer an das FA abzuführen. Seiner Pflicht, für die Abführung der für den Monat November 2003 geschuldeten Lohnsteuer an das FA zu sorgen, ist der Antragsteller dadurch nachgekommen, dass er am 6. bzw. am entsprechende Überweisungsaufträge eingereicht hat. Hätte die E-Bank diese Aufträge im Rahmen des üblichen Geschäftsganges ordnungsgemäß ausgeführt, ist davon auszugehen, dass die Tilgung der Steuerforderung des FA rechtzeitig erfolgt wäre. Denn nach den Feststellungen des FG, die auch das FA bestätigt hat, waren zu diesem Zeitpunkt noch ausreichende Mittel vorhanden, um die Steuerschulden vollständig zu begleichen. Dabei konnte der Antragsteller davon ausgehen, dass die Überweisungen innerhalb von drei Werktagen ausgeführt würden, so dass ein Zahlungseingang am gewährleistet gewesen wäre.

a) Bei summarischer Prüfung vermag der Senat keine grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Pflichtverletzung des Antragstellers darin zu erkennen, dass dieser nach Kenntnis der Stornierung der Überweisungsaufträge durch G nicht innerhalb von zwei Tagen rechtliche Schritte gegen die E-Bank oder den zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellten G unternommen hat. Nach den Angaben des Antragstellers, an denen zu zweifeln der Senat keinen Anlass hat, hat sich der Antragsteller an dem der Kenntniserlangung folgenden Tag mit dem FA in Verbindung gesetzt und mitgeteilt, dass er die Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen könne. Von der E-Bank waren weitere Informationen nicht zu erhalten. Auch G war zunächst nicht zu erreichen. Erst am nächsten Tag gelangte der Antragsteller in den Besitz des Beschlusses des Insolvenzgerichts, aus dem die Bestellung des G zum vorläufigen Insolvenzverwalter und auch das Erfordernis seiner Zustimmung hervorging. Der Antragsteller hat somit unverzüglich Anstrengungen zur Klärung der Situation unternommen. Sein Verhalten deutet nach Auffassung des Senats nicht darauf hin, dass er, wie das FA meint, tatsächlich keinen Willen zur Begleichung der Steuerrückstände gehabt hat. An der Erfüllung seiner Pflicht sah er sich vielmehr durch die äußeren Umstände, insbesondere durch das Verhalten des G und den Beschluss des Insolvenzgerichts gehindert. Daraus, dass er aufgrund der Mitteilung der E-Bank irrtümlich davon ausging, dass G bereits am die Stellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters innehatte, und dass er —ohne über gesicherte Erkenntnisse zu verfügen— vor dem keine anwaltliche oder gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen hat, kann ihm nicht der Vorwurf der grob fahrlässigen Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten gemacht werden, die zur Tatbestandserfüllung nach § 69 AO 1977 erforderlich ist. Denn grob fahrlässig handelt nur derjenige, der die gebotene Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (vgl. Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Tz. 26, m.w.N.). Eine solch gravierende Sorgfaltspflichtverletzung vermag der Senat im Streitfall nicht zu erkennen. Vielmehr war dem Antragsteller zuzugestehen, sich innerhalb von zwei Tagen einen Überblick über eine für ihn nicht vorhersehbare Situation zu verschaffen, um sein weiteres Handeln nach den gewonnenen Erkenntnissen ausrichten und gegebenenfalls gegen die E-Bank oder G vorgehen zu können.

b) Dass der Antragsteller nach dem gegen die Zustimmungsverweigerung des G keine weiteren Maßnahmen ergriffen hat, vermag ebenfalls nicht den Vorwurf der grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung zu begründen. In seinem Beschluss vom hat das Insolvenzgericht G zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt und gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 der Insolvenzordnung angeordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Gleich einem Sequester obliegt dem ohne eigene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis jedoch mit begleitendem Zustimmungsvorbehalt ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalter die Pflicht, zur Sicherung und Erhaltung der Masse beizutragen. Aufgrund der gerichtlichen Anordnung ist ihm die Befugnis übertragen, einer Verringerung des Vermögens des Gemeinschuldners dadurch entgegenzuwirken, dass er die Erfüllung einzelner oder aller Verbindlichkeiten verhindert (zur Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters vgl. , Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, 1625, 1628). Dabei kommt die vom Insolvenzgericht getroffene Maßnahme einem relativen Verfügungsverbot gleich. Der Gemeinschuldner darf sich über das Zustimmungserfordernis nicht hinwegsetzen, ohne sich der Gefahr haftungsrechtlicher Konsequenzen auszusetzen. Auch wird das Insolvenzgericht gehalten sein, bei Missachtung des Zustimmungsvorbehalts, unverzüglich ein allgemeines Veräußerungsverbot zu erlassen (vgl. Wienberg in Hess/Weis/Wienberg, Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 21 Rdnr. 34). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann einem Gemeinschuldner, der eine durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ausgesprochene Zustimmungsverweigerung zunächst akzeptiert, nicht der Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung gemacht werden. Etwas anderes könnte allerdings dann gelten, wenn das Verhalten des vorläufigen Insolvenzverwalters offensichtlich geltendem Recht widersprechen würde und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu rechtfertigen wäre. Im Streitfall jedenfalls hieße es die Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers zu überspannen, von ihm zu verlangen, eine umfassende Kontrolle über die Tätigkeit des vom Insolvenzgericht eingesetzten Verwalters auszuüben und sich gegen das Verhalten der Geschäftsbank und des vorläufigen Insolvenzverwalters mit gerichtlichen Mitteln zur Wehr zur setzen.

2. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, wäre eine Zahlung der Lohnsteuer auch dann nicht erfolgt, wenn der Antragsteller unverzüglich sein Amt als Geschäftsführer niedergelegt hätte. Es ist nicht anzunehmen, dass sich G durch diesen Schritt veranlasst gesehen hätte, der Überweisung der geschuldeten Steuerrückstände zuzustimmen.

Nach der gebotenen summarischen Überprüfung erweist sich die Entscheidung der Vorinstanz daher als zutreffend. Die Beschwerde des FA konnte demnach keinen Erfolg haben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 661
BFH/NV 2005 S. 661 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 10/2006 S. 766
KAAAB-43681