BFH Urteil v. - II R 22/03 BStBl 2005 II S. 301

Baulandausweisung durch die Gemeinde als Gegenleistung

Leitsatz

Erwirbt eine Gemeinde einen Teil der von ihr durch Aufstellung eines Bebauungsplans und Sicherung der Erschließung baureif gemachten Grundflächen, ist der beim Grundstücksveräußerer für die ihm verbleibenden und nunmehr baureifen Teilflächen eintretende Wertzuwachs grundsätzlich keine Gegenleistung der erwerbenden Gemeinde für ihren Grundstückserwerb.

Gesetze: GrEStG § 8 Abs. 1GrEStG § 9 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug: (EFG 2003, 1329) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

In einer zwischen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer politischen Gemeinde, und mehreren Grundstücksverkäufern (V) geschlossenen „Rahmenvereinbarung über die Bebauung eines Grundstücks - Kaufvorvertrag” vom hatten sich V verpflichtet, der Klägerin auf deren Verlangen hin Teilflächen eines Grundstücks zu verkaufen. Dem lag die Absicht der Klägerin zugrunde, das Grundstück als Bauland auszuweisen und seine alsbaldige Bebauung sicherzustellen. Zu diesem Zweck sollten die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen (z.B. Aufstellung eines Bebauungsplans, Sicherung der Erschließung) geschaffen und das Grundstück in Erschließungsflächen und Baugrundstücke aufgeteilt werden. Die Erschließungsflächen sollten insgesamt und die Baugrundstücke im Umfang von 60 v.H. der Flächen an die Klägerin übereignet werden; der von der Klägerin zu zahlende Kaufpreis sollte 60 DM je qm betragen.

Nach Durchführung einer der Rahmenvereinbarung entsprechenden Planung der Klägerin und Rechtskraft des Bebauungsplans erwarb diese von V mit notariell beurkundetem Grundstückskaufvertrag vom verschiedene insgesamt 9 350 qm große Teilflächen zum Kaufpreis von 60 DM je qm, insgesamt 561 000 DM. Bei V verblieben Teilflächen in der Größe von 4 933 qm.

Mit Bescheid vom setzte das damals örtlich zuständige Finanzamt L gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 34 405 DM fest. Die Bemessungsgrundlage in Höhe von 1 720 255 DM ermittelte es unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 561 000 DM sowie einer zusätzlichen Gegenleistung in Höhe der Wertsteigerung von 1 159 255 DM, die die bei V verbliebenen Flächen aufgrund der Baulandausweisung erfahren hatten.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) beurteilte die infolge der Baulandausweisung eingetretene Wertsteigerung der bei V verbliebenen Grundstücksflächen als Gegenleistung der Klägerin für die von ihr erworbenen Flächen. Die Baulandausweisung sei ausdrückliche Geschäftsgrundlage für den Verkauf von Teilflächen an die Klägerin gewesen. Aufgrund des kausalen Zusammenhangs zwischen der Rahmenvereinbarung, der Aufstellung des Bebauungsplans und dem Erwerb der Teilflächen durch die Klägerin sei der infolge der Baulandausweisung eingetretene Wertzuwachs der bei V verbliebenen Grundstücke im Rahmen eines echten Austauschverhältnisses eingetreten. Die etwaige Rechtsunwirksamkeit der von der Klägerin als hoheitliche Maßnahme übernommenen Verpflichtung zur Baulandausweisung sei gemäß § 41 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Besteuerung unerheblich.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das aufzuheben und die Grunderwerbsteuer unter Abänderung des Bescheids vom und der Einspruchsentscheidung vom auf 11 220 DM herabzusetzen.

Der nunmehr örtlich zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Grunderwerbsteuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Bei einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerpflichtigen Grundstückskaufvertrag bemisst sich die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gilt als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Als sonstige Leistungen sind alle Verpflichtungen des Käufers anzusehen, die zwar nicht unmittelbar Kaufpreis für das Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne, aber gleichwohl Entgelt für den Erwerb des Grundstücks sind (, BFH/NV 2002, 1612). Der Erwerb des Grundstücks und die Gegenleistung müssen kausal verknüpft sein (, BFHE 159, 255, BStBl II 1990, 186; vom II R 13/96, BFH/NV 1999, 666).

a) Erwirbt eine Gemeinde einen Teil der von ihr durch Aufstellung eines Bebauungsplans und Sicherung der Erschließung baureif gemachten Grundflächen, ist der beim Grundstücksveräußerer eintretende Wertzuwachs der ihm verbleibenden und nunmehr baureifen Teilflächen grundsätzlich keine Gegenleistung der erwerbenden Gemeinde für ihren Grundstückserwerb. Es fehlt an einer für eine Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne erforderlichen Verknüpfung zwischen dem Grundstückserwerb der Gemeinde und dem Wertzuwachs der dem Grundstücksveräußerer verbleibenden Grundstücksflächen. Der Grundstücksveräußerer empfängt den Wertzuwachs der ihm verbleibenden Grundstücksflächen nicht als Entgelt für die an die Gemeinde veräußerten Grundstücksflächen. Die erwerbende Gemeinde gewährt den aus der Baureifmachung folgenden Wertzuwachs nicht aufgrund einer gegenüber dem Veräußerer (vertraglich) übernommenen Pflicht zur Baureifmachung.

Die Befugnis und Pflicht der Gemeinden zur Aufstellung von Bauleitplänen (§ 1 Abs. 3 des BaugesetzbuchsBauGB—) erfolgt ausschließlich im öffentlichen Interesse (Söfker in Brügelmann, Baugesetzbuch, Kommentar, § 1 Rn. 212). Es besteht daher nach § 2 Abs. 3 BauGB kein Rechtsanspruch auf Aufstellung von Bauleitplänen. Ebenso haben die Gemeinden eine Verpflichtung zur Erschließung (§ 123 BauGB) nur gegenüber der Allgemeinheit und nicht gegenüber dem einzelnen Bürger (, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, m.w.N.). Wertzuwächse der durch diese öffentlichen Maßnahmen begünstigten Grundstücke sind deshalb, auch wenn eine Gemeinde im zeitlichen Zusammenhang mit diesen Planungsmaßnahmen einen Teil der von ihr zur Baureife geführten Grundstücke selbst erwirbt, keine von der Gemeinde gegenüber dem Grundstücksveräußerer für ihren Erwerb erbrachte „Leistung” i.S. der § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Ob andere Grundsätze zu gelten haben, wenn sich die Gemeinde gegenüber einem Grundstücksveräußerer unter Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB vertraglich zur Aufstellung von Bauleitplänen oder städtebaulichen Satzungen verpflichtet hat, bleibt offen. Der Wertzuwachs der von der Gemeinde in rechtmäßiger Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Baureife geführten Grundstücksflächen ist vielmehr ein bloßer Reflex der allein auf öffentliche Interessen ausgerichteten Bauleitplanung (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93).

b) An dieser Beurteilung ändert sich entgegen der Auffassung des FG auch dann nichts, wenn die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Grundstücksveräußerer und der Gemeinde über ihren Grundstückserwerb Elemente eines städtebaulichen Vertrags aufweist und Geschäftsgrundlage dieses Vertrags (auch) die Baulandausweisung von beim Veräußerer verbleibenden Grundstücken ist. Eine Gemeinde kann grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob sie sich zur Erfüllung eines öffentlichen Interesses der Mittel des Privatrechts bedienen will (, BVerwGE 92, 56). Verträge zur Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele sind durch § 11 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.d.F. der Bekanntmachung vom (BGBl I, 2141) ausdrücklich zugelassen; ihre rechtliche Zulässigkeit unterlag auch bereits zuvor keinen rechtlichen Zweifeln (BVerwG-Urteil in BVerwGE 92, 56; , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1998, 208, und vom V ZR 105/02, BGHZ 153, 93). Insbesondere können sich Gemeinden im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Bebauungsplans auf privatrechtlichem Wege Grundstücke in dem zukünftigen Baugebiet beschaffen, um in Erfüllung gemeindlicher Aufgaben z.B. den Wohnbedarf der ortsansässigen Bevölkerung zu decken (BVerwG-Urteil in BVerwGE 92, 56; BGH-Urteil in NJW 1998, 208). Der Umstand, dass Geschäftsgrundlage derartiger Verträge (auch) die Baureifmachung und die damit verbundene Werterhöhung von Grundstücken des Veräußerers sind, ändert nichts an dem von der Gemeinde mit dem Grundstücksankauf verfolgten qualifizierten öffentlichen Interesse. Da der Vorentscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war sie aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ist rechtswidrig, soweit das Finanzamt L einen Wertzuwachs für die bei V verbliebenen Grundstücksflächen in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen hat.

Der angegriffene Bescheid erweist sich nicht etwa deshalb als rechtmäßig, weil die Klägerin gegenüber V unter Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB eine Verpflichtung zur Baulandausweisung eingegangen ist und damit eine sonstige Leistung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) vorliegt. Sollte das vorinstanzliche Urteil dahin zu verstehen sein, dass für die Klägerin in der mit V geschlossenen Rahmenvereinbarung eine solche Verpflichtung begründet wurde, ist der Senat an diese Auslegung der Rahmenvereinbarung nicht nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Revisionsrechtlich ist in vollem Umfang nachprüfbar, ob das FG bei der Auslegung eines Vertrags u.a. die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 24, m.w.N.). Diese Prüfung ergibt, dass die Klägerin in der Rahmenvereinbarung —ohne Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB— lediglich ihre Absicht bekundet hat, für die Grundstücksflächen der V eine Baulandausweisung und Sicherstellung einer alsbaldigen Bebauung vorzunehmen. Hingegen hat sich die Klägerin gegenüber V nicht zur Baulandausweisung verpflichtet und daher mit Abschluss der Rahmenvereinbarung ausschließlich eine ihr übertragene öffentliche Aufgabe auf dem Gebiet des Städtebaurechts wahrgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO zu ändern und die Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung des vereinbarten Kaufpreises in Höhe von 561 000 DM auf 11 220 DM (entspricht 5 736 €) festzusetzen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BStBl 2005 II Seite 301
BB 2005 S. 371 Nr. 7
BFH/NV 2005 S. 474
BFH/NV 2005 S. 474 Nr. 3
BStBl II 2005 S. 301 Nr. 7
DB 2005 S. 373 Nr. 7
DStRE 2005 S. 363 Nr. 6
HFR 2005 S. 337
INF 2005 S. 169 Nr. 5
KÖSDI 2005 S. 14556 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 45/2006 S. 3805
StB 2005 S. 84 Nr. 3
UVR 2005 S. 249 Nr. 8
VAAAB-42568