Kein Teilkindergeld für die Kinder von Grenzgängern
Gesetze: EStG § 65; BKGG § 4
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) lebt seit November 1994 von ihrem Ehemann getrennt und ist seit dem von ihm geschieden. Die beiden im Jahre 1992 geborenen gemeinsamen Kinder leben in ihrem Haushalt. Die Klägerin beantragte am Kindergeld für ihre beiden Kinder. Das schweizerische Bundesamt für Sozialversicherung teilte dem Beklagten und Revisionskläger (Beklagter) mit, der Vater der Kinder sei seit dem April 1995 in der Schweiz beschäftigt und erhalte dort Zulagen gemäß der Kinderzulagenregelung des Kantons Zürich von 150 sfr pro Kind und Monat.
Der Beklagte lehnte den Kindergeldantrag ab und wies den Einspruch mit bestandskräftig gewordener Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Er führte aus, die im Kanton Zürich gezahlte Kinderzulage sei eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Umkehrschluss aus § 65 Abs. 2 EStG, wonach (nur) bei Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder bei Kinderzuschüssen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen ein Unterschiedsbetrag gezahlt werde, sei es nicht möglich, der Klägerin Kindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der schweizerischen Kinderzulage und dem deutschen Kindergeld zu gewähren.
Am beantragte die Klägerin erneut Kindergeld. Sie fügte ein Schreiben des Arbeitgebers des Vaters der Kinder bei, aus dem hervorgeht, dass dieser ab dem auf die Kinderzulagen verzichtet habe. Der Antrag und der Einspruch hatten keinen Erfolg. Der Beklagte wies darauf hin, gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei das Kindergeld auch dann nicht zu gewähren, wenn die ausländische Leistung nur deshalb nicht gezahlt werde, weil sie nicht beantragt worden sei.
Mit der Klage begehrte die Klägerin, den ablehnenden Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld ab dem zu bewilligen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt; es verpflichtete den Beklagten, Kindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Kindergeld nach § 66 EStG und der dem Vater gezahlten schweizerischen Kinderzulage zu zahlen. Soweit nach § 65 Abs. 2 EStG der Unterschiedsbetrag nur in den Fällen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu zahlen und die Nr. 2 —anders als in § 8 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) a.F.— nicht genannt sei, sei ein gesetzgeberisches Motiv dafür nicht erkennbar. Die Schließung der in § 65 Abs. 2 EStG vorhandenen Regelungslücke führe zu einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift auf den Ausschlusstatbestand des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 135 veröffentlicht.
Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
Er hat mit Bescheid vom den Bescheid vom gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) dahin geändert, dass für die beiden Kinder „im Billigkeitswege (§ 163 AO 1977) Kindergeld ab März 1999 in Höhe von je 69 DM monatlich (insgesamt 138 DM) festgesetzt wird”.
Der Beklagte beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie der Klage für die Zeit von Juni 1996 bis Februar 1999 einschließlich stattgegeben hat, und die Klage für diesen Zeitraum in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
II. Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt entsprechend dem Revisionsbegehren zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit das FG den Beklagten für die Zeit bis einschließlich Februar 1999 zur Festsetzung eines Unterschiedsbetrages verpflichtet hat, und zur Klageabweisung auch insoweit (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Entgegen der Auffassung des FG liegt keine —durch eine analoge Anwendung des § 65 Abs. 2 EStG zu schließende— gesetzliche Regelungslücke vor, soweit nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ein Unterschiedsbetrag nicht zu zahlen ist, wenn die mit dem Kindergeld vergleichbare ausländische Leistung niedriger ist als das deutsche Kindergeld. Das Fehlen einer dem § 65 Abs. 2 EStG entsprechenden Regelung für die von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfassten ausländischen Leistungen ist verfassungsgemäß.
1. Der Klägerin steht gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zwar grundsätzlich Kindergeld für ihre beiden Kinder zu. Ihr Anspruch ist aber gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld u.a. nicht gezahlt für ein Kind, für das im Ausland Leistungen erbracht werden oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld vergleichbar sind.
Im Streitfall steht dem Vater der Kinder der Klägerin ein Anspruch auf die im Kanton Zürich gezahlte Kinderzulage zu. Das FG hat zutreffend entschieden und zwischen den Beteiligten ist auch nicht streitig, dass die in der Schweiz gezahlten kantonalen Kinderzulagen dem Kindergeld vergleichbare Leistungen sind (vgl. auch Vorlagebeschluss des FG Baden-Württemberg, Außensenat Freiburg, vom 27. Mai 1997 11 K 194/96, EFG 1997, 998). Die vom FG aufgeworfene und offen gelassene Frage, ob bei Ablehnung der von ihm befürworteten analogen Anwendung des § 65 Abs. 2 EStG eine Vergleichbarkeit i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nur insoweit vorliege, als die ausländische Leistung in ihrer Höhe dem deutschen Kindergeld entspricht, ist zu verneinen. Das (BFH-Report 2004, 1060, unter C.II.3.b aa (1) (a) der Gründe) ausgeführt, dass es für die Vergleichbarkeit der ausländischen Leistung mit dem Kindergeld i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht auf die Höhe der ausländischen Leistung ankomme. Aus der Gesetzessystematik ergebe sich eindeutig, dass § 65 Abs. 1 EStG die grundsätzliche Frage des Leistungsausschlusses regele und Abs. 2 die Frage kläre, in welchen Fällen bei unterschiedlicher Höhe der kollidierenden Leistungen ein Unterschiedsbetrag gewährt werden solle.
Da an den Vater der Kinder in der Schweiz Kinderzulagen gezahlt wurden oder zumindest ein Anspruch darauf bestanden hatte, hat der Beklagte die Festsetzung von Kindergeld zugunsten der Klägerin in voller Höhe gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu Recht abgelehnt. Soweit das BVerfG es in seinem oben zitierten Beschluss vom für denkbar gehalten hat, dass bei ganz geringfügigen ausländischen Leistungen die funktionelle Vergleichbarkeit entfallen könnte (vgl. unter C.II.3.b aa (1) (a), letzter Satz), liegt ein derartiger Ausnahmefall im Streitfall, in dem der Vater Kinderzulagen von monatlich insgesamt 300 sfr erhalten hatte bzw. hätte können, nicht vor.
2. Entgegen der Auffassung des FG steht der Klägerin kein Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der schweizerischen kantonalen Kinderzulage und dem deutschen Kindergeld für den umstrittenen Zeitraum zu.
a) Die Zahlung eines Unterschiedsbetrags ist bei den von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfassten Leistungen im Gesetz nicht vorgesehen. Die in § 65 Abs. 2 EStG getroffene Regelung über die Zahlung eines Unterschiedsbetrages bezieht sich nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut ausschließlich auf die in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG geregelten Leistungen aus gesetzlichen Versicherungen und nicht auf die im Streitfall vorliegenden Leistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
Anders als das FG angenommen hat, liegt insoweit auch keine durch eine Analogie zu schließende Regelungslücke vor. Vielmehr lassen die Gesetzesmaterialien zu § 4 BKGG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438), dessen Wortlaut im Wesentlichen demjenigen des § 65 EStG entspricht, zweifelsfrei erkennen, dass es nicht auf einem Versehen, sondern auf gesetzgeberischer Absicht beruht, dass § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in Abs. 2 dieser Vorschrift nicht genannt ist. Denn nach der Gesetzesbegründung ist in Fällen, in denen das europäische Gemeinschaftsrecht keinen Vorrang hat, die Zahlung von Unterschiedsbeträgen zu ausländischen Leistungen —die in zweiseitigen Abkommensfällen auch nicht vorgesehen sei— nicht erforderlich (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 165).
Die Annahme einer vom Gesetzgeber nicht erkannten Regelungslücke scheidet auch deshalb aus, weil § 4 BKGG i.d.F. des JStG 1996 anders als § 8 Abs. 2 BKGG in der bis einschließlich 1995 gültigen Fassung keine Regelung über die Umrechnung der in ausländischer Währung gezahlten vergleichbaren Leistungen mehr enthält. Einer solchen Regelung hätte es aber weiterhin bedurft, wenn für die Bezieher von mit dem Kindergeld vergleichbaren ausländischen Leistungen wie bisher ein Unterschiedsbetrag hätte gezahlt werden sollen.
b) Ein Anspruch der Klägerin auf die Festsetzung von Kindergeld in Höhe eines Unterschiedsbetrages ergibt sich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Überlegungen. Denn das BVerfG hat durch den bereits oben zitierten Beschluss vom 2 BvL 5/00 entschieden, dass der Ausschluss von Teilkindergeld für die Kinder von Grenzgängern nach § 65 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar sei und es auf die Fragen der verfassungskonformen Auslegung oder Analogie nicht ankomme. Wegen der Einzelheiten der Begründung dieser Rechtsauffassung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt dieses Beschlusses verwiesen.
3. Da die Vorentscheidung von anderen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sie für den Zeitraum von Juni 1996 bis Februar 1999 aufzuheben, soweit sie der Klage stattgegeben hat. Die Klage ist für die Zeit bis einschließlich Februar 1999 auch insoweit abzuweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 535
BFH/NV 2005 S. 535 Nr. 4
LAAAB-42207