Rüge mangelnder Sachaufklärung bei einer Schätzung; Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten
Gesetze: FGO §§ 76, 78, 96, 116
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb an einem Bundeswehrstandort ein als „Schwimmbad- und Saunabetrieb” bezeichnetes barähnliches Unternehmen, in dem der Prostitution nachgegangen wurde.
Bei polizeilichen Kontrollen im Dezember 1994 und Juni 1995 wurden zwölf bzw. neun Prostituierte angetroffen. Eine für das Jahr 1995 im Juni 1996 durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung ergab, dass die Klägerin für den Bordellbetrieb keine Voranmeldungen bzw. Steuererklärungen abgegeben hatte. Der Prüfer schätzte daraufhin die Bruttoumsatzerlöse. Er ging von einer täglichen Anwesenheit von durchschnittlich zehn Prostituierten an fünf Wochentagen und von Tageseinnahmen von 600 DM je Prostituierte aus, sodass sich ein abgerundeter Jahresbetrag von 1 500 000 DM ergab. Zugunsten der Klägerin wurde angenommen, dass der Betrieb in der zweiten Jahreshälfte 1995 geschlossen war.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ Schätzungsbescheide über Einkommen- und Umsatzsteuer für die Streitjahre 1993 bis 1995.
Die Klägerin brachte in erster Linie vor, das FA sei von einer zu hohen Anzahl jeweils anwesender Prostituierter, von einer zu hohen Anzahl von Séparées und von zu hohen Tageseinnahmen der einzelnen Prostituierten ausgegangen. Für ihr Vorbringen zur Zahl der anwesenden Prostituierten und der vorhandenen Séparées benannte die Klägerin in einem umfangreichen Schriftsatz im Anschluss an die erst nach Klageerhebung getroffene Einspruchsentscheidung Zeugen. Die Beweisanträge erneuerte die Klägerin in einem weiteren Schriftsatz unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung. Ihr Prozessbevollmächtigter rügte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich die unterlassene Zeugenvernehmung.
Das Finanzgericht (FG) bejahte die Berechtigung des FA zur Schätzung und wies die Klage als unbegründet ab. Die beantragte Beweiserhebung unterblieb.
II. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat den von ihr geltend gemachten Revisionszulassungsgrund nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geforderten Weise dargelegt.
1. Der Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) ist nur dann i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ausreichend bezeichnet, wenn auch angegeben wird, welches Ergebnis die unterbliebene Beweisaufnahme im Einzelnen gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschlüsse vom X B 34/02, BFH/NV 2003, 76 und vom X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Nur so wird ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verfahrensmangel und dem nachteiligen Entscheidungsergebnis dargelegt.
Dieser Anforderung genügt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Dafür ist schon das von der Klägerin genannte Beweisthema zu ungenau, weil die von ihr benannten Zeugen jeweils nur darüber aussagen sollten, welche Prostituierten sie bei ihren Aufenthalten im Club „angetroffen” haben. Der beantragte Beweis über die Anwesenheit von beispielsweise zwei bis drei Französinnen im Zeitraum von Anfang 1993 bis Frühsommer 1994 bzw. zwei Ukrainerinnen und einer Französin im Zeitraum von Mitte/Ende Juni 1994 bis Ende September/Mitte Oktober 1994 ermöglicht keine Prognose des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme, wenn deren Ziel ist, die vom FG angenommene Anwesenheit von durchschnittlich zehn Prostituierten zu widerlegen. Denn die unter Beweis gestellten Behauptungen der Klägerin sagen nichts darüber aus, ob und wie viele Prostituierte darüber hinaus im Club tätig gewesen sind.
b) Ebenso als unzureichend erweist sich die Darlegung des voraussichtlichen Ergebnisses der Beweisaufnahme. Die mit der Beschwerde vorgetragene Erwartung der Klägerin, es werde „nur ein Bruchteil des veranschlagten Umsatzes” übrig bleiben, ist ungenügend.
Vor dem Hintergrund der ins Einzelne gehenden Berechnungen des FA und des FG muss von der Klägerin verlangt werden, der angestellten Schätzung eine konkrete zahlenmäßig fassbare Berechnung entgegen zu setzen, da andernfalls das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme zu vage bleibt. Es genügt nicht, lediglich einen Faktor der Schätzung des FA und des FG in Zweifel zu ziehen und die anderen Faktoren unberücksichtigt zu lassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin ergibt, dass das FA und das FG Annahmen zugunsten der Klägerin getroffen haben. So beruht die Schätzung auf der Annahme einer im Club praktizierten Fünf-Tage-Woche. Dagegen ergibt sich aus dem Schriftsatz der Klägerin vom , auf den sie sich selbst bezieht, und auf ihrem beim FG gestellten Antrag auf Tatbestandsberichtigung, dass die Prostituierten „von Sonntag bis Samstag” ihre Dienste angeboten haben. Statt 250 Einsatztage wie vom FA und FG angesetzt, könnte also mit 360 Einsatztagen gerechnet werden. Würde die Inanspruchnahme der Prostituierten nicht wie vom FA und FG in ihrer Schätzung mit 40 %, sondern mit 70 % der Öffnungszeiten des Clubs angesetzt, hätte der geschätzte Umsatz durch die Arbeit von nur vier Prostituierten an 360 Tagen erzielt werden können. Der Tagesverdienst einer Prostituierten läge dann allerdings nicht wie in der Schätzung angenommen bei 600 DM, sondern bei 1 050 DM. Dabei bleibt die unbestrittene Tatsache unberücksichtigt, dass in einem —wenn auch aufgrund der Einwendungen der Klägerin nicht genau bestimmbaren— Zeitraum mehr als vier Prostituierte tätig waren.
c) Der auf die Zahl der Séparées gestützten Sachaufklärungsrüge kommt keine Bedeutung zu, weil das FG bei der Schätzung nicht auf deren genaue Zahl abgestellt hat, sondern von bis zu sieben Séparées ausgegangen ist. Deren Zahl war für die Entscheidung des FG nicht erheblich.
2. Die Rüge der Klägerin, das FG habe die von der Staatsanwaltschaft X beigezogenen Akten mit Aussagen der Prostituierten nicht verwertet und damit entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, lässt außer Acht, dass § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht gebietet, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (, BFH/NV 2000, 673, m.w.N.). Davon ist im Streitfall umso mehr auszugehen, als sich das FG im Tatbestand seines Urteils auf diese Akten bezogen hat, die es selbst zum Verfahren beigezogen hatte.
3. Aus mehreren Gründen erfolglos rügt die Klägerin die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO), die sie darin sieht, dass ihr bei der Einsicht in die Akten vier Anlagen zu den vom FA vorgelegten Akten vorenthalten wurden.
a) Das Recht auf Akteneinsicht ist nicht unbeschränkt und stößt an Grenzen, wenn dadurch die Verhältnisse Dritter offenbart werden (vgl. zur Einschränkung der Akteneinsicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses: List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 78 FGO Rz. 5; Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, Kommentar, § 78 FGO Rz. 38). Das wäre der Fall gewesen, weil nach der Feststellung des FG die fraglichen Aktenteile ausschließlich strafprozessuale Ermittlungsverfahren gegen Dritte betrafen. Somit hat das FG aus seiner Sicht die Einsicht in diese Unterlagen zu Recht versagt.
b) Außerdem hat die Klägerin es unterlassen, eine beschwerdefähige Entscheidung des FG über die Einschränkung der Akteneinsicht zu verlangen, sondern sich mit einer Gegenvorstellung begnügt. Dies kommt einem Verzicht auf die Rüge der behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gleich, der nicht durch ihren in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand wettgemacht wird, sie rüge die unvollständige Akteneinsicht.
Fundstelle(n):
BAAAB-40505