BFH Beschluss v. - III B 155/03

Aufwendungen für Besuchsfahrten zu erkrankten nahen Angehörigen als agw. Bel.

Gesetze: EStG § 33 Abs. 1, 2; § 33b Abs. 6

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 5 K 62/01

Gründe

Von einer Darstellung des Tatbestandes sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nrn. 3 und 2 2. Alternative, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Ein Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, den Mangel ergeben und die zur Begründung des Mangels erforderlichen Tatsachen lückenlos vorgetragen worden sind (, BFH/NV 2003, 182).

Daran fehlt es hier.

a) Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muss ein finanzgerichtliches Urteil mit Gründen versehen sein. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend gewesen sind. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen ist deshalb dann anzunehmen, wenn dem Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das ist auch dann der Fall, wenn ein im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündetes Urteil nicht alsbald nach seiner Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen schriftlich niedergelegt und der Geschäftsstelle unterschrieben von den Richtern übergeben worden ist (§ 105 Abs. 4 Satz 3 FGO).

Seit der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom GmS-OGB 1/92 (Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1993, 2603), der sich der BFH in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, gilt ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil als i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung nicht binnen fünf Monaten nach dessen Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (, BFH/NV 2003, 626, m.w.N.).

b) Die Kläger haben geltend gemacht, das am im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündete Urteil des Finanzgerichts (FG) sei erst am , also mehr als fünf Monate nach der Verkündung, zugestellt worden. Indes kommt es nach den oben dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht auf den Zeitpunkt der Zustellung, sondern auf den Zeitpunkt der Übergabe des unterschriebenen Urteils bei der Geschäftsstelle an.

Im Übrigen ist —was die Kläger ggf. durch Akteneinsicht oder Rückfrage bei der Geschäftsstelle des zuständigen Senats beim FG auch ohne weiteres hätten feststellen können— ausweislich entsprechender Vermerke der Geschäftsstelle der Tenor bereits am bei der Geschäftsstelle hinterlegt und die Reinschrift des Urteils am gefertigt worden, also auf jeden Fall innerhalb der Fünfmonatsgrenze.

2. Ebenso wenig haben die Kläger hinreichend die Notwendigkeit einer weiteren bzw. erneuten Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dargetan.

a) Die Kläger behaupten zwar, das FG sei von der BFH-Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Aufwendungen für Besuchsfahrten zu nahen Angehörigen als unmittelbare Krankheitskosten (, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484; vom III R 60/88, BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958, und vom III R 265/94, BFHE 182, 352, BStBl II 1997, 558) abgewichen.

Für eine zulässige Rüge der Divergenz im engeren Sinne fehlt es indes bereits an der Gegenüberstellung tragender, sich widersprechender abstrakter Rechtssätze im angefochtenen Urteil des FG einerseits und in den angeblichen Divergenzentscheidungen des BFH andererseits (vgl. , BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.).

Zudem behaupten die Kläger, das FG habe entgegen der eindeutigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. , BFHE 181, 441, BStBl II 1997, 199, und in BFHE 182, 352, BStBl II 1997, 558) unberücksichtigt gelassen, dass der BFH den Tatbestand der außergewöhnlichen Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und nach § 33b Abs. 6 EStG einheitlich auslege. Tatsächlich hat der BFH aber in den vorgenannten Entscheidungen, wie dies auch das FG im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt hat, eine weniger strenge Auslegung des Merkmals der Zwangsläufigkeit im Rahmen des Pauschbetrages nach § 33b Abs. 6 EStG im Vergleich zu § 33 Abs. 2 EStG gebilligt und eine sittliche Verpflichtung zur Pflege gemäß § 33b Abs. 6 EStG bereits dann anerkannt, wenn eine enge persönliche Beziehung zu der gepflegten Person besteht. Die von den Klägern behauptete Abweichung liegt daher ersichtlich nicht vor.

3. Soweit die Kläger im Ergebnis eine unzutreffende Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung rügen, wird damit ebenfalls nicht die Notwendigkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dargetan.

Das FG hat vielmehr die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die steuermindernde Berücksichtigung von Aufwendungen zur krankheitsbedingten Betreuung pflegebedürftiger naher Angehöriger zutreffend wiedergegeben. Danach sind Besuchs- und Pflegeaufwendungen ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn die Besuche zur Pflege und Versorgung des Angehörigen notwendig sind. Aus sittlichen Gründen zwangsläufig sind sie nur dann, wenn der Steuerpflichtige aufgrund eines unausweichlichen, einem Rechtszwang ähnlichen sittlichen Gebots solche Pflegeleistungen erbringt. Ob dies der Fall ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass angesichts des u.U. sehr persönlichen Charakters der Pflegeleistungen selbst bei einem nahen Verwandten nicht ohne weiteres vom Bestehen einer solchen sittlichen Pflicht ausgegangen werden kann (, BFH/NV 1992, 96, und in BFHE 182, 352, BStBl II 1997, 558).

Diese Rechtsprechung trägt auch der aus Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) folgenden Verpflichtungen zwischen Eltern und Kindern, einander lebenslang Beistand zu leisten, hinreichend Rechnung, macht die Anerkennung des steuermindernden Abzugs allerdings von einer umfassenden Würdigung des Einzelfalls abhängig.

Der von den Klägern zitierte (BVerfGE 57, 170, 176) betrifft einen völlig anderen Regelungsbereich, nämlich die Kontrolle von Briefen in der Untersuchungshaft befindlicher, volljähriger Kinder an ihre Eltern nach § 119 Abs. 3 der Strafprozessordnung. Das BVerfG hat in diesem Beschluss ausgeführt, der Schutzbereich des Art. 6 GG umfasse auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern. Die herkömmliche Regelung des Unterhaltsrechts verweise deutlich auf eine lebenslange Verpflichtung von Eltern und Kindern, einander Beistand zu leisten. Mit diesen Ausführungen hat das BVerfG aber erkennbar keine verbindliche Aussage zu der hier zu beurteilenden Frage, unter welchen Voraussetzungen und ggf. in welchem Umfang bei der Verwirklichung derartiger Beistandspflichten anfallende Aufwendungen im konkreten Fall steuermindernd zu berücksichtigen seien, gemacht.

Rügen die Kläger jedoch —wie hier— eine unzutreffende Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze insbesondere im Lichte der verfassungsrechtlichen Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 1 GG in ihrem konkreten Fall, so liegt darin allenfalls ein grundsätzlich nicht zur Zulassung führender materiell-rechtlicher Fehler vor, es sei denn, es handelte sich um offensichtliche Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung (Beschluss des BFH in BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.).

Für einen derartigen schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler haben die Kläger indes nichts vorgetragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1646
BFH/NV 2004 S. 1646 Nr. 12
AAAAB-27642