BFH Urteil v. - X R 46/02

Keine Kürzung der ao. Einkünfte um laufende Verluste

Gesetze: EStG § 34, § 2 Abs. 3

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr 1999 Einkünfte aus selbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen. Daneben bezog er gewerbliche Einkünfte aus verschiedenen Beteiligungen, darunter auch an der „MS ...” GmbH & Co. KG. Aus dem Verkauf dieser Beteiligung im Streitjahr 1999 entstand dem Kläger ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 394 301 DM.

Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1999 verrechnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) den Gewinn aus der Veräußerung der Schiffsbeteiligung mit der negativen Summe sämtlicher laufender gewerblicher Beteiligungseinkünfte und gewährte die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom (BGBl I 1999, 402) —im Folgenden: EStG 1999— nur auf den nach Abzug der laufenden Verluste aus Gewerbebetrieb verbleibenden Veräußerungsgewinn in Höhe von 224 065 DM. Er setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr 1999 auf 187 644 DM fest.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1449 veröffentlichtem Urteil ab.

Im während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom setzte das FA die Einkommensteuer für das Streitjahr 1999 auf 214 544 DM fest. Es verrechnete den begünstigten Veräußerungsgewinn in Höhe von 394 301 DM mit der negativen Summe sämtlicher laufender gewerblicher Beteiligungseinkünfte in Höhe von 119 325 DM und gewährte die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1999 auf den nach Abzug der laufenden Verluste aus Gewerbebetrieb verbleibenden Veräußerungsgewinn in Höhe von 274 976 DM.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 34 Abs. 1 EStG 1999. Er beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999 vom abzuändern und die Einkommensteuer auf 188 263 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. 1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom an die Stelle der Einkommensteuerfestsetzung vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom trat. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu , BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

Der Bescheid vom wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da sich durch den Änderungsbescheid der bisherige Streitstoff nicht verändert hat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 127 Rz. 2), bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

2. Der Senat entscheidet in der Sache selbst.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat § 34 Abs. 1 EStG 1999 fehlerhaft angewendet.

a) Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG 1999 die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach den Sätzen 2 bis 4 zu berechnen (§ 52 Abs. 47 Satz 2 EStG 1999). Nach Satz 2 beträgt die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte. Für das verbleibende zu versteuernde Einkommen ist die tarifliche Einkommensteuer sodann gemäß der in § 32a Abs. 1 EStG aufgeführten Tarifformel zu berechnen.

b) Die vom Kläger bezogenen und in seinem zu versteuernden Einkommen enthaltenen außerordentlichen Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG 1999 betragen 394 301 DM.

aa) In den Entscheidungen der Finanzgerichte und in der Literatur ist die Berechnung der auf außerordentliche Einkünfte entfallenden Einkommensteuer in Fällen, in denen auch verrechenbare Verluste angefallen sind, umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass zunächst nach § 2 Abs. 3 EStG eine Verlustverrechnung auch mit den außerordentlichen Einkünften vorgenommen werden müsse (, EFG 2003, 392, Revisionsverfahren X R 47/02; , Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst —DStRE— 2002, 949; , EFG 2002, 1577; FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 3 K 1789/01, EFG 2004, 268; , juris: STRE200171749; R 197 Abs. 3 Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2003; , BStBl I 2001, 172, Beispiel 2; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl. 2004, § 34 Rz. 51; Kirchhof/Geserich in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 2 Rz. D 71; Mellinghoff in Kirchhof, Einkommensteuergesetz KompaktKommentar, § 34 Rz. 57; Schynol, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2000, 1590; Freyer/Schult, DStR 2001, 71). Zunächst sei unter nachrangiger Einbeziehung tarifbegünstigter außerordentlicher Einkünfte ein horizontaler Verlustausgleich innerhalb der einzelnen Einkunftsarten durchzuführen. Anschließend seien die ggf. verbleibenden außerordentlichen Einkünfte in den vertikalen oder externen Verlustausgleich einzubeziehen und nach § 2 Abs. 3 Satz 4 EStG anteilig zu mindern. Die Gesetzessystematik spreche für die Nachrangigkeit der Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer gegenüber den Regelungen über die Ermittlung der Einkünfte.

Andere sind hingegen der Auffassung, dass die Einkommensteuer auf die außerordentlichen Einkünfte in den Jahren 1999 bis 2003 unabhängig von der Regelung des § 2 Abs. 3 EStG zu berechnen sei (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4 V 18/01, EFG 2002, 1017; , DStRE 2003, 399; Röhner, Betriebsberater —BB— 2000, 2234 und 2001, 1126; Eggers/Bauer, DStR 2000, 1171; Lindberg in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 2 Rz. 80).

bb) Nach der Entscheidung des XI. Senats des (BFHE 204, 433, BStBl II 2004, 547) sollte mit der Einführung der Fünftelregelung keine Änderung hinsichtlich der Ermittlung der außerordentlichen Einkünfte einhergehen. § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG 1999 enthalte eine eigene Berechnung des verbleibenden zu versteuernden Einkommens, die unabhängig von den Berechnungen zur Mindestbesteuerung in § 2 Abs. 3 EStG vorzunehmen sei. Deshalb sei die Einkommensteuer auf die der ermäßigten Besteuerung des § 34 EStG 1999 unterliegenden außerordentlichen Einkünfte unabhängig von der Regelung des § 2 Abs. 3 EStG zu berechnen.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die genannte Entscheidung Bezug genommen.

c) Im Streitfall sind danach —unter Beachtung von § 2 Abs. 3 Satz 3 EStG— die laufenden negativen Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb in Höhe von 119 325 DM mit den positiven Einkünften aus selbständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von insgesamt 193 394 DM auszugleichen. Die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1999 ist demzufolge für die gesamten außerordentlichen Einkünfte in Höhe von 394 301 DM zu gewähren.

Die Steuerberechnung wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen.

3. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung war als unzulässig abzulehnen, weil der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter das erforderliche besondere Rechtsschutzbedürfnis für die Festsetzung des Streitwerts durch den beschließenden Senat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII R 65/84, BFH/NV 1986, 348, und vom VII S 36/93, BFH/NV 1994, 818; Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 135 Rz. 38, m.w.N.) nicht dargelegt hat. Die Ermittlung und Feststellung des Streitwerts ist im Regelfall unselbständiger Teil des Kostenansatzverfahrens bzw. -festsetzungsverfahrens und obliegt daher in erster Linie dem Kostenbeamten (ständige Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 135 Rz. 38). Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Streitwertfestsetzung durch das Gericht als Spruchkörper fehlt, wenn sich —wie hier— die Höhe des Streitwerts eindeutig aus den gestellten Sachanträgen sowie aus den von der Rechtsprechung zur Bemessung des Streitwerts in gleichartigen Fällen entwickelten Grundsätzen ermitteln lässt (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 818; Gräber/Ruban, a.a.O.).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1643
BFH/NV 2004 S. 1643 Nr. 12
GAAAB-27627