Aufhebung des GewSt-Messbescheids bei Umqualifizierung von gewerblichen Einkünften in solche einer anderen Einkunftsart nach § 35b GewStG [BStBl 2004 II S. 901]
Leitsatz
Der Gewerbesteuermessbescheid ist nach § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG auch dann aufzuheben oder zu ändern, wenn die vorausgegangene Aufhebung oder Änderung des Einkommensteuerbescheids darauf beruht, dass die Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht mehr wie bisher als gewerbliche qualifiziert, sondern einer anderen Einkunftsart zugeordnet wird.
Gesetze: GewStG § 35b Abs. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Werbedesigner. Das damals zuständige Finanzamt B. beurteilte seine Einkünfte aus dieser Tätigkeit als solche aus Gewerbebetrieb. Mit Bescheiden vom setzte es den Gewerbesteuermessbetrag für die Streitjahre auf 390 DM (1983), 3 210 DM (1984) und 2 625 DM (1985) fest. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Der Kläger legte gegen die die Streitjahre betreffenden Einkommensteuerbescheide des zwischenzeitlich zuständig gewordenen Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) vom mit der Begründung Einspruch ein, er übe eine freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus. Gegen die Gewerbesteuermessbescheide 1987 und 1988 erhob er vor dem Finanzgericht (FG) Klage. Nach einer Beweisaufnahme hob das FA die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide auf. Mit Bescheid vom änderte daraufhin das hierfür inzwischen zuständig gewordene Finanzamt S. die Einkommensteuerbescheide 1983 bis 1985 antragsgemäß und qualifizierte die Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit als Werbedesigner nunmehr als Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Der Kläger beantragte die Aufhebung der Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre gemäß § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Dies lehnte das FA ab.
Das FG wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage unter Bezugnahme auf das (BFHE 188, 409, BStBl II 1999, 475) ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 35b GewStG.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom und den Ablehnungsbescheid vom aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Gewerbesteuermessbescheide für 1983 bis 1985 vom aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Ablehnungsbescheids. Zu Unrecht hat das FG angenommen, dass die Bescheide für 1983 bis 1985 über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag nicht mehr geändert werden können.
1. Nach § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG ist ein Gewerbesteuermessbescheid von Amts wegen aufzuheben oder zu ändern, wenn der Einkommensteuerbescheid „aufgehoben oder geändert wird und die Aufhebung oder Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt”. Den Umfang der Änderung bestimmt § 35b Abs. 1 Satz 2 GewStG. Danach ist die Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrages beeinflusst. Dies trifft nach Auffassung des erkennenden Senats auch dann zu, wenn die Aufhebung oder Änderung des Einkommensteuerbescheides —wie im vorliegenden Streitfall— darauf beruht, dass die Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht mehr wie bisher als gewerbliche qualifiziert, sondern einer anderen Einkunftsart zugeordnet wird. Für dieses Ergebnis sprechen sowohl der Wortlaut der Vorschrift (unten 2.) als auch deren Sinn und Zweck (unten 3.) sowie nicht zuletzt auch verfassungsrechtliche Erwägungen, namentlich insbesondere das im Rechtsstaatsprinzip (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2003, 1924) sowie in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verankerte Gebot der Rechtsmittelsicherheit (unten 4.).
2. § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG setzt nach seinem Wortlaut voraus, dass durch die Aufhebung oder Änderung des Einkommensteuerbescheids der Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt wird.
Angesichts des Umstandes, dass in der zitierten Norm nicht etwa schlechthin von „Gewinn” oder von „Einkünften” oder gar von der „Höhe des Gewinns oder der Einkünfte” ohne konkreten Bezug zu einer bestimmten Einkunftsart die Rede ist, sondern vom „Gewinn aus Gewerbebetrieb”, sind nach dem Wortlaut der Vorschrift neben dem unstreitigen Fall einer Herauf- oder Herabsetzung des gewerblichen Gewinns auch —und erst recht— Konstellationen erfasst, in denen der „Gewinn aus Gewerbebetrieb” zur Gänze entfällt, etwa deswegen, weil die Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Einkommensteueränderungsbescheid in solche einer anderen Einkunftsart oder gar in solche aus einer nicht steuerbaren Betätigung (z.B. Liebhaberei oder Veräußerung von Privatvermögen außerhalb der Geltungsbereiche der §§ 17 und 23 EStG sowie des § 21 des Umwandlungssteuergesetzes —UmwStG—) umqualifiziert werden. Dass der durch eine solche Umqualifizierung bedingte gänzliche Wegfall der gewerblichen Einkünfte nach allgemeinem Sprachverständnis und Wortsinn „den Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt”, bedarf daher keiner näheren semantischen Erörterung.
3. Sinn und Zweck des § 35b GewStG liefern nach Auffassung des erkennenden Senats keine Handhabe für dessen einschränkende Auslegung in dem Sinne, dass er lediglich graduelle —die Höhe betreffende— Veränderungen des Gewinns aus Gewerbebetrieb bei im Übrigen unveränderter Klassifizierung der Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb erfasst. Sie gebieten im Gegenteil eine Interpretation der Vorschrift, welche mit deren weit gehaltenem Wortlaut übereinstimmt.
a) § 35b GewStG enthält eine selbständige Rechtsgrundlage zur Änderung oder Aufhebung von Gewerbesteuermessbescheiden und Verlustfeststellungsbescheiden (vgl. z.B. Blümich/Hofmeister, Gewerbesteuergesetz, § 35b Rz. 4). Die Vorschrift dient der Verfahrensvereinfachung. Sie bezweckt die Vermeidung einer unerwünschten Verdoppelung von Rechtsbehelfsverfahren, in denen der Steuerpflichtige (Rechtsbehelfsführer) sowohl gegen den Einkommensteuer(änderungs)bescheid als auch gegen den Gewerbesteuermessbescheid ein und dieselben (materiell-rechtlichen) Einwendungen erhebt.
b) Dieser Zwecksetzung wäre nur unvollkommen Rechnung getragen, wenn § 35b GewStG nur die Fälle erfasste, in denen die Einkünfte des Steuerpflichtigen dem Grunde nach unstreitig als solche aus Gewerbebetrieb einzuordnen sind und lediglich um die Höhe dieser Einkünfte gestritten wird. Die effektive Verwirklichung des beschriebenen Zwecks erfordert vielmehr die —wie dargelegt: wortlautkongruente— Erfassung auch derjenigen Konstellation, in welcher sich der Steuerpflichtige schon gegen den im angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid vorgenommenen Ansatz von gewerblichen Einkünften „dem Grunde nach” zur Wehr setzt. Die Plausibilität dieser Sichtweise folgt auch aus der Erwägung, dass jeder erfolgreiche Einwand gegen den im Einkommensteueränderungsbescheid in einer bestimmten Höhe vorgenommenen Ansatz des Gewinns aus Gewerbebetrieb dem Grunde nach zwangsläufig auch die Höhe dieses Ansatzes berührt, indem er ihr den Boden entzieht (argumentum a maiore ad minus).
c) Dementsprechend hat die Rechtsprechung des BFH die Vorschrift bereits in ihrer Fassung vor In-Kraft-Treten des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694, 702) —GewStG a.F.—, nach deren Wortlaut „die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb berührt” werden musste, im vom Senat befürworteten Sinne weit ausgelegt. So hat der VI. Senat des (BFHE 80, 296, BStBl III 1964, 581) § 35b GewStG in einem Fall angewendet, in welchem in einem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid die Gesamthöhe des gewerblichen Gewinns unverändert blieb und lediglich dessen Zuordnung zum laufenden Gewinn einerseits und zum (einkommensteuerrechtlich tarifbegünstigten und gewerbesteuerrechtlich irrelevanten) Veräußerungsgewinn andererseits verändert wurde.
4. Die vom erkennenden Senat befürwortete wortlautkongruente und zweckgerechte Auslegung des § 35b GewStG erfordern nicht zuletzt auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) herzuleitenden Gebote der Gesetzesbestimmtheit und der Rechtsmittelsicherheit. Gesetze müssen so gefasst und ausgelegt werden, dass die Bürger die für sie eintretenden Rechtsfolgen zuverlässig erkennen können, um ihr Verhalten danach einrichten zu können (BVerfG-Entscheidungen vom 2 BvR 579/84, BVerfGE 78, 205, 212; vom 1 BvR 1341/90, BVerfGE 84, 133, 149; Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 20 Rz. 129). Im Bereich des Verfahrensrechts wirkt sich der aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleitete Grundsatz der Rechtssicherheit u.a. in dem Postulat der Rechtsmittelklarheit aus. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns erfordert es, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (BVerfG in NJW 2003, 1924).
Dies vorausgesetzt kann der Steuerpflichtige nach dem Wortlaut des § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG berechtigterweise davon ausgehen, dass auch eine Umqualifizierung gewerblicher Einkünfte in solche aus einer anderen Einkunftsart und der dadurch bedingte anderweitige Ansatz des gewerblichen Gewinns durch einen Einkommensteueränderungsbescheid den Gewinn aus Gewerbebetrieb i.S. des § 35b GewStG berührt. Infolgedessen kann er erwarten, dass seinem berechtigten Interesse an einer Umqualifizierung seiner Tätigkeit im Gewerbesteuermessbescheid durch eine entsprechende Korrektur von Amts wegen entsprochen und ihm so hinreichend Rechtsschutz gewährt wird.
5. Das hier vertretene Auslegungsergebnis lässt sich auch nicht unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 35b GewStG in Zweifel ziehen. Richtig ist zwar, dass die Vorschrift bis zu ihrer Neufassung durch das EGAO 1977 ausdrücklich darauf abstellte, ob die Aufhebung oder Änderung (des Einkommensteuerbescheids) die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb berührte. Maßgeblich für die Entscheidung des Streitfalls ist aber allein die aktuelle Fassung des § 35b GewStG, welche ohne den Zusatz „die Höhe” lediglich verlangt, dass die Aufhebung oder Änderung „den Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt”. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob die frühere Fassung eine restriktive Auslegung der Vorschrift mit der Maßgabe nahe legte, dass sie nur bei einer Berührung bzw. Änderung der Höhe des Gewinns im engeren Sinne des Wortes in Betracht kam. Dagegen spricht insbesondere das bereits zitierte BFH-Urteil in BFHE 80, 296, BStBl III 1964, 581. Jedenfalls kommt § 35b Abs. 1 GewStG a.F. keine Bedeutung für die Auslegung der Vorschrift in seiner jetzigen Fassung zu. Die Begründung zum Entwurf des EGAO 1977 gibt, wie der XI. Senat im Urteil in BFHE 188, 409, BStBl II 1999, 475 zutreffend hervorgehoben hat, keinen Aufschluss darüber, warum der Wortlaut des § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG geändert worden ist.
6. Mit dieser Entscheidung weicht der Senat von dem Urteil des XI. Senats in BFHE 188, 409, BStBl II 1999, 475 ab. Der XI. Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er der Abweichung zustimmt.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 901
BB 2004 S. 2284 Nr. 42
BFH/NV 2004 S. 1600
BFH/NV 2004 S. 1600 Nr. 11
BStBl II 2004 S. 901 Nr. 20
DB 2004 S. 2351 Nr. 44
DStR 2004 S. 1788 Nr. 42
DStRE 2004 S. 1320 Nr. 21
FR 2004 S. 1287 Nr. 22
INF 2004 S. 807 Nr. 21
KÖSDI 2004 S. 14392 Nr. 11
StB 2004 S. 402 Nr. 11
QAAAB-27427