BFH Beschluss v. - VII B 207/03

Reichweite der Bindungswirkung einer verbindlichen Zolltarifauskunft

Gesetze: VO (EWG) Nr. 2913/92

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) befasst sich unter anderem mit der Einfuhr von Fruchtsaftkonzentraten. Die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) erteilte ihr eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) vom , mit der Apfelsaftkonzentrat mit Zusatz von Zucker in die Unterpos. 2009 70 30 der Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht wurde.

In dem Zeitraum vom bis zum meldete die Klägerin Warensendungen Apfelsaftkonzentrat unter der Unterpos. 2009 70 30 KN zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Gutachten der ZPLA kamen nach Untersuchung entnommener Proben zu dem Ergebnis, dass die Waren als anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen in die Unterpos. 2106 90 98 KN einzureihen seien. Deshalb forderte das Hauptzollamt (—HZA—) mit Bescheiden vom 16. und Einfuhrabgaben nach.

Das Finanzgericht (FG) wies die von der Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom ) erhobene Klage ab. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, den Apfelsaftkonzentraten sei Wasser in einer Menge zugesetzt worden, die über die Menge hinausgehe, die notwendig sei, um aus konzentrierten Säften den ursprünglichen natürlichen Saft wieder herzustellen. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Pos. 2009 Rz. 19.0 scheide daher eine Zuweisung zur Pos. 2009 KN aus, die Einreihung der Waren in die Unterpos. 2106 90 98 KN sei zutreffend. Eine Einreihung in die Pos. 2009 KN lasse sich nicht mit der vZTA vom begründen, weil die angemeldeten Waren nicht in jeder Hinsicht der in der Auskunft beschriebenen Ware entsprächen. Bei der der vZTA zugrunde liegenden Ware habe der Aschegehalt 0,15 GHT und der Säuregehalt 0,18 GHT betragen. Bei den angemeldeten Waren habe der Aschegehalt zwischen 0,057 und 0,061 GHT sowie der Säuregehalt bei zwei Waren bei 0,166 bzw. 0,211 GHT und im Übrigen zwischen 0,114 und 0,159 GHT gelegen. Die vZTA gelte nur für Waren, die allen genannten Merkmalen entsprächen. Seien wie im Streitfall gravierende Abweichungen gegeben, könne die vZTA keine Anwendung finden, zumal es sich beim Asche- und Säuregehalt um wichtige Kriterien zur Bestimmung des Saftanteils handele. Die Apfelsaftkonzentrate könnten auch nicht in die Pos. 2202 KN eingereiht werden, weil es sich nicht um unmittelbar genussfertige Getränke handele.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage zu beantworten sei, ob die Bindungswirkung einer vZTA für landwirtschaftliche Erzeugnisse dann eintrete, wenn der Anmelder nachweisen könne, dass die eingeführte Ware der in der vZTA beschriebenen hinsichtlich aller zolltariflich relevanten Merkmale entspreche oder ob die eingeführte Ware zusätzlich die (chemischen) Parameter aufweisen müsse, die auf Grund einer einzelnen Probe beiläufig in die Warenbeschreibung der vZTA aufgenommen worden seien, die aber nirgendwo im Zolltarif oder in den Auslegungshilfen im Zusammenhang mit diesen Waren genannt seien und die in Abhängigkeit von Herkunft und Ernte zwangsläufig variierten. Ferner sei die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Vorentscheidung stehe im Widerspruch zu dem vom FG erlassenen Gerichtsbescheid vom in dem erstinstanzlichen Verfahren. Zudem sei das FG in dem angefochtenen Urteil von seinem die Aussetzung der Vollziehung (AdV) betreffenden Beschluss vom abgewichen.

Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht (vgl. , BFH/NV 2002, 1463; Senatsbeschluss vom VII B 71/02, BFH/NV 2004, 493, 494). Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich ohne weiteres auf der Grundlage des einschlägigen Gemeinschaftsrechts beantworten lässt.

Nach Art. 12 Abs. 3 Anstrich 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex —ZK—) des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 302/1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABlEG Nr. L 17/1), der mit Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 12/97 der Kommission vom (ABlEG Nr. L 9/1) übereinstimmt, muss der Berechtigte nachweisen können, dass die angemeldete Ware der in der Auskunft beschriebenen in jeder Hinsicht entspricht. Der Senat hat bereits entschieden, dass eine vZTA stets auf eine bestimmte Ware bezogen ist. Nur insoweit enthält eine vZTA eine Zusage der Verwaltung hinsichtlich der künftigen Tarifierung (vgl. Senatsurteil vom VII R 12/77, BFHE 124, 401, 405). So hat der Senat zu § 23 Abs. 2 Satz 1 des Zollgesetzes ausgeführt, eine tariflich gleiche Ware liege nur dann vor, wenn es sich um eine Ware der in der Auskunft im Einzelnen beschriebenen Art und Beschaffenheit handele (vgl. Urteil in BFHE 124, 401, 406). Die in Art. 12 Abs. 3 Anstrich 1 ZK festgelegten Voraussetzungen für eine Bindung der Zollbehörden an eine vZTA sind nicht weniger streng. Die angemeldete Ware muss hiernach so beschaffen sein wie die Warenprobe, die der Erteilung der vZTA zugrunde lag (vgl. Senatsurteil vom VII R 90/99, BFH/NV 2002, 229, 231), ihr mithin in jeder Hinsicht entsprechen. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet insoweit nicht zwischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und industriell hergestellten Waren. Anders als die Klägerin meint, kann es für die Reichweite der Bindungswirkung einer vZTA auch nicht darauf ankommen, ob die darin beschriebenen Beschaffenheitsmerkmale einer Ware zolltariflich relevant sind oder nicht. Das Institut der vZTA soll dem Wirtschaftsteilnehmer Sicherheit geben, wenn Zweifel hinsichtlich der Einreihung einer Ware bestehen und ihn zumindest eine gewisse Zeit davor schützen, dass die Zollbehörden ihre Auffassung über die Einreihung einer Ware nachträglich ändern (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom Rs. C-315/96 —Lopex Export—, EuGHE 1998, I-317 Rdnr. 28; Senatsurteil vom VII R 31/00, BFH/NV 2002, 563). Diese Rechtssicherheit wäre jedoch nicht gewährleistet, wenn die Zollstelle bei der Anmeldung einer eingeführten Ware in jedem Einzelfall prüfen müsste, welche Merkmale, die in einer vZTA beschrieben werden, zolltariflich relevant sind (vgl. Senatsurteil in BFHE 124, 401, 406). Ein Berechtigter ist auch nicht rechtlos gestellt, wenn er der Auffassung ist, Beschaffenheitsmerkmale einer Ware in einer ihm erteilten vZTA seien zolltariflich bedeutungslos und würden deren sachlichen Geltungsbereich willkürlich einschränken. Denn ein Berechtigter kann eine seinen Interessen nicht entsprechende vZTA anfechten (vgl. Wolffgang in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Art. 12 ZK Rz. 43). Ficht der Berechtigte die vZTA indessen nicht an und entspricht eine von ihm angemeldete Ware nicht in jeder Hinsicht der darin beschriebenen Ware, so kann er sich nach Art. 12 Abs. 3 Anstrich 1 ZK nicht auf diese vZTA berufen.

Soweit die Klägerin im Übrigen geltend macht, das FG habe zu Unrecht angenommen, dass die von ihr angemeldeten Waren nicht der in der vZTA vom beschriebenen Ware entsprächen, wendet sie sich gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Dies kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil hiermit kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 16/00, BFH/NV 2001, 202; vom IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).

2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert im Streitfall keine Entscheidung des BFH, selbst wenn das FG in der Vorentscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben sollte, der mit tragenden Rechtsausführungen in den von der Klägerin genannten Entscheidungen desselben Senats des FG nicht übereinstimmen sollte. Maßgebend für das Vorliegen einer Divergenz ist stets der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung. Frühere Entscheidungen, die durch die neuere Rechtsprechung überholt sind, können nicht zur Begründung einer Divergenz herangezogen werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom II B 142/93, BFH/NV 1995, 489; vom VIII B 18/99, BFH/NV 2001, 438, 440).

Der ist schon deshalb überholt, weil er wegen des fristgemäß vom HZA gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen gilt (§ 90a Abs. 3 FGO). Überdies können die darin und in dem von der Klägerin genannten AdV-Beschluss gemachten Rechtsausführungen des FG keine Divergenz mehr begründen, weil derselbe Senat des FG etwaige zuvor geäußerte abweichende Rechtsauffassungen in der Vorentscheidung aufgegeben hätte.

Fundstelle(n):
ZAAAB-27411