Steuerfreie Auszahlung von Beihilfen in Krankheitsfällen durch teilweise aus öffentlichen Mitteln finanzierten Verein
Gesetze: EStG § 3 Nr. 11
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Streitig ist, in welchem Umfang ein teilweise aus öffentlichen Mitteln finanzierter Verein Beihilfen nach § 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei auszahlen konnte.
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als eingetragener Verein Landesverband eines gemeinnützigen Vereins. Zusätzlich zu eigenen Einnahmen erhielt er im streitigen Zeitraum Bundes- und Landesmittel zur eigenen Verwendung und zur Weiterleitung an Kreisverbände, die der institutionellen Förderung, aber auch der Förderung bestimmter Projekte und Aufgaben dienten.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) hatte dem Kläger im Jahr 1984 schriftlich bestätigt, dass Beihilfen in Krankheitsfällen steuerfrei ausgezahlt werden könnten. Diese Auskunft widerrief das FA mit Schreiben vom , erklärte sich jedoch damit einverstanden, dass noch bis zum wie in der Vergangenheit verfahren werde.
Im Zuge einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte der Prüfer fest, dass der Kläger auch nach dem an einige Arbeitnehmer Krankheitsbeihilfen in vollem Umfang steuerfrei ausgezahlt hatte. Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass diese Beihilfen nachzuversteuern seien, soweit sie 1 000 DM im Kalenderjahr überstiegen.
Der Lohnsteuer-Außenprüfung folgend erließ das FA einen Haftungsbescheid gegen den Kläger.
Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, er werde durch Land und Bund gefördert und durch den Landesrechnungshof nach den Bestimmungen der Landeshaushaltsverordnung geprüft. Von den Gesamteinnahmen stammten nach geänderten und ergänzten Angaben 29,84 % im Jahr 1993, 19,97 % im Jahr 1994 und 21,63 % im Jahr 1995 aus öffentlichen Haushaltsmitteln. Das FA vertrat demgegenüber die Ansicht, dass Zuschüsse der öffentlichen Hand, die zweckgebunden gewährt worden seien, für Beihilfezahlungen des Klägers nicht zur Verfügung gestanden hätten und deshalb nicht berücksichtigt werden dürften. Die Zahlen seien im Übrigen in einzelnen, näher bezeichneten Punkten nicht nachvollziehbar.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Es entschied, dass die Beihilfen zu dem Prozentsatz steuerfrei seien, der sich nach den letzten Angaben des Klägers aus dem Verhältnis der Staatsbeiträge und Zuschüsse der öffentlichen Hand nach den Bewilligungsbescheiden für die Haushaltsjahre 1993, 1994 und 1995 zu den Gesamteinnahmen ergab.
Dagegen legten der Kläger und das FA jeweils Revision ein.
Der Kläger macht geltend, die Beihilfen müssten insgesamt steuerfrei belassen werden, weil sämtliche Zuflüsse einer gesetzlich geregelten Kontrolle unterlägen. Die freie Wohlfahrtspflege dürfe nicht schlechter gestellt werden als die öffentliche Hand. Auch Leistungen an Beamte der öffentlichen Hand, die an Organisationen des privaten Rechts nach den Bestimmungen des Beamtenrechtsrahmengesetzes abgeordnet seien, blieben steuerfrei. Zu beachten sei auch der Vertrauensschutz. Im Ruhestand befindliche Mitarbeiter des Klägers hätten sich in einem Zeitraum von 22 bis fast 50 Jahren auf die frühere Handhabung durch die Finanzverwaltung eingestellt und deshalb nicht entsprechend versichert. Zumindest seien sämtliche aus öffentlichen Haushalten herrührende Beiträge und Zuschüsse bei der Ermittlung der steuerfreien Beihilfen in die Berechnung einzubeziehen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Änderung der angefochtenen Entscheidung, der Einspruchsentscheidung vom und des Haftungsbescheides vom die Haftung wegen der auf die streitigen Beihilfen entfallenden Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag aufzuheben.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.
Die gewährten Beihilfen seien in unzutreffender Höhe steuerfrei belassen worden. Der Kläger habe unterschiedliche Angaben zur Höhe der Staatsbeiträge und Zuschüsse gemacht. Das FA habe deshalb schriftsätzlich einen Nachweis durch die einzelnen Zuwendungsbescheide gefordert. Gleichwohl habe das FG die letzten Aufstellungen mit Zusammenfassungen der Zuschüsse zugrunde gelegt. Welche Zuschüsse überhaupt zu erfassen seien, könne jedoch nur nach Auflistung und Vorlage der Belege entschieden werden. Es seien —abweichend von früheren Ausführungen des Berichterstatters— auch solche Mittel erfasst, die dem Kläger nicht unmittelbar zugeflossen seien. Zu Unrecht seien darüber hinaus sowohl für rechtlich selbständige Kreisverbände bestimmte Zuwendungen als auch zweckgebundene Beträge in die Verhältnisrechnung einbezogen worden. Berücksichtigt werden könnten jedoch ausschließlich freie Mittel, weil nur solche Mittel für Arbeitslöhne und Beihilfen zur Verfügung gestanden hätten.
II. Die Revision des Klägers ist teilweise unbegründet; auf die Revisionen war die vorinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Nach § 3 Nr. 11 EStG sind Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligt werden, steuerfrei.
a) Unter die Steuerbefreiung, die im Wesentlichen seit dem EStG 1920 besteht (zur Rechtsentwicklung s. von Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 3 Nr. 11 Rdnr. B 11/2 ff.), werden auch die im öffentlichen Dienst gewährten Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen eingeordnet (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs vom VI A 624/26, RStBl 1927, 148; , BFHE 109, 242, BStBl II 1973, 588, und vom VI R 76/91, BFHE 179, 312, BStBl II 1996, 239; R 11 Abs. 1 Nr. 1 der Lohnsteuer-Richtlinien —LStR— 2004; Küttner/Huber, Personalbuch 2003, „Beihilfeleistungen” Rz. 12; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, 4. Aufl., „Beihilfen” Rz. 13; Stache in Horowski/Altehoefer, Kommentar zum Lohnsteuer-Recht, § 3 Nr. 11 Rn. 21). Die Hilfsbedürftigkeit der Beihilfe-Empfänger wird dabei typisierend nicht aus ihrer wirtschaftlichen Situation, sondern aus dem Anlass der Beihilfeleistung abgeleitet (vgl. BFH in BFHE 109, 242, BStBl II 1973, 588).
b) Beihilfen, die nicht aus öffentlichen Mitteln bewilligt werden, sind dagegen nicht nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei. Die zugrunde liegenden Aufwendungen können lediglich als außergewöhnliche Belastungen das Einkommen mindern. Die unterschiedliche steuerliche Behandlung der Beihilfen, je nachdem, ob sie aus öffentlichen oder privaten Mitteln stammen, ist wegen der bei öffentlichen Mitteln auf gesetzlicher Grundlage geregelten Bewilligungsbedingungen einerseits sowie der Prüfungs- und Kontrollverfahren andererseits als verfahrensvereinfachende Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar (, BVerfGE 83, 395).
c) Der Begriff „öffentliche Mittel” i.S. des § 3 Nr. 11 EStG setzt nicht voraus, dass die betreffenden Gelder unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse gezahlt werden (, BFHE 139, 536, BStBl II 1984, 113). Gewährt ein Arbeitgeber privaten Rechts seinen Arbeitnehmern Beihilfen, können diese aber nur insoweit —ggf. anteilig— steuerfrei sein, als sie mittelbar aus öffentlichen Quellen stammen (BFH in BFHE 139, 536, BStBl II 1984, 113, sowie Beschluss vom VI R 37/93, Leitsatz veröffentlicht in BFH/NV 1994, 239). Die nach der Herkunft der Mittel differenzierende steuerliche Behandlung der Beihilfeleistungen ist verfassungsgemäß (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1999, 574, mit dem die Verfassungsbeschwerde gegen den nicht zur Entscheidung angenommen wurde).
d) Erforderlich ist, dass über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften des öffentlichen Rechts verfügt werden kann und dass ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt, weil nur dadurch eine missbräuchliche Ausnutzung der Steuerfreiheit verhindert werden kann (BFH-Urteil in BFHE 139, 536, BStBl II 1984, 113). Erhält —wie im Streitfall— eine mehrstufig aufgebaute Organisation öffentliche Mittel, müssen diese Voraussetzungen bis zu derjenigen Stufe beachtet sein, auf der die jeweiligen Mittel letztlich bestimmungsgemäß verausgabt werden. Wie sich aus dem Wortlaut des § 3 Nr. 11 EStG ergibt, sind Beihilfeleistungen eines Arbeitgebers privaten Rechts, auch wenn er der Kontrolle durch den Landesrechnungshof unterliegt, nur insoweit steuerfrei, als sie aus öffentlichen Kassen stammen ().
e) Öffentliche Mittel, die für andere Zwecke bestimmt sind, können sich auf die Steuerfreiheit der Beihilfen nicht auswirken. Denn Beihilfen können aus derartigen zweckgebundenen Mitteln weder mittelbar noch unmittelbar bewilligt werden. Solche öffentliche Mittel müssen daher bei der Berechnung des steuerfreien Anteils der Beihilfen unberücksichtigt bleiben. Aus den gleichen Gründen können bei einer mehrstufig aufgebauten Organisation weitergeleitete öffentliche Mittel nur auf der Stufe berücksichtigt werden, auf der sie letztlich bestimmungsgemäß verwendet werden.
2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen; seine Entscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist aber nicht spruchreif.
a) Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Beihilfen entgegen der Auffassung des Klägers nur insoweit steuerfrei sind, als sie aus öffentlichen Kassen stammen. Einnahmen des Klägers aus anderen Quellen führen daher zu einer —anteiligen— Steuerpflicht der Beihilfen. Zweckgebundene Zuschüsse, die für Beihilfeleistungen nicht zur Verfügung stehen, dürfen —anders als vom FG entschieden— nicht in die Verhältnismäßigkeitsrechnung einfließen, aus der sich der steuerpflichtige und der steuerfreie Anteil der Beihilfen ergeben.
b) Der Kläger kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen. Die Frage, ob die Beihilfe-Berechtigten wegen der langjährig unbeanstandeten steuerfreien Beihilfeleistungen ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand dieser steuerlichen Behandlung entwickelt haben, ist nicht im Lohnsteuer-Haftungsverfahren zu klären. Denn in diesem Verfahren geht es nicht um die von den Beihilfe-Empfängern endgültig geschuldete Einkommensteuer, sondern um die vom Kläger als Arbeitgeber einzubehaltende Lohnsteuer. Der Kläger konnte sich auf die geänderte Auffassung des FA zum Lohnsteuer-Abzug einstellen, weil es ihn rechtzeitig vor Abgabe der betroffenen Lohnsteuer-Anmeldungen darauf hingewiesen hatte.
c) Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Denn es hat keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit der Kläger die ihm gewährten öffentlichen Mittel dem jeweiligen Verwendungszweck nach für Beihilfeleistungen verwenden konnte. Soweit die öffentlichen Mittel über den Bundesverband an den Kläger weitergeleitet wurden, bedarf es außerdem der Feststellung, ob ihre Verwendung durch den Kläger im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle —z.B. durch den Rechnungshof— unterlag. Das FG wird die erforderlichen Feststellungen nachholen und dabei auch auf die Einwendungen des FA zu den Zahlenangaben des Klägers eingehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 22
BFH/NV 2005 S. 22 Nr. 1
DStRE 2004 S. 1321 Nr. 22
HFR 2005 S. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 10/2006 S. 753
SAAAB-26933