Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts; Rüge eines Verfahrensmangels
Gesetze: UStG § 2 Abs. 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Landkreis, führte in den Streitjahren (1992 bis 1998) aufgrund von privatrechtlichen Vereinbarungen mit der „Duales System Deutschland Gesellschaft für Abfallvermeidung und Sekundärrohstoffgewinnung mbH” (DSD) u.a. das Sammeln und Sortieren von gebrauchten Verkaufsverpackungen (Wertstoffen) gemäß § 6 der Verpackungsverordnung (VerpackV) durch. Daneben entsorgte der Kläger den (normalen) Hausmüll gegen Gebühren.
Der Kläger machte (anteilige) Vorsteuerbeträge aus den Aufwendungen für die Entsorgung fehlerhaft in den Hausmüll eingeworfener Wertstoffe („Fehleinwürfe”) geltend, die sich aus den Betriebskosten der landkreiseigenen Müllverbrennungsanlage, den Kosten für das Sammeln und Befördern des Hausmülls zur Müllverbrennungsanlage durch private Unternehmer und aus den Kosten für die landkreiseigene Deponie zusammensetzten.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ließ die Vorsteuerbeträge in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1992 bis 1998 (Streitjahre) nicht zum Abzug zu, weil die Hausmüllentsorgungs-Einrichtungen des Klägers kein Betrieb gewerblicher Art seien, und weil keine wirtschaftliche Verwertung von Wertstoffen vorliege, soweit DSD-Verpackungen über den Hausmüll entsorgt würden.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus:
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei die Hausmüllentsorgung grundsätzlich hoheitlich (, BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139). In der genannten Entscheidung stelle der BFH bei der Prüfung, ob eine Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts überwiegend der Ausübung öffentlicher, also hoheitlicher, Gewalt diene, darauf ab, inwieweit eine aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung ihrer Art nach einheitlich als hoheitlich zu beurteilende Tätigkeit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder der Erzielung von Einnahmen und damit wirtschaftlichen Interessen der juristischen Person des öffentlichen Rechts diene. Werde die Tätigkeit vorrangig ausgeübt, um Einnahmen zu erzielen, und dienten vorhandene Zwangsrechte oder Monopolrechte vorrangig auch dazu, die juristische Person vor Konkurrenz zu schützen und ihr die Einnahmen aus der Tätigkeit zu sichern, diene die Tätigkeit nicht mehr überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt. Anders sei es, wenn die Erzielung von Einnahmen nur ein Nebenzweck der Tätigkeit sei.
Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze auf den Streitfall sei der Kläger bei der Entsorgung von Fehleinwürfen von DSD-Verpackungen in den Hausmüll hoheitlich und damit nichtunternehmerisch tätig gewesen und deshalb nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, die er auf sämtliche Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt.
II. Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Es liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO —nämlich ein Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO)— vor, auf dem die Vorentscheidung beruhen kann.
a) Der Kläger hat insoweit entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO u.a. geltend gemacht, dass das FG im Rahmen seiner Urteilsbegründung nicht (hinreichend) auf —die von den Beteiligten erörterten— Bestimmungen des Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eingegangen ist und insbesondere nicht geprüft hat, ob die —von ihm befürwortete— Behandlung des Klägers als Nichtsteuerpflichtiger zu größeren Wettbewerbsverzerrungen i.S. von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG führt.
Diese Bestimmungen und die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bei der —im Streitfall entscheidungserheblichen— Frage zu beachten, ob eine juristische Person des öffentlichen Rechts Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ist (vgl. z.B. , BFHE 185, 283, BStBl II 1998, 410; vom V R 74/99, BFH/NV 2001, 653; , BFH/NV 2002, 683; , BFHE 201, 554).
b) Stattdessen hat das FG sein Urteil allein auf die Rechtsgrundsätze des BFH-Urteils in BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139 gestützt. Dieses Urteil ist zur Körperschaftsteuer ergangen. In ihm wird ausdrücklich ausgeführt, es könne offen bleiben, ob die Qualifizierung der Hausmüllentsorgungsbetriebe der Gebietskörperschaften als Hoheitsbetriebe umsatzsteuerrechtlich relevant sei; der Streitfall betreffe nur die Körperschaftsteuer (vgl. unter A. 2. d der Gründe).
c) Zwar ist bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegt, im Allgemeinen von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 159/98, BFH/NV 1999, 1306; vom V B 76/00, BFH/NV 2001, 928). Dies gilt aber nicht, sobald in Bezug auf die sachlich-rechtliche Auffassung der Vorinstanz zulässige und begründete Rügen erhoben worden sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 38/93, BFH/NV 1994, 387; vom VIII B 17/97, BFH/NV 1998, 1063; vom III B 22/98, BFH/NV 1998, 1474). So liegt es im Streitfall.
Der Kläger hat zutreffend entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geltend gemacht, dass die Vorentscheidung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, weil das FG in der Vorentscheidung die bezeichnete Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht berücksichtigt hat.
d) Auf dem mithin vorliegenden Verfahrensmangel kann die Vorentscheidung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen.
2. Liegen —wie somit hier— die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, kann der BFH in dem Beschluss, in dem er über die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision entscheidet, das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde —wie vorliegend— nicht nur auf einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern auch auf weitere Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO gestützt ist (vgl. , BFH/NV 2002, 1321; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Rz. 285, 286; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 65).
3. Da bereits der erörterte Verfahrensmangel zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt, kann auf sich beruhen, ob die vom Kläger ferner geltend gemachten weiteren Verfahrensmängel vorliegen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1554
BFH/NV 2004 S. 1554 Nr. 11
XAAAB-25955