BFH Urteil v. - II R 57/01

Einheitsbewertung von Geschäftsgrundstücken im Sachwertverfahren auch bei neuen Gebäuden eine Ermäßigung wegen wirtschaftlicher Überalterung möglich

Gesetze: BewG § 75 Abs. 3, §§ 76, 79, 83, 88

Instanzenzug: BG (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb im Jahr 1994 nach einer Ausschreibung, an der sich mehrere Interessenten beteiligt hatten, von der Stadt X ein 1 314 780 qm großes Grundstück zum Preis von ... DM. Außerdem musste die Klägerin der Stadt jährlich eine gewinnabhängige „Bodenrente” von ... DM zahlen. Das Grundstück hatte den amerikanischen Streitkräften seit 1985 als Munitionsdepot gedient und war 1993 von der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) an die Stadt zurückgegeben worden. Auf ihm befanden sich 325 Munitionsbunker in vier verschiedenen Ausführungen. Die Klägerin beabsichtigte, auf dem Grundstück einen Park mit Trainingszentrum zu errichten und dafür nicht benötigte Flächen und Gebäude anderweitig zu nutzen oder zu vermieten. Allerdings durfte das Grundstück nach dem Flächennutzungsplan nur für den Sport genutzt werden. Die Stadt hatte der Klägerin aber erlaubt, bis Ende 1999 einen Teil der Bunker für andere Zwecke zu vermieten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) stellte für das Grundstück durch Bescheid vom auf den im Sachwertverfahren einen Einheitswert von 8 186 500 DM fest. Der Einspruch, mit dem sich die Klägerin unter Hinweis darauf, dass 80 v.H. der Gebäude fremdvermietet seien, gegen die Anwendung des Sachwertverfahrens wandte, blieb ohne Erfolg.

Dagegen gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der Maßgabe statt, dass der Einheitswert weder im Sachwert- noch im Ertragswertverfahren festzustellen sei, sondern geschätzt werden müsse. Es schätzte den Einheitswert auf 2 Mio. DM. Nach Ansicht des FG führen beide gesetzlichen Bewertungsverfahren im Streitfall zu keinem zutreffenden Wert. Eine Bewertung im Ertragswertverfahren scheide aus, weil es zum keine ausreichende Zahl vermieteter Grundstücke mit Bunkern gegeben habe und die Bunker nicht mit üblichen Lagerhäusern und ...ställen verglichen werden könnten. Bei einer deshalb gebotenen Bewertung im Sachwertverfahren bliebe unberücksichtigt, dass die Munitionsbunker nicht als solche genutzt werden dürfen und für die zulässige Gebäudenutzung die gesetzlich vorgeschriebenen Zuschläge u.a. für die Betonböden, die Tonnengewölbe, besondere Bewehrungen und die Verbindungswege mit einem Wert von allein 1 367 685 DM den Grundstückswert nicht angemessen wiedergeben. Der im Sachwertverfahren ermittelte Einheitswert stehe in keinem Verhältnis zum Grundstückskaufpreis einschließlich der „Bodenrente”. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Grundstückskaufpreis nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu Stande gekommen sei. Die somit erforderliche Schätzung könne sich an diese Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks anlehnen. Die „Bodenrente” sei dabei auf eine Laufzeit von 100 Jahren und mit einem Zinssatz von 5 v.H. zu kapitalisieren. Der bei der Grundstücksbewertung grundsätzlich erforderlichen Typisierung komme im Streitfall angesichts der Einmaligkeit des Grundstücks keine Bedeutung zu.

Mit der Revision rügt das FA die fehlerhafte Anwendung der §§ 75 Abs. 1 Nr. 2, 76 Abs. 3 Nr. 2 und 83 bis 90 des Bewertungsgesetzes (BewG). Gemäß diesen Vorschriften sei die Anwendung des Sachwertverfahrens für den Streitfall zwingend vorgeschrieben. § 88 BewG biete ausreichende Möglichkeiten, besondere wertmindernde Umstände zu berücksichtigen; dies sei durch einen Abschlag von 10 v.H. auch in einem ausreichenden Maße geschehen. Dem Kaufpreis komme demgegenüber kein entscheidender Aussagewert zu, zumal die Kommunen als Grundstücksverkäufer die Preise häufig unter Gesichtspunkten der Wirtschaftsförderung niedrig hielten.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten und trägt vor, dass die Berücksichtigung der „Bodenrente” mit 1 Mio. DM im Rahmen der Schätzung bereits ein erhebliches Heraufsetzen des eigentlichen Kaufpreises bedeute.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Auffassung des FG, im Streitfall sei das Sachwertverfahren nicht anzuwenden, ist unzutreffend, und für eine am Grundstückskaufpreis des Jahres 1994 ausgerichtete Schätzung einer Obergrenze des Einheitswerts ist kein Raum.

1. Für Geschäftsgrundstücke i.S. des § 75 Abs. 3 BewG ist der Einheitswert nach § 76 Abs. 1 Nr. 2 BewG regelmäßig im Ertragswertverfahren zu ermitteln. Gemäß Abs. 3 der Vorschrift ist jedoch für solche Gruppen von Geschäftsgrundstücken oder in solchen Einzelfällen bebauter Geschäftsgrundstücke, für die weder eine Jahresrohmiete ermittelt noch eine übliche Miete nach § 79 Abs. 2 BewG geschätzt werden kann, das Sachwertverfahren anzuwenden. Die Nennung dieser beiden Bewertungsverfahren, die in den nachfolgenden Vorschriften des BewG näher geregelt sind, ist abschließend (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz, § 76 Anm. 6). Weitere Bewertungsverfahren für die Feststellung der Einheitswerte des Grundvermögens sieht das BewG nicht nur nicht vor, es schließt sie vielmehr aus (vgl. , BFHE 112, 520, BStBl II 1964, 602). Sofern sich weder eine Jahresrohmiete noch nach § 79 Abs. 2 BewG eine übliche Miete schätzen lässt, ist daher für Geschäftsgrundstücke nicht der Weg in eine freie, an welchen Maßstäben auch immer ausgerichtete Schätzung des Einheitswerts oder —worin das FG einen Unterschied sieht— einer Obergrenze für den Einheitswert eröffnet, sondern ausschließlich der Weg ins Sachwertverfahren. Wie aus der Unterteilung in Gruppen von Geschäftsgrundstücken einerseits und Einzelfälle bebauter Grundstücke, die auch ein Geschäftsgrundstück sein können, andererseits in § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG hervorgeht, gilt dies auch für Grundstücke von singulärer Beschaffenheit. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat zwar zutreffend festgestellt, dass im Streitfall die Voraussetzungen für die Anwendung des Sachwertverfahrens nach § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG vorliegen, aber sich mit den Einwendungen, die die Klägerin im Einzelnen gegen die Berechnung des Grundstückswerts im Sachwertverfahren erhoben hat, nicht befasst, da es die Anwendung des Sachwertverfahrens von vornherein ausgeschlossen hat. Diese Einwendungen sind nicht nur rechtlicher, sondern auch tatsächlicher Art. Daher bedarf es weiterer Feststellungen, die nur das FG treffen kann. Die Sache war daher gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen.

Bei der erneuten Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass bei der Angleichung des Ausgangswerts i.S. des § 83 BewG an den gemeinen Wert nach § 90 Abs. 1 BewG nicht eingewendet werden kann, der mit Hilfe der Wertzahlen gemäß der Verordnung zur Durchführung des § 90 des Bewertungsgesetzes vom (BGBl I, 553) gefundene Grundstückswert entspreche nicht dem gemeinen Wert. Sollte der gefundene Grundstückswert offensichtlich unzutreffend sein, spräche dies vielmehr gegen die Richtigkeit des Ausgangswerts (vgl. Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 90 BewG Anm. 7 —Stand April 1968—). Im Rahmen der Ermittlung des Ausgangswerts kommt beispielsweise auch bei neuen Gebäuden —insbesondere bei den so genannten Einzweckgebäuden (vgl. dazu Gürsching/Stenger, a.a.O., Stand November 1981, § 88 BewG Anm. 13)— eine Ermäßigung wegen wirtschaftlicher Überalterung nach § 88 Abs. 2 BewG in Betracht (vgl. , BFHE 133, 443, BStBl II 1981, 646).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1219
BFH/NV 2004 S. 1219 Nr. 9
DB 2004 S. 1974 Nr. 37
LAAAB-24024