BFH Beschluss v. - VII B 239/02

Frist zur Übergabe eines vollständig abgefassten Urt. an die Geschäftsstelle; Verletzung des rechtlichen Gehörs; Verfahrensmangel bei Erlass eines Prozessurt.

Gesetze: FGO § 105 Abs. 4, §§ 104, 96, 115, 119

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Rechtsvorgänger der Kläger und Beschwerdeführer zu 1. bis 4. sowie der Beschwerdeführer zu 5. bis 9. (Beschwerdeführer), ihr zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagter Vater bzw. Großvater, war 1982 zur Einkommensteuer 1980 und 1983 zur Einkommensteuer 1981 unter Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt worden. Grundlage dieser Bescheide waren u.a. die Annahmen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) hinsichtlich seiner Einkünfte aus der Beteiligung an einer Grundstücksgesellschaft und diesbezügliche Mitteilungen des insoweit für die einheitliche und gesonderte Feststellung zuständigen FA. Beide Bescheide wurden 1988 geändert; dabei wurde die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1980 in Höhe von rund ... DM und des Einkommensteuerbescheides 1981 in Höhe von rund ... DM mit u.a. der Maßgabe ausgesetzt, die Aussetzung ende „bei einem Folgebescheid aufgrund der Anfechtung der Feststellungsbescheide” des vorgenannten FA mit Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe eines geänderten Steuerbescheids; werde der Rechtsbehelf gegen den Grundlagenbescheid zurückgewiesen oder zurückgenommen, zehn Tage nach Bekanntgabe der Mitteilung über die Beendigung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Grundlagenbescheids.

1989 änderte das Feststellungs-FA die Feststellungsbescheide für 1980 und 1981 dahin, dass es bisher nicht berücksichtigte Verluste feststellte, und teilte dies dem beklagten FA mit. Die Änderungsbescheide wurden bestandskräftig, die ihretwegen anhängigen Rechtsbehelfsverfahren dadurch erledigt. Die Einkommensteuerbescheide blieben jedoch unverändert bestehen. Erst 1994 wurde beantragt, sie zu ändern. Dies lehnte das beklagte FA zunächst ab, weil die Frist des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO 1977) bereits abgelaufen sei. 1996 hat das FA allerdings die Bescheide doch noch geändert, weil es nunmehr meinte, die Festsetzungsfrist sei nach § 171 Abs. 3 AO 1977 gehemmt gewesen; es berücksichtigte nunmehr die 1989 festgestellten Verluste.

Die 1988 gewährte AdV hat das FA widerrufen. Dagegen haben die Beteiligten Beschwerde erhoben. Das FA hat im Beschwerdeverfahren zunächst die Auffassung vertreten, die AdV habe, ohne dass es eines Widerrufs bedurft habe, 1990 geendet, weil die Einkommensteuerbescheide von da an den geänderten Grundlagenbescheiden nicht mehr hätten angepasst werden können. Hingegen meinen die Beteiligten, die 1988 gewährte AdV habe weder automatisch geendet, insbesondere auch nicht infolge der unzulässigen verspäteten Anpassung der Einkommensteuerbescheide an die Grundlagenbescheide von 1989, noch habe sie 1994 noch widerrufen werden können.

Wegen des hierüber mit den Beteiligten bestehenden Streits hat das FA einen 1996 geänderten Abrechnungsbescheid erlassen, in dem es die mit den Änderungsbescheiden von 1996 festgesetzte Einkommensteuer 1980 und 1981 sowie die hierauf geleisteten Zahlungen berücksichtigt hat. Für die noch nicht getilgten Differenzbeträge, welche der Summe nach durch die 1988 von der Vollziehung ausgesetzten Beträge abgedeckt werden, verlangt das FA Zahlung.

Die Kläger und Beschwerdeführer zu 1. bis 4. sowie die Klägerin zu 5. (Kläger) begehrten mit der Klage sinngemäß, den in dem Schreiben von 1994 enthaltenen Widerruf der 1988 gewährten AdV aufzuheben sowie den Abrechnungsbescheid dahin zu ändern, dass die damals ausgesetzten Beträge in dem Sinne nicht berücksichtigt werden, dass sie den Zahlungsanspruch des FA endgültig mindern.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, nachdem es über sie am mündlich verhandelt und am Schluss der mündlichen Verhandlung den Beschluss verkündet hatte, dass die Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. Das von den Berufsrichtern unterschriebene Urteil ist der Geschäftsstelle am übergeben worden. Es beruht im Wesentlichen darauf, dass die Kläger durch das Schreiben von 1994 nicht mehr beschwert seien und die Klage insofern unzulässig sei. Der Abrechnungsbescheid sei zu Recht ergangen; die 1988 gewährte AdV habe nach dem auslegungsfähigen Inhalt der Aussetzungsverfügung in dem Moment geendet, als ein Folgebescheid nicht mehr habe erlassen werden können.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde; die Beschwerdeführer zu 3. bis 9. haben die nach Schluss der mündlichen Verhandlung verstorbene Ehefrau des M, die Klägerin zu 5., welche die Klage zusammen mit den Klägern und Beschwerdeführern zu 1. bis 4. erhoben hat, beerbt. Die Beschwerde wird auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die Notwendigkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Verfahrensmängel gestützt.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. A. Das Rubrum des Urteils des FG ist unrichtig. In ihm waren die Beteiligten aufzuführen, die bei Schluss der mündlichen Verhandlung am Verfahren beteiligt waren (vgl. Brandt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, Kommentar, § 105 FGO Rz. 39). Das waren die Kläger und Beschwerdeführer zu 1. bis 4. und deren Mutter L. Dass diese vor Zustellung des vollständigen Urteils verstorben ist, war in dem bereits zuvor auf Grund mündlicher Verhandlung gefällten Urteil nicht zu berücksichtigen, wobei für sich steht, dass das FG überdies in dem Rubrum seines Urteils den auf Grund der Erbfolge nach L kraft Gesetzes eingetretenen Beteiligtenwechsel unzutreffend erfasst hat.

Der beschließende Senat kann dies berichtigen. Er ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens über die Nichtzulassung der Revision für die Berichtigung zuständig (vgl. , BFH/NV 2000, 844, m.w.N.). Gemäß § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit vom Gericht zu berichtigen. Hierunter fällt auch eine eindeutig unzutreffende Parteibezeichnung (, BFH/NV 1990, 104). Diese liegt im Streitfall vor. Das FG wollte eine Entscheidung gegenüber den im finanzgerichtlichen Verfahren Beteiligten treffen, also die von den Klägern und Beschwerdeführern zu 1. bis 4. sowie der Klägerin zu 5. erhobene Klage abweisen. Dass es dabei die durch den Tod der Klägerin zu 5. nach Schluss der mündlichen Verhandlung veränderten Verhältnisse im Rubrum berücksichtigt hat —und überdies offenbar in Unkenntnis des von der Klägerin zu 5. verfassten Testaments von einer gesetzlichen Erbfolge ausgegangen ist—, stellt einen gleichsam „mechanischen” Fehler dar, welcher unter die Vorschrift des § 107 Abs. 1 FGO fällt. Die Korrektur eines solchen Fehlers nach § 107 Abs. 1 FGO würde nur dann ausscheiden, wenn im Gewand der Rubrumsberichtigung ein (gewillkürter) Parteiwechsel oder eine Parteierweiterung stattfände (vgl. Zöller, Zivilprozessordnung, 24. Aufl., 2004, § 319 Rz. 14, m.w.N.). Darum handelt es sich hier jedoch nicht.

B. Die Beschwerde, die von den am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligten Beschwerdeführern zu 5. bis 9., den Erben der Klägerin zu 5., neben den Klägern und Beschwerdeführern zu 1. bis 4. zulässigerweise erhoben werden konnte —denn sie sind auf Grund vorgenannten Beteiligtenwechsels infolge Gesamtrechtsnachfolge von dem Urteil betroffen—, hat in der Sache keinen Erfolg.

1. a) Der von den Beschwerdeführern gerügte Verfahrensfehler, dass das Urteil des FG i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen sei, weil das vollständig abgefasste Urteil mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung nicht binnen fünf Monaten nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung am , sondern erst am der Geschäftsstelle übergeben worden sei und weil das FG dadurch gegen § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO verstoßen habe, ist nicht gegeben.

aa) Diese Vorschrift, die ihrem Wortlaut nach nur bei nach mündlicher Verhandlung verkündeten Urteilen eingreift, sinngemäß jedoch auch bei gemäß § 104 Abs. 2 FGO anstelle der Verkündung zugestellten Urteilen gilt, verlangt, dass ein zunächst nicht vollständig abgefasstes Urteil mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung „alsbald” nachträglich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben wird. Nach dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) vom GmS-OGB 1/92 (Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1993, 2603) ist mit dem Wort „alsbald” dabei ein Zeitraum von fünf Monaten bezeichnet. Wann diese Fünf-Monats-Frist in dem Falle beginnt, dass ein Urteil an Verkündungs statt zugestellt wird, hat der Gemeinsame Senat nicht entschieden, weil sein Beschluss den Fall der Verkündung eines Urteils betrifft. Jedoch hat der BFH in Fortführung jenes Beschlusses bereits mehrfach ausgesprochen, dass in diesem Falle die Fünf-Monats-Frist mit dem Ablauf des Tages beginne, an dem das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO der Geschäftsstelle übergeben worden ist, spätestens jedoch mit dem Ablauf desjenigen Tages, an dem das Urteil der Geschäftsstelle nach dieser Vorschrift bzw. nach § 104 Abs. 2 FGO hätte übergeben werden müssen (, BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187; vom V R 30/97, BFH/NV 1998, 589, und vom VIII R 81/98, BFH/NV 1999, 1626; , BFH/NV 2003, 177; Senatsurteil vom VII R 30/98, BFH/NV 1999, 208). Dieser Auffassung ist die Literatur überwiegend beigetreten (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 104 Rz. 10; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler —H/H/SP—, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 104 FGO Rz. 39; Brandt in Beermann, a.a.O., § 104 FGO Rz. 59).

bb) Diese Entscheidungen betreffen allerdings, worauf die Beschwerde mit Recht aufmerksam macht, Sachverhaltsgestaltungen, in denen das vom FG gefällte Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung entweder innerhalb der in § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO bezeichneten Frist oder doch jedenfalls alsbald nach der mündlichen Verhandlung übergeben worden ist. Die Fünf-Monats-Frist beginnt indes auch dann erst nach Ablauf der in § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO bestimmten Frist, wenn Rubrum und Tenor des Urteils der Geschäftsstelle überhaupt nicht vorab zugeleitet worden sind. Triftige Gründe, die in einem solchen Fall für einen früheren Fristbeginn sprechen —etwa, wie die Beschwerde meint, für einen Fristbeginn mit Schluss der mündlichen Verhandlung— sind weder vorgetragen noch für den beschließenden Senat sonst erkennbar. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Entscheidungsfindung und Urteilsbegründung wird infolge der Rechtsauffassung des Senats nicht wesentlich stärker gelöst, als es bei der von der Beschwerde für vorzugswürdig gehaltenen differenzierenden Bestimmung des Fristbeginns der Fall wäre. Auch die Rechtsstellung der Beteiligten verschlechtert sich dadurch nicht weiter. Denn unabhängig davon, wie die Frist des § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO berechnet wird, haben die Beteiligten nach Ablauf von zwei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung einen Rechtsanspruch auf formlose Auskunftserteilung, ob das Urteil eingegangen ist und wie die Entscheidungsformel lautet (Senatsbeschluss vom VII B 28/01, BFH/NV 2001, 1287).

cc) Im Streitfall hat am mündliche Verhandlung vor dem FG stattgefunden. Da aus den Gerichtsakten nicht ersichtlich ist, dass die Entscheidungsformel innerhalb von zwei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle des FG zugeleitet worden ist, beginnt die Fünf-Monats-Frist mit Ablauf desjenigen Tages, an dem die Entscheidungsformel spätestens hätte übergeben werden müssen, also mit Ablauf des . Sie endet mit Ablauf des . Die Übergabe des vollständig abgefassten Urteils an die Geschäftsstelle mit Rubrum, Entscheidungsformel, Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung am erfolgte daher „alsbald” i.S. des § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO. Der Einwand der Beschwerdeführer, es bestünden erhebliche Zweifel am tatsächlichen Eingang des Urteils bei der Geschäftsstelle am , da das Datum auf der Urteilsfassung lediglich handschriftlich vermerkt worden sei, ist nicht nachvollziehbar. Eine besondere Form der Dokumentation, etwa Beurkundung des Eingangs durch behördlichen Eingangsstempel, ist weder gesetzlich vorgeschrieben noch aus anderen Gründen geboten.

dd) Von der Frage, ob das vollständige Urteil „alsbald” i.S. des § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO der Geschäftsstelle übergeben worden ist, ist die Frage zu unterscheiden, ob die Frist des § 104 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO gewahrt worden ist und welche Rechtsfolgen es hat, wenn das FG gegen die in dieser Bestimmung enthaltene zwingende Verfahrensvorschrift verstößt, indem es die Entscheidungsformel nicht innerhalb von zwei Wochen der Geschäftsstelle übergibt.

Der BFH hat in einer Reihe von Entscheidungen in der verspäteten Übergabe der Entscheidungsformel entgegen §§ 104 Abs. 2 Halbsatz 2, 105 Abs. 4 Satz 2 FGO keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gesehen, weil die Übergabe der Entscheidungsformel der Beratung und Fällung des Urteils nachfolge, das Urteil also auf diesem Verfahrensmangel nicht beruhen könne (vgl. u.a. , BFHE 130, 126, BStBl II 1980, 398; Lange in H/H/SP, § 104 FGO, Rz. 53, m.w.N.). Daran ist grundsätzlich festzuhalten. Allerdings kann das Urteil dann auf einem Verstoß gegen § 104 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO beruhen, wenn zweifelhaft ist, ob die Entscheidungsformel überhaupt in hinreichend engem zeitlichen Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung vom Gericht festgelegt, das Urteil also gefällt wurde. Der Zweck der in § 104 Abs. 2 FGO bezeichneten Frist besteht nämlich vornehmlich darin, sicherzustellen, dass der notwendige Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteil gewahrt bleibt. Indem das Gesetz das Gericht verpflichtet, seine Entscheidung zeitnah nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu fällen, will es sicherstellen, dass der Entscheidungsinhalt noch dem Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung der beteiligten Richter entspricht. Dass dies der Fall ist, ist nach der maßgeblichen Sicht des Gesetzgebers bereits nach Ablauf von zwei Wochen grundsätzlich in Zweifel zu ziehen.

Bei einer geringfügigen Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist mag allerdings in Betracht zu ziehen sein, dass sich gleichwohl ausschließen lässt, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruhen kann, dass also der Entscheidungsausspruch nicht dem entspricht, was auf Grund der mündlichen Verhandlung beraten und von den Richtern entschieden worden ist (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 104 Rz. 10, m.w.N.). Wann nicht mehr von einem hinreichend engen zeitlichen Zusammenhang ausgegangen werden kann, mag insofern nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden sein. So hat das 7 B 437.97 (BVerwGE 106, 366) entschieden, dass ein statt der Verkündung zuzustellendes Urteil, das erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung beschlossen wurde, im Allgemeinen als auf einem Verstoß gegen § 116 Abs. 2 der VerwaltungsgerichtsordnungVwGO— (entspricht § 104 Abs. 2 FGO) beruhend anzusehen ist. Es hat diese Regel in einem Fall angewandt, in dem die Urteilsformel erst dreieinhalb Monate nach Schluss der mündlichen Verhandlung festgelegt worden war.

So liegt es im Streitfall aber nicht. Die Beschwerde behauptet selbst nicht und es fehlt auch an jedem tragfähigen Anhaltspunkt dafür, dass das Urteil vom FG nicht im Anschluss an die mündliche Verhandlung, sondern etwa erst kurz vor Übergabe der vollständigen Urteilsfassung am gefällt wurde. Vielmehr sprechen die Umstände des Streitfalls für eine Entscheidungsfindung am . Im Rubrum des Urteils sind, wie es sich gehört (§ 105 Abs. 2 Nr. 2 FGO), die an der Urteilsfindung beteiligten drei Berufsrichter und die beiden ehrenamtlichen Richter namentlich angegeben, die in dieser Besetzung nur am vorgenannten Tag zur Beratung zusammen gewesen sein dürften. Unmittelbar vor der Urteilsformel ist zudem festgehalten, dass das FG „aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom für Recht erkannt” habe. Dem entspricht, dass Beratung, Abstimmung und Urteilsfällung in der Regel im Anschluss an die öffentliche Sitzung in nicht öffentlicher Sitzung erfolgen (§ 52 Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 193 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes —GVG—; vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2001, 1287).

b) Soweit die Beschwerdeführer die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) begehren, ist die Beschwerde ebenfalls unbegründet. Die von ihnen für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage, ob bei fehlender Übergabe der Entscheidungsformel im Rahmen der Zustellung an Verkündungs statt die Übergabe des vollständig abgefassten Urteils an die Geschäftsstelle und die Zustellung nicht innerhalb von fünf Monaten nach der letzten mündlichen Verhandlung und Beratung, aber vor Ablauf von fünf Monaten und zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung und Beratung dazu führe, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu werten sei, ist, wie ausgeführt, nicht klärungsbedürftig. Ihre Beantwortung ergibt sich hinreichend aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BFH.

2. Soweit die Beschwerde rügt, das FG habe den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, indem es unter Missachtung des § 75 FGO deren Prozessbevollmächtigten den Schriftsatz des FA vom…nicht zur Kenntnis und möglichen Stellungnahme gegeben habe, ist sie ebenfalls unbegründet. Ein diesbezüglicher Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt nicht vor.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör besteht im Wesentlichen darin, dass den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit gegeben werden muss, sich zu den Tatsachen und Beweisergebnissen, die der gerichtlichen Entscheidung zu Grunde gelegt werden sollen, vorher zu äußern (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Rz. 27, m.w.N.). Das FG verstößt jedoch nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO bzw. § 75 FGO, wenn es einem Beteiligten Tatsachen, Beweismittel oder Beweisergebnisse vorenthält, die das Ergebnis des Verfahrens beeinflussen können. Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Schriftsatz des FA vom…beinhaltet lediglich eine chronologische Zusammenfassung der Geschehnisse des Streitfalls und Kopien von vormaligen AdV-Verfügungen. Auch wenn das FG die darin enthaltenen Daten seinem Urteil zu Grunde gelegt haben sollte, waren sie den Klägern hinreichend bekannt. Soweit sie behaupten, sie hätten von der AdV-Verfügung des FA von 1982 keine Kenntnis gehabt, ist dies nicht nachvollziehbar. Unterstellt, den Klägern sei tatsächlich die Aussetzungsverfügung von 1982 nicht zugegangen, so haben sie spätestens durch die Einspruchsentscheidung des FA vom…von deren Existenz Kenntnis erlangt, denn dort wurde diese in den Gründen erwähnt.

Im Übrigen führt das rügelose Einlassen seitens der Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Sache in der mündlichen Verhandlung zum Verlust der Rüge hinsichtlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der ZivilprozessordnungZPO—). Nachdem die Berichterstatterin des FG den wesentlichen Inhalt der Akten, also den dem Streitfall zu Grunde liegenden Sachverhalt vorgetragen hatte, hätten die Prozessbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung Einwände gegen die vom FG getroffenen Feststellungen erheben müssen. Dies geschah jedoch offenbar nicht.

3. Die Rüge, das FG habe im Rubrum die Beteiligten falsch bezeichnet und dadurch gegen § 105 Abs. 2 Nr. 1 FGO verstoßen, ist nach diesbezüglicher Berichtigung des angefochtenen Urteils gegenstandslos, weil der geltend gemachte Verfahrensmangel nunmehr geheilt ist.

4. Soweit die Beschwerde rügt, das FG habe die Klage gegen die angebliche Widerrufsverfügung von 1994 nicht als unzulässig abweisen dürfen, liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht vor.

Erlässt das FG ein Prozessurteil, obwohl sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen einer Klage gegeben sind, kann dies zwar einen Verfahrensmangel darstellen (, BFH/NV 2002, 1042, m.w.N.). Die Beschwerde meint jedoch zu Unrecht, das FG habe das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger nicht verneinen dürfen, weil die Widerrufsverfügung von 1994 vom FA nicht aufgehoben worden sei und eine Klage gegen einen Verwaltungsakt nicht dadurch unzulässig werde, dass die erlassende Behörde diesen nicht mehr als Verwaltungsakt eingestuft sehen wolle, ferner auch nicht dadurch, dass die Behörde erkläre, aus dem angeblichen Verwaltungsakt deshalb keine Rechtsfolgen herleiten zu wollen, weil die durch ihn vermeintlich herbeigeführte Rechtsfolge anderweit eingetreten sei. Ob das so zutrifft, kann hier offen bleiben, weil das FG die Aussetzungsverfügung von 1988 jedenfalls zutreffend sinngemäß dahin ausgelegt hat, diese sei mit der auflösenden Bedingung versehen, dass die AdV befristet solange gewährt werde, wie die Einkommensteuerbescheide möglicherweise geänderten Grundlagenbescheiden angepasst werden könnten und müssten. Diese Auslegung der Aussetzungsverfügung und die folgerichtige Schlussfolgerung des FG, die Bedingung sei mit Ablauf der in § 171 Abs. 10 AO 1977 geregelten Anpassungsfrist bzw. der tatsächlich vom FA gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 vorgenommenen Anpassung der Einkommensteuerbescheide an die geänderten Grundlagenbescheide eingetreten, nehmen dem Streit die Bedeutung, ob die mithin erledigte AdV-Verfügung darüber hinaus auch vom FA aufgehoben werden durfte und aufgehoben worden ist. Für eine diesbezügliche Klage fehlte folglich das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil die angebliche Aufhebungsverfügung ins Leere ginge.

Dass die AdV-Verfügung nur dann erledigt ist, wenn die Anpassung der Einkommensteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zulässig war, wie die Beschwerde meint, ist nicht richtig. Einen derartigen Vorbehalt enthält die der AdV-Verfügung von 1988 beigefügte auflösende Bedingung nicht. Deshalb könnte der Eintritt dieser Bedingung allenfalls zweifelhaft sein, wenn die Einkommensteueränderungsbescheide von 1996 auf Rechtsbehelfe der Beteiligten hin als rechtwidrig aufgehoben worden wären. Das aber hat das FG nicht festgestellt, so dass es im Ergebnis zu Recht die Klage gegen die angebliche Widerrufsverfügung von 1994 wegen Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses durch Prozessurteil abgewiesen hat.

5. a) Die Beschwerde ist gleichfalls unbegründet, soweit auch in diesem Zusammenhang geltend gemacht wird, dass die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sei. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die formularmäßig in den Aussetzungsverfügungen verwendete Nebenbestimmung eine Befristung darstelle, derzufolge die AdV in einem Grundlagen-Folgebescheid-Verhältnis automatisch ende, wenn ein Folgebescheid wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 10 AO 1977 nicht mehr erlassen werden könne, stellt sich im Streitfall nicht, weil die Bedingung, wie ausgeführt, aus anderen Gründen eingetreten ist. Im Übrigen hat eine Rechtssache nur dann grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Eine möglicherweise unzutreffende Rechtsanwendung im konkreten Fall vermag hingegen die Zulassung der Revision aus dem Gesichtspunkt grundsätzlicher Bedeutung nicht zu rechtfertigen (vgl. , BFH/NV 1993, 546, ständige Rechtsprechung). Insbesondere ist eine Sache dann nicht von grundsätzlicher Bedeutung, wenn die Entscheidung des Streitfalls von der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls abhängt (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 148/81, BFHE 135, 169, BStBl II 1982, 327, 328). Darum aber geht es bei der Auslegung der in der Aussetzungsverfügung von 1988 enthaltenen Nebenbestimmung und der Frage, ob die Bedingung im Streitfall eingetreten ist.

b) Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang rügt, die Revision sei wegen Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen, weil dem FG bei der Auslegung der Aussetzungsverfügung von 1988 Fehler unterlaufen seien, die von so großem Gewicht sind, dass sie, würden sie von einem Rechtsmittelgericht nicht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, führt sie ebenfalls nicht zum Erfolg. Unabhängig davon, ob damit ein Zulassungsgrund in hinreichender Weise dargelegt worden ist (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO), geht die Rüge jedenfalls deswegen ins Leere, weil das FG die Aussetzungsverfügung von 1988 zutreffend ausgelegt hat, mithin Auslegungsfehler dem Gericht nicht unterlaufen sind.

6. Schließlich dringt die Beschwerde nicht mit der Rüge durch, ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ergebe sich daraus, dass die Annahme einer Verjährungsunterbrechung auf Grund des Schreibens des FA von 1994 seitens des FG nicht nur offensichtlich falsch, sondern willkürlich sei.

Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nur dann betroffen, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler unterlaufen sind, die von so erheblichem Gewicht sind, dass sie, würden sie von einem Rechtsmittelgericht nicht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, etwa weil Verfahrensgrundrechte verletzt worden sind oder das aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Recht eines Beteiligten auf eine willkürfreie gerichtliche Entscheidung durch das Urteil des FG nicht befriedigt wird (Senatsbeschluss vom VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Auffassung des FG willkürlich sein soll, das Schreiben des FA von 1994 enthalte eine verjährungsunterbrechende Zahlungsaufforderung nach § 231 AO 1977. Das FG begibt sich damit insbesondere nicht in einen Widerspruch, wenn es in diesem Schreiben keine Widerrufsverfügung sieht, wohl aber dem Schreiben eine Zahlungsaufforderung entnimmt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1114
BFH/NV 2004 S. 1114 Nr. 8
RAAAB-22240