BFH Beschluss v. - VII B 162/03

Ausschluss des Verschuldens bei Haftung nach § 69 AO; Präklusionsfrist des § 79b FGO schreibt keine Mindestfrist vor

Gesetze: AO § 69; FGO § 79b

Instanzenzug:

Gründe

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Kommanditist einer GmbH & Co KG (KG) sowie geschäftsführender Gesellschafter der Komplementärin, der H-GmbH. Über das Vermögen der KG wurde das Konkursverfahren eröffnet. Lohnsteuern wurden für den Monat Dezember 1997 zwar angemeldet, jedoch nicht mehr entrichtet. Mit Haftungsbescheid vom…nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger als Haftungsschuldner für die rückständigen Lohn- und Kirchensteuern nebst Säumniszuschlägen für den Monat Dezember 1997 in Anspruch. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Es urteilte, dass der Kläger als alleiniger Geschäftsführer der Komplementär-GmbH gemäß § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) i.V.m. §§ 38 Abs. 3, 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verpflichtet gewesen wäre, die streitbefangenen Steuern und Säumniszuschläge an das FA zu entrichten. Etwaige Liquiditätsschwierigkeiten der KG könnten den Kläger nicht entlasten, denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei ein gesetzlicher Vertreter —zumindest wenn seit längerer Zeit Zahlungsschwierigkeiten bestehen würden— zur gleichrangigen Befriedigung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Löhne und des FA in Bezug auf die darauf entfallende Lohnsteuer verpflichtet. Umstände für eine völlig unvorhersehbare Entwicklung zwischen den Lohnauszahlungsterminen im Dezember 1997 und dem Fälligkeitstermin für die Lohnsteuer am seien weder dargelegt worden noch aus den Akten ersichtlich. Dies träfe auch für die Kündigung der Kredite durch die kreditgebende Bank zu. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, einen in der Vergangenheit erreichten Kontokorrentstand erneut ausschöpfen zu dürfen. Auch die behauptete Unkenntnis der Verpflichtung zur Lohnkürzung bei nicht ausreichenden Mitteln, könne den Kläger nicht entlasten. Denn über seine steuerlichen Verpflichtungen hätte er sich entweder selbst oder über einen fachkundigen Berater informieren müssen. Auf sein eigenes Unvermögen in Bezug auf die ordnungsgemäße Erfüllung der übernommenen Geschäftsführerpflichten könne sich niemand berufen. Auch die vom Kläger dargestellte gesundheitliche Situation könne ihn nicht entschuldigen. Denn er hätte angesichts seiner Erkrankung von Amts wegen sein Amt als Geschäftsführer niederlegen müssen. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung sei das FG zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in Kenntnis seiner Erkrankung und der prekären finanziellen Lage der KG diese Risiken bewusst in Kauf genommen habe. Auf die gerichtliche Verfügung, mit der der Kläger um Auskünfte und Angaben über Daten, zeitlichen Umfang und konkret festgestellte Auswirkungen der behaupteten Einschränkung seiner Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit gebeten worden ist, habe er keine Angaben gemacht.

Mit der gegen das erstinstanzliche Erkenntnis gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) sowie das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob eine fehlende realistische Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit bezüglich einer Geschäftsführertätigkeit und hinsichtlich der Einsicht in die Unfähigkeit zur Ausübung dieser Tätigkeit ein Verschulden gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) ausschließen würde. Ein Verfahrensmangel sei darin zu sehen, dass das FG den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt habe. Die vom Gericht gemäß § 79b FGO gesetzte Ausschlussfrist von zehn Tagen sei zur Beibringung eines umfassenden Gutachtens durch den behandelnden Psychologen eindeutig zu kurz bemessen gewesen. Darüber hinaus sei das FG den mit Schreiben vom…gestellten Beweisanträgen (Vernehmung von vier den Kläger behandelnden Ärzten) nicht nachgegangen, sondern habe statt dessen den Bilanzbuchhalter des Klägers als Zeugen vernommen.

Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat die von ihm behaupteten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert.

Für die Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt, also ein Vortrag zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 260/02, BFH/NV 2004, 69, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.

Die Frage, ob eine fehlende realistische Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit geeignet ist, ein Verschulden nach § 69 AO 1977 auszuschließen, ist einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich. Die mangelnde Klärungsfähigkeit dieser Frage ergibt sich aus der Vielzahl an Krankheitsbildern, die auf psychische Störungen zurückzuführen sind und aus der unterschiedlichen Ausprägung und Intensität solcher Erkrankungen. Entscheidend wird es auf die Schwere des Krankheitsbildes im jeweiligen Einzelfall ankommen. Denn nicht jede Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- oder Urteilsfähigkeit ist geeignet, das Einsichtsvermögen hinsichtlich eines in der konkreten Situation gebotenen Verhaltens auszuschließen. Darüber hinaus hat der Kläger nicht dargelegt, dass die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist. Die bloße Behauptung, die psychischen Erkrankungen würden in unserer Gesellschaft immer mehr zunehmen, reicht hierzu nicht aus.

Auch der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel der unzureichenden Sachaufklärung durch Übergehen eines angebotenen Beweisantrags (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist nicht schlüssig dargelegt. Eine schlüssige Rüge setzt nämlich die Darlegung voraus, dass die Nichterhebung des Beweises vor dem FG rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 40/01, BFH/NV 2002, 373, 376; , BFH/NV 1998, 608). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter —ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge— verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der ZivilprozessordnungZPO—), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust zur Folge. Die Ausführungen des Klägers lassen nicht erkennen, was er in der mündlichen Verhandlung unternommen hat, um der seiner Ansicht nach zu Unrecht unterlassenen Vernehmung der von ihm schriftsätzlich vor dem Verhandlungstermin benannten Zeugen zu begegnen.

Soweit sich der Kläger zur Darlegung des Verfahrensmangels auf die unrichtige Anwendung einer Präklusionsvorschrift stützt, nämlich darauf, dass das FG die ihm nach § 79b FGO gesetzte Frist zu kurz bemessen habe, ist auch diese Rüge nicht schlüssig erhoben. Nach den Feststellungen des FG wurde dem Kläger aufgegeben, Auskünfte und Angaben zu Daten, zeitlichem Umfang und konkret festgestellten Auswirkungen der behaupteten Einschränkungen in der Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit zu machen. Ausdrücklich nicht Gegenstand dieser Anforderung waren die Ursachen für diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder eine zuverlässige Diagnose. Auch die Beibringung eines psychologischen Gutachtens wurde —entgegen der Ansicht des Klägers— nicht verlangt. Das Begehren des FG kann dahin verstanden werden, dass der Kläger aus seiner subjektiven Sicht die von ihm behaupteten gesundheitlichen Störungen nach Intensität und Dauer schildern sollte. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bemessung der Präklusionsfrist, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht, nicht zu beanstanden. Denn entgegen der Auffassung des Klägers schreibt § 79b FGO eine Mindestfrist von einem Monat nicht vor. Das Gericht kann daher auch eine kürzere Frist als ausreichend erachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine Rechtsmittelfrist handelt (vgl. , BFH/NV 1996, 348).

Im Übrigen hat der Kläger die Gelegenheit zur Stellungnahme ungenutzt verstreichen lassen und auch nach Ablauf der gesetzten Frist keine Angaben gemacht, deren Berücksichtigung nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre (vgl. § 79b Abs. 3 FGO). Den Angaben des Klägers ist nicht zu entnehmen, dass er die seiner Ansicht nach zu kurz bemessene Frist gegenüber dem FG in der mündlichen Verhandlung gerügt oder andere Einwendungen gegen die Vorgehensweise des Gerichts erhoben hat. Insoweit ist auch in diesem Punkt ein Verlust des Rügerechts gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO eingetreten.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1063
BFH/NV 2004 S. 1063 Nr. 8
DAAAB-22087