Margenbesteuerung nach § 25 UStG für im Rahmen sog. High-School- und College-Programme erbrachte Reiseleistungen
Leitsatz
Dem EuGH wird folgende Frage zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:
Gilt die Sonderregelung für Reisebüros in Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG auch für Umsätze eines Veranstalters von sog. „High-School-Programmen„ und „College-Programmen„ mit Auslandsaufenthalt von drei bis zehn Monaten, die den Teilnehmern im eigenen Namen angeboten werden und für deren Durchführung Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch genommen werden?
Gesetze: UStG § 25
Instanzenzug:
Tatbestand
I. Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) —eine GmbH— veranstaltet internationale Sprach- und Studienreisen. Sie ist Mitglied im DFH Deutscher Fachverband High School e.V. und bietet u.a. sog. „High-School-Programme„ und sog. „College-Programme„ an. Das Revisionsverfahren betrifft die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der damit verbundenen Umsätze der Klägerin in den Streitjahren 1995 bis 1997.
High-School-Programme wenden sich an Schülerinnen/Schüler im Alter von 15 bis 18 Jahren, die für drei, fünf oder zehn Monate eine High-School oder eine vergleichbare Schule im Ausland —in erster Linie in anglophonen Ländern— besuchen wollen. Bewerber für ein solches Programm reichen ein Bewerbungsformular bei der Klägerin ein. Diese entscheidet nach einem Bewerbungsgespräch über die Annahme der Bewerbung. Dem Urteil des Finanzgerichts (FG) lässt sich für den häufigen Fall eines High-School-Besuchs in den USA Folgendes entnehmen:
Die Klägerin schuldet den Teilnehmern die Verschaffung eines Schülerplatzes an der ausgewählten High-School. An der Schule wird die Schülerin/der Schüler einem Mentor, einem Vertrauenslehrer (Guidance Teacher) zugeteilt, der ihn berät und unterstützt. Für die Dauer des Aufenthalts wird die deutsche Schülerin oder der Schüler von einer Gastfamilie aufgenommen. Die Auswahl geeigneter Gastfamilien erfolgt unter Mithilfe einer amerikanischen Partnerorganisation, mit der die Klägerin ständig zusammenarbeitet. Ein Beauftragter der Partnerorganisation steht der Schülerin/dem Schüler auch als Ansprechpartner am Schul- und Wohnort der Gastfamilie zur Verfügung. Über die amerikanische Partnerorganisation kann die Schülerin/der Schüler mit anderen Austauschschülern auch an einer Rundreise mit Bus oder Flugzeug zu Sehenswürdigkeiten der USA teilnehmen.
Der Reisepreis bei einem Zehn-Monatsaufenthalt (August 1999 bis Juni 2000) betrug 9 860 DM, bei einem Fünf-Monatsaufenthalt (August 1999 bis Januar 2000) 8 970 DM.
Der Pauschalpreis umfasste
- Flug ab Frankfurt/Main in die USA und zurück, mit Reiseleiter,
- Anschlussflüge innerhalb Deutschlands,
- Anschlussflüge innerhalb der USA bis zum Zielort und zurück,
- Wohnung und Verpflegung bei der Gastfamilie,
- Unterricht an der High-School,
- Betreuung durch die Partnerorganisation und deren örtliche Mitarbeiter während des Aufenthalts,
- Vorbereitungstreffen,
- Vorbereitungsmaterial,
- Reiserücktrittsversicherung.
Nicht im Pauschalpreis enthalten waren
- Taschengeld,
- Kranken-, Haftpflicht- und Unfallversicherung,
- Gebühr für Einreisevisum in die USA,
- Teilnahme an einem Vorbereitungsseminar.
Beispielsweise bezog die Klägerin im Wirtschaftsjahr 1996/97 für jeden Teilnehmer des USA-High-School-Programms durchschnittlich Vorleistungen in Höhe von 6 231,72 DM, davon allein Vorleistungen der Partnerorganisation in Höhe von 3 676,44 DM sowie Hin- und Rückflug in Höhe von 1 533,78 DM. Für Kost und Logis bei den Gastfamilien entstanden keine Aufwendungen, weil diese keine Entschädigung für die Aufnahme der Teilnehmer erhielten, sondern aus ideellen Motiven handelten.
Bei College-Programmen für Studenten und Abiturienten ist es Aufgabe der Partnerorganisation, für die Teilnehmer College-Plätze bereitstellen zu lassen und dafür zu sorgen, dass die Teilnehmer für einen Term bis drei Terms (Trimester) in das College aufgenommen werden. Die Partnerorganisation entrichtet die College-Gebühren aus den Beiträgen, die sie von der Klägerin für ihre Leistungen erhält. Ferner werden die Teilnehmer nicht bei Gastfamilien, sondern in dem College untergebracht und verpflegt. Auch der Hin- und Rückflug ist anders geregelt als beim High-School-Programm. Der Teilnehmer bucht die Flüge selbst.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) stimmte zunächst der Behandlung der Umsätze der Klägerin als Reiseleistungen und der bezogenen Leistungen für die Programmteilnehmer als Reisevorleistungen i.S. von § 25 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) zu. Nach einer Umsatzsteuer-Prüfung verneinte das FA aber das Vorliegen von Reiseleistungen i.S. von § 25 UStG. Es meinte nunmehr, die Klägerin erbringe steuerfreie sonstige Leistungen i.S. von § 4 Nr. 23 UStG zu Erziehungs- oder Ausbildungszwecken. Hauptleistung sei die Beherbergung und Beköstigung der Jugendlichen zu Aus- und Fortbildungszwecken, die als Erziehungsmaßnahme zur Persönlichkeitsbildung beitragen solle. Dementsprechend seien die Zahlungen an die Partnerorganisationen in den Gastländern der bei weitem größte Kostenfaktor. Alle anderen mit Kosten verbundenen Leistungen —wie Flug- und Transferleistungen— seien unselbständige Nebenleistungen und von untergeordneter Bedeutung. Dieser Beurteilung stehe nicht entgegen, dass die Klägerin die Teilnehmer nicht bei sich, sondern durch die Gastfamilien und die Colleges aufnehme. Diese seien als ihre Erfüllungsgehilfen anzusehen. Der Ort dieser sonstigen Leistung liege im Inland. Bei den gemäß § 4 Nr. 23 UStG steuerfreien Leistungen sei kein Vorsteuerabzug möglich. Der Anteil dieser Umsätze am Gesamtumsatz der Klägerin betrage (1995) 79,49 v.H., (1996) 31,75 v.H. und (1997) 34,45 v.H. Soweit die Vorsteuerbeträge den steuerfreien Umsätzen nicht direkt zugeordnet werden könnten, seien sie um die Prozentsätze zu kürzen.
Infolge der Ablehnung der Margenbesteuerung nach § 25 UStG und der Beurteilung als steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 23 UStG setze das FA die für die Streitjahre angemeldeten Vorsteuerüberschüsse herab.
Mit der ohne Vorverfahren erhobenen Klage (Sprungklage) gegen die Umsatzsteuerbescheide 1995 bis 1997 beantragte die Klägerin, die Umsatzsteuer
für 1995 von ./. 22 143 DM auf ./. 113 954,40 DM,
für 1996 von ./. 146 332 DM auf ./. 291 661,20 DM und
für 1997 ./. 161 858 DM auf ./. 311 704,98 DM festzusetzen.
Sie hielt daran fest, dass die im Rahmen der High-School- und College-Programme erbrachten Leistungen Reiseleistungen i.S. von § 25 UStG seien, für die die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG nicht gelte. Unter anderem trug sie vor, die restriktive Behandlung des Begriffs der Reiseleistungen durch das FA sei weder durch systematische Gründe noch durch Sinn und Zweck von § 25 UStG und Art. 26 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) gerechtfertigt. Auch die meisten Mitgliedstaaten der EU hätten keine Bedenken, Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. ihre darauf beruhenden nationalen Vorschriften auf High-School-Programme anzuwenden. Gegenüber Veranstaltern in diesen Ländern dürften deutsche Veranstalter im Wettbewerb nicht benachteiligt werden.
Das FG gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1125 veröffentlicht. Nach Ansicht des FG sind die Leistungen der Klägerin im Rahmen der beiden Programme Reiseleistungen i.S. von § 25 UStG, weil darauf das Reisevertragsrecht der §§ 651 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und neuerdings auch § 651 l BGB (Gastschulaufenthalte) anwendbar sei. Hinsichtlich des College-Programms hält das FG es zwar für fraglich, ob die Klägerin als Reiseveranstalter und nicht als Vermittler auftrete. Die Vermittlung von Umsätzen, die ausschließlich im Drittlandsgebiet bewirkt würden, sei aber nach § 4 Nr. 5 Buchst. c UStG umsatzsteuerfrei.
Ferner lehnt das FG die Auffassung des FA ab, die von der Klägerin erbrachten Reiseleistungen seien nach § 4 Nr. 23 UStG steuerfrei mit der Folge des Vorsteuerausschlusses, wobei das Verhältnis der Befreiungsvorschrift zur Margenbesteuerung nach § 25 UStG offen bleiben könne. Die Klägerin sei zwar eine Einrichtung, nehme aber die an den Programmen teilnehmenden Jugendlichen nicht bei sich auf. Vielmehr gewährten die Gastfamilien und die Colleges den Jugendlichen Beherbergung, Beköstigung und die übrigen Naturalleistungen. Gastfamilien und Colleges könnten nicht als Erfüllungsgehilfen der Klägerin angesehen werden.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 25 und § 4 Nr. 23 UStG.
Es trägt im Wesentlichen vor, bei den hier zu beurteilenden Auslandsaufenthalten stehe —anders als bei kurzfristigen Sprach- und Studienreisen (vgl. Abschn. 272 Abs. 1 Satz 5 der Umsatzsteuer-Richtlinien —UStR—)— der Aus- und Fortbildungszweck im Vordergrund. Die Organisation der Reise ins Gastland sei nur das Mittel zum eigentlichen Zweck des Schulbesuchs im Ausland verbunden mit dem Aufenthalt bei einer Familie des Gastlandes. Die Reiseorganisation sei eine unselbständige Nebenleistung zur Hauptleistung „Schulbesuch und Aufenthalt im Gastland„. Der Ort dieser Leistung liege gemäß § 3a Abs. 1 UStG im Inland. Nach Auffassung des FA ist die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG auch auf Reiseleistungen i.S. von § 25 UStG anwendbar.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Sie wiederholt ihren Vortrag, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten auf die Umsätze im Rahmen der High-School-Programme eine dem Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG entsprechende Sonderregelung anwendeten, und andere Mitgliedstaaten von einer einheitlichen Leistung (in der Regel Ausbildung, nicht aber Unterbringung zur Aus- und Weiterbildung) ausgingen; dazu legt sie eine Aufstellung vor (BFH-Akte 103); der Ort dieser einheitlichen Leistung liege in der Regel nicht im Inland.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am wurde der festgestellte Sachverhalt dahin gehend konkretisiert, dass die Klägerin sowohl die Flüge als auch die Aufnahme in der High School und bei der Gastfamilie im eigenen Namen anbietet, also nicht als Vermittlerin der Fluggesellschaft oder der Schulen/Familien bzw. der Partnerorganisation auftritt.
Gründe
II. Gründe
Der Senat setzt das Revisionsverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die unter III. wiedergegebene Frage gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidungserheblich ist, ob bzw. inwieweit die Umsätze der Klägerin unter die Sonderregelung des § 25 UStG für Reiseleistungen fallen oder ob es sich in erster Linie um Leistungen im Erziehungs- und Ausbildungsbereich für Jugendliche handelt, die ggf. unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 23 UStG fallen, sofern der Leistungsort im Inland liegt.
1. Einschlägige Vorschriften des UStG:
§ 4 Steuerbefreiungen ...
Nach § 4 Nr. 23 UStG sind steuerfrei:
die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen durch Personen und Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, soweit die Leistungen an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung, Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen ausgeführt werden. ...
§ 25 Besteuerung von Reiseleistungen
(1) Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen.
(2) Die sonstige Leistung ist steuerfrei, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden. ...
(3) Die sonstige Leistung bemisst sich nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. ...
(4) Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten Steuerbeträge als Vorsteuer abzuziehen. Im übrigen bleibt § 15 unberührt. ...
2. Gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen:
§ 25 UStG soll die Sonderregelung für Reisebüros in Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG umsetzen.
Art. 26 Sonderregelung für Reisebüros
(1) Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c) anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.
(2) Die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Sie wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat. Für diese Dienstleistung gilt als Besteuerungsgrundlage und als Preis ohne Steuer im Sinne des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b) die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen.
(3) Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der Gemeinschaft entfällt.
(4) Beim Reisebüro ist der Vorsteuerabzug oder die Rückerstattung der Steuern in jedem Mitgliedstaat für die Steuern ausgeschlossen, die dem Reisebüro von anderen Steuerpflichtigen für die in Absatz 2 bezeichneten Umsätze in Rechnung gestellt werden, welche dem Reisenden unmittelbar zugute kommen.
3. Der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen bereits allgemeine Grundsätze zur Anwendung des Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG aufgestellt.
a) Zuletzt führte er im Urteil vom Rs. C-149/01, First Choice Holidays plc (Slg. 2003, I-6289, BFH/NV Beilage 2003, 218) aus:
„21. Artikel 26 der Sechsten Richtlinie sieht eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung der Besteuerungsgrundlage für bestimmte Umsätze von Reisebüros und Reiseveranstaltern vor (Urteil vom in den Rechtssachen C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998, I-6229, Randnr. 5).
22. Als Ausnahme von der allgemeinen Regelung der Sechsten Richtlinie darf dieser Artikel nur angewandt werden, soweit dies zur Erreichung des Zieles der Richtlinie erforderlich ist (Urteil Madgett und Baldwin, Randnr. 34).
23. Die durch Artikel 26 der Sechsten Richtlinie eingeführte Mehrwertsteuer-Sonderregelung hat zum Ziel, das anwendbare Recht den besonderen Merkmalen der Tätigkeit von Reisebüros und Reiseveranstaltern anzupassen (Urteile vom in der Rechtssache C-163/91, Van Ginkel, Slg. 1992, I-5723, Randnr. 15, und Madgett und Baldwin, Randnr. 18).
24. Die Leistungen dieser Unternehmen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich regelmäßig aus mehreren Leistungen, insbesondere Beförderungs- und Unterbringungsleistungen, zusammensetzen, die teils im Ausland, teils in dem Land erbracht werden, in dem das Reisebüro seinen Sitz oder eine feste Niederlassung hat. Die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Besteuerungsgrundlage und den Vorsteuerabzug würde aufgrund der Vielzahl und der Lokalisierung der erbrachten Leistungen bei diesen Unternehmen zu praktischen Schwierigkeiten führen, die die Ausübung ihrer Tätigkeit behindern würden (Urteile Van Ginkel, Randnrn. 13 und 14, und Madgett und Baldwin, Randnr. 18).
25. Durch die Festlegung eines einheitlichen Ortes der Besteuerung und die Wahl der Marge des Reisebüros oder des Reiseveranstalters als Besteuerungsgrundlage, d.h. der Differenz zwischen dem 'vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag' ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten einschließlich Mehrwertsteuer, die dem Reisebüro oder dem Reiseveranstalter durch die Inanspruchnahme von Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, sollen mit Artikel 26 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie die in der vorstehenden Randnummer genannten Schwierigkeiten vermieden und speziell ein vereinfachter Abzug der gezahlten Vorsteuer, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie erhoben wurde, gewährleistet werden.„
b) Nach dem Urteil in Slg. 1998, I-6229 Randnr. 21 ff. ist Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG nicht nur auf Reisebüros und Reiseveranstalter im üblichen Sinn anzuwenden, sondern auf Wirtschaftsteilnehmer, die Reisen im eigenen Namen veranstalten und die sich zur Erbringung von Dienstleistungen, die mit dieser Art der Tätigkeit gemeinhin verbunden sind, an dritte Steuerpflichtige wenden, auch wenn sie, formal gesehen, nicht die Eigenschaft eines Reisebüros oder eines Reiseveranstalters haben. Dieses Kriterium ist im Streitfall nicht fraglich.
Auch die lange Dauer der Aufenthalte dürfte als Kriterium für eine Reise i.S. von Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG keine gewichtige Rolle spielen, zumal die Bestimmung weder eine Höchst- noch eine Mindestdauer für die Reise vorsieht.
c) Fraglich ist aber, ob die angebotenen Schüleraustauschprogramme als Reisen im Sinne der Bestimmung anzusehen sind.
Die Dienstleistungen, die die Klägerin als Veranstalterin des Schüleraustauschs anbietet, bestehen in erster Linie in der Auswahl der Schule und der Gastfamilie sowie den Beförderungsleistungen. Beide Leistungen erbringt die Klägerin im eigenen Namen und unter Inanspruchnahme der Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger (der Partnerorganisation und der Fluggesellschaft).
Der Senat hält die Beurteilung der Umsätze der Klägerin als „Umsätze der Reisebüros„ i.S. von Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG für möglich, hat aber Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Bestimmung aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zur Beurteilung eines sog. Schüleraustauschprogramms im Rahmen der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom über Pauschalreisen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 158, S. 59).
Der einschlägige Artikel 2 dieser Richtlinie lautet:
(Artikel 2)
Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
„1. Pauschalreise: die im voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, wenn diese Leistung länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung einschließt:
a) Beförderung,
b) Unterbringung,
c) andere touristische Dienstleistungen, die nicht Nebenleistungen von Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen...„
Der EuGH erkannte im Urteil vom Rs. C-237/97, AFS Intercultural Programs Finland ry (Slg. 1999, I-825, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft —EuZW— 1999, 219) für die Frage der Anwendung der Richtlinie 90/314/EWG auf Reisen im Zusammenhang mit Schüleraustauschprogrammen:
„28. Aus dem Vorstehenden folgt indessen nicht notwendig, dass als Unterbringung i.S. der Richtlinie der Aufenthalt eines Schülers in einer Gastfamilie anzusehen ist, in der er wie ein Mitglied dieser Familie behandelt wird und deren Kindern gleichgestellt ist. Auch wenn nämlich die Art der Unterbringung, ihre Unentgeltlichkeit und ihre Dauer als solche, jeweils für sich genommen, keine entscheidenden Kriterien für den Begriff der Unterbringung i.S. der Richtlinie sind, bewirken sie doch zusammengenommen, dass eine Aufnahme, die sämtliche vorgenannten Merkmale aufweist, nach der Richtlinie nicht als Unterbringung qualifiziert werden kann.
29. Folglich erfüllt ein Schüleraustausch wie derjenige, um den es im Ausgangsverfahren geht, nicht das Tatbestandsmerkmal der 'Unterbringung' nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie. Zu prüfen ist daher, ob ein solcher Austausch 'andere touristische Dienstleistungen /umfaßt/, die nicht Nebenleistungen von Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen.'
30. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Auswahl einer Schule durch den Veranstalter der Pauschalreise nicht als solche als touristische Dienstleistung i.S.v. Art. 2 Nr. 1 lit. c Richtlinie angesehen werden kann. Diese Dienstleistung, die den Schülern angeboten wird, die an einem internationalen Schüleraustausch teilnehmen, hat nämlich speziell die Bildung der Teilnehmer zum Ziel.
31. Des weiteren stellt die Dienstleistung, die in der Auswahl einer Gastfamilie für den Aufenthalt eines Schülers besteht, jedenfalls eine Nebenleistung i.S.v. Art. 2 Abs. 1 lit.c Richtlinie dar und fällt somit nicht unter den Begriff der anderen touristischen Dienstleistungen.
...
34. Daher ist auf den ersten Teil der ersten Frage zu antworten, dass die Richtlinie nicht auf Reisen anzuwenden ist,
- die in einem etwa halb- oder einjährigen Schüleraustausch bestehen,
- die bezwecken, dass der Schüler im Gastland eine Schule besucht, um dessen Bevölkerung und Kultur kennenzulernen, und
- in deren Rahmen der Schüler unentgeltlich bei einer Gastfamilie wie ein Familienmitglied untergebracht ist.„
Nach diesen Grundsätzen könnte das Vorliegen von „Umsätzen eines Reisebüros„ zur Durchführung einer Reise i.S. des Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG verneint werden - wenn auch im Rahmen dieser Bestimmung auf den Zweck des Aufenthalts im Ausland abgestellt wird.
d) Für eine gemeinschaftsrechtliche Klärung spricht auch der unwidersprochene Hinweis der Klägerin auf eine nicht einheitliche Anwendung des Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG in den Mitgliedstaaten der EU; diese kann auf unterschiedlicher Auslegung der Bestimmung in den Mitgliedstaaten beruhen. Die gemeinschaftsrechtliche Klärung des Anwendungsbereichs der Regelung kann der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen auf diesem Sektor der besonderen „Reiseveranstaltungen„ dienen.
III. Vorlagefrage an den EuGH
Für das vorliegende Revisionsverfahren ist danach folgende Frage zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG entscheidungserheblich:
Gilt die Sonderregelung für Reisebüros in Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG auch für Umsätze eines Veranstalters von sog. „High-School-Programmen„ und „College-Programmen„ mit Auslandsaufenthalt von drei bis zehn Monaten, die den Teilnehmern im eigenen Namen angeboten werden und für deren Durchführung Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch genommen werden?
Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 632
BB 2004 S. 1152 Nr. 21
BFH/NV 2004 S. 897
BFH/NV 2004 S. 897 Nr. 6
BStBl II 2004 S. 632 Nr. 13
DB 2004 S. 1134 Nr. 21
DStRE 2004 S. 716 Nr. 12
INF 2004 S. 449 Nr. 12
KÖSDI 2004 S. 14209 Nr. 6
StB 2004 S. 244 Nr. 7
UR 2004 S. 485 Nr. 9
OAAAB-21243