BFH Urteil v. - VIII R 44/01

„Anteilsrotation” als Gestaltungsmissbrauch

Gesetze: EStG §§ 17, 20, 36; AO § 42

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. 1984 gründeten die X-Steuerberatungs-GmbH, vertreten durch den Kläger, und die S-GmbH, vertreten durch die Ehefrau des Klägers, die Y-GmbH. Die Y-GmbH, eine von mehreren sog. Vorratsgesellschaften, übte in den Jahren 1984 und 1985 keine nennenswerte geschäftliche Tätigkeit aus.

Am veräußerten die Gesellschafter der Y-GmbH ihre Anteile an drei Ehepaare, also sechs Erwerber, deren Anteile mit je 16,6 v.H. bzw. 16,8 v.H. unterhalb der seinerzeitigen Wesentlichkeitsgrenze des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) lagen. Die neuen Anteilseigner änderten den Namen der Y-GmbH in Z-GmbH und erweiterten den Unternehmensgegenstand u.a. in „An- und Verkauf von Grundstücken sowie Planung und Erschließung von Baumaßnahmen„.

Am erwarb die Z-GmbH von ihrem Gesellschafter W ein unbebautes Grundstück zum Kaufpreis von 740 000 DM. Das Grundstück wurde in der Bilanz der Z-GmbH einschließlich Anschaffungsnebenkosten mit rd. 865 000 DM aktiviert und am zum Preis von 1,2 Mio. DM an einen fremden Erwerber veräußert.

Am veräußerten die sechs Anteilseigner der Z-GmbH ihre Anteile zum Preis von insgesamt 264 000 DM an den Kläger. Zuvor hatte die Z-GmbH der freiberuflichen Sozietät „A und Partner„ mit Vertrag vom ein Darlehen in Höhe von 300 000 DM zum Zinssatz von 7 v.H. zugesagt; die Darlehensvaluta wurde am auf dem Konto der Sozietät gutgeschrieben. Von diesem Konto wurde ein Teil des Kaufpreises für die GmbH-Anteile in Höhe von 156 000 DM an die Anteilsveräußerer überwiesen. Der Kaufpreisrest in Höhe von 96 000 DM wurde dem Kläger gestundet und sollte bezahlt werden, wenn dem Kläger die von ihm erwartete höhere Steuererstattung zugegangen war.

Durch Beschluss vom wurde die Z-GmbH aufgelöst. Zum Liquidator wurde der Kläger bestellt. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) teilte der Kläger dem FA zu dieser Gestaltung mit, die bisherigen Gesellschafter der Z-GmbH seien an ihn herangetreten, weil sie die Z-GmbH hätten liquidieren wollen. Er —der Kläger— sei in der Liquidation von Gesellschaften erfahren. Bei Erwerb der Anteile sei er nicht sicher gewesen, ob er die Z-GmbH fortführen oder liquidieren solle. Nach Streitigkeiten mit dem früheren Geschäftsführer V habe er sich zur Liquidation entschlossen.

Am beschloss der Kläger als Liquidator und alleiniger Gesellschafter der Z-GmbH vor Ablauf des Sperrjahres (§ 73 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung —GmbHG—), den gesamten zu erwartenden Jahresüberschuss des Wirtschaftsjahres 1987 in Höhe von 150 925 DM vorab auszuschütten. Die Bruttodividende betrug 235 820 DM. Am beschloss er, das Stammkapital der Z-GmbH in Höhe von 48 000 DM ebenfalls vor Ablauf des Sperrjahres auszuschütten. Die Z-GmbH i.L. erteilte dem Kläger eine Steuerbescheinigung nach §§ 44, 45a des Körperschaftsteuergesetzes —KStG— (Vorabausschüttung 150 925 DM, anrechenbare Körperschaftsteuer 84 895 DM, anrechenbare Kapitalertragsteuer 37 731 DM).

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1987 erklärte der Kläger die Bruttodividende von 235 820 DM bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und begehrte die Anrechnung der Körperschaftsteuer von 84 895 DM und der Kapitalertragsteuer von 37 731 DM. Des Weiteren machte er einen Verlust i.S. von § 17 Abs. 4 EStG aus der Liquidation der Z-GmbH in Höhe von 50 000 DM (Stammkapital) ./. 264 000 DM (Kaufpreis der Anteile) = ./. 214 000 DM geltend.

Das FA berücksichtigte weder einen Verlust nach § 17 Abs. 4 EStG noch Einkünfte aus Kapitalvermögen betreffend die Vorabausschüttung; dementsprechend versagte es auch eine Anrechnung der Körperschaftsteuer und der Kapitalertragsteuer. Die ausschüttungsbedingten Einkünfte aus Kapitalvermögen seien wegen Gestaltungsmissbrauchs den alten Anteilseignern der Z-GmbH zuzurechnen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 548 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts (§§ 17 Abs. 4, 20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3, 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 EStG, § 42 der AbgabenordnungAO 1977—).

Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1987 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom mit der Maßgabe abzuändern, dass

1. ein Verlust nach § 17 EStG in Höhe von 214 000 DM und Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 150 924,80 DM —hilfsweise von 214 000 DM und weiter hilfsweise in Höhe von 235 820 DM— zu berücksichtigen und

2. Körperschaftsteuer in Höhe von 84 895 DM sowie Kapitalertragsteuer in Höhe von 37 731 DM anzurechnen sind.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist im zweiten Hilfsantrag begründet; sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

A. Die Klage ist zulässig.

1. Die vom Kläger erhobene Untätigkeitsklage war nach Erlass der Einspruchsentscheidung während des Klageverfahrens fortzusetzen (, BFHE 155, 12, BStBl II 1989, 107). Für die Klage bestand auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger begehrt zwar eine gegenüber dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid höhere Einkommensteuer; er kann aber nur auf diesem Wege die angestrebte Anrechnung der Kapitalertragsteuer und der Körperschaftsteuer erreichen (vgl. , BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362; vom I R 29/97, BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527; vom I R 48/97, BFHE 196, 128).

2. Der rechtlichen Beurteilung ist der weitestgehende —zweite— Hilfsantrag zu Grunde zu legen.

a) Rechtsgrundlage für den Ansatz der Beteiligungseinkünfte des Klägers ist nach Auflösung der Z-GmbH hinsichtlich der Vorabausschüttung § 17 Abs. 4 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 EStG 1987 und hinsichtlich der Ausschüttung des Stammkapitals und des dadurch eingetretenen Auflösungsverlustes § 17 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG. Der Kläger war im Zeitpunkt der Auskehrung des Gesellschaftsvermögens alleiniger Gesellschafter der Z-GmbH und erfüllte alle Voraussetzungen des § 17 EStG. Die Vorabausschüttung ist bei ihm als Gewinnanteil i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu erfassen (, BFHE 122, 43, BStBl II 1977, 491; vom I R 21/92, BFH/NV 1994, 83; vom VIII R 24/99, BFH/NV 2000, 707); das gilt auch dann, wenn der Ausschüttungsbeschluss —wie im Streitfall— erst nach Auflösung der Gesellschaft gefasst wird (vgl. zur Abgrenzung gegenüber § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG, , BFH/NV 2003, 1246). Der Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG ist im Streitjahr entstanden (vgl. dazu , BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731).

b) Die Kapitalertragsteuer ist nur anzurechnen, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Kapitaleinkünfte entfällt (§ 36 Abs. 2 Nr. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Dementsprechend ist der Einkommensteuerfestsetzung die um die Kapitalertragsteuer erhöhte Barausschüttung zu Grunde zu legen (vgl. u.a. BFH-Urteil in BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362). Die Erhöhung ist im Zeitpunkt des Einbehalts der Kapitalertragsteuer —hier also mit Auszahlung des Ausschüttungsbetrags und Abtretung des Ausschüttungsanspruchs durch den Kläger im Dezember 1987— zu erfassen (, BFHE 181, 7, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1996, 1526).

c) Auch die Anrechnung der Körperschaftsteuer ist nur möglich, wenn die entsprechenden Einnahmen aus Kapitalvermögen bei der Einkommensteuerveranlagung erfasst werden. Der Senat verweist insoweit auf die BFH-Urteile in BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362 (dort unter I.2. der Gründe) und vom I R 87/95 (BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473).

d) Die Anrechnung der Körperschaftsteuer ist auch nur dann zulässig, wenn die Kapitaleinkünfte um den anzurechnenden Körperschaftsteuerbetrag erhöht werden.

Der I. Senat des BFH hat zwar für Veranlagungszeiträume vor 1996 unter Hinweis auf die damalige Fassung des § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1987/1990 die Auffassung vertreten, dass die Körperschaftsteuer auch dann auf die festgesetzte Einkommensteuer anzurechnen sei, wenn sie ihrerseits nicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1987/1990 erfasst worden sei (, BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191; in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527; vom I R 66/00, BFHE 195, 249, BStBl II 2003, 638); auf dieser Ansicht beruht der Hauptantrag des Klägers, mit dem er eine Anrechnung der Körperschaftsteuer ohne die in § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG angeordnete Erhöhung der Einkünfte aus Kapitalvermögen begehrt. Die Rechtsprechung des I. Senats des BFH ist jedoch auf den Streitfall nicht anzuwenden. Sie ist zu Abrechnungsbescheiden bei bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden (BFH-Urteile in BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191, und in BFHE 195, 249, BStBl II 2003, 638) bzw. zu —anders zu beurteilenden— Körperschaftsteuerbescheiden ergangen (BFH-Urteil in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527, unter B.I.3. der Gründe). Auf Einkommensteuerbescheide, die noch geändert werden können, ist sie —wie der Senat bereits in seinem Urteil vom VIII R 75/98 (BFHE 192, 80, BStBl II 2000, 423) ausgeführt hat— nicht anzuwenden. Davon geht auch der I. Senat aus (vgl. —zur Änderungsmöglichkeit nach § 165 AO 1977— Urteil in BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191, dort unter II.7.b aa der Gründe a.E. und —zur Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977— Urteil vom I R 48/98, BFHE 188, 532, BStBl II 1999, 527, unter II.2.a der Gründe). Im Streitfall ist die Einkommensteuerveranlagung 1987 für den Kläger noch offen.

e) Das FA hat im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1987 weder Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 noch i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG erfasst. Darauf beruht der erste Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser unter Hinweis auf das Verböserungsverbot den Ansatz von Einkünften lediglich in Höhe des Auflösungsverlustes i.S. von § 17 Abs. 4 EStG begehrt.

Auch dieser Antrag ist unbegründet. Zwar würde bereits der Ansatz von Einnahmen in Höhe des Auflösungsverlustes die gemäß § 20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 EStG zusätzlich zu berücksichtigenden Einkünfte aus Kapitalvermögen kompensieren; da der Kläger aber die Anrechnung der Kapitalertragsteuer und der Körperschaftsteuer in voller Höhe beantragt hat und die Hinzurechnung dieser Beträge zur Barausschüttung die Voraussetzung für die Anrechnung ist, sind die Einkünfte aus Kapitalvermögen um diese Beträge zu erhöhen. Das Verböserungsverbot hindert zwar das FG grundsätzlich daran, den Kläger gegenüber dem Zustand vor Klageerhebung schlechter zu stellen; es gilt aber nicht im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens des Klägers (vgl. dazu u.a. Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 96 FGO Tz. 101).

B. Die Klage ist jedoch im zweiten Hilfsantrag begründet. Das FG hat zu Unrecht einen Gestaltungsmissbrauch des Klägers i.S. von § 42 AO 1977 angenommen.

1. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Von einer Umgehung ist auszugehen, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die —gemessen an dem erstrebten Ziel— unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272; , BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729; in BFHE 196, 128). Eine rechtliche Gestaltung ist unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorgegebene typische Gestaltung zur Erreichung bestimmter wirtschaftlicher Ziele nicht gebraucht, sondern hierfür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel, Steuern zu sparen, nicht erreichbar sein soll (vgl. u.a. , BFHE 169, 336, BStBl II 1993, 477, und in BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729). Die Unangemessenheit einer Rechtsgestaltung tritt insbesondere zu Tage, wenn diese keinem wirtschaftlichen Zweck dient. Dient die Gestaltung hingegen wirtschaftlichen Zwecken, darf das Verhalten der Beteiligten nicht auf seine Angemessenheit hin beurteilt werden (BFH-Urteil in BFHE 196, 128, unter II.1. der Gründe, m.w.N.).

2. Der Kläger hat im Streitfall keine rechtliche Gestaltung gewählt, die zur Erreichung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks im bezeichneten Sinne unangemessen war.

a) Zwar kann ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten auch darin liegen, dass ein Steuerpflichtiger einen anderen zu einer unangemessenen Gestaltung veranlasst und hieraus einen ungerechtfertigten Steuervorteil zieht (vgl. u.a. BFH-Urteil in BFHE 196, 128, unter II.3.a der Gründe, m.w.N.; Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 42 Rz. 25, m.w.N.). Das bedeutet aber —entgegen der vom FA und FG vertretenen Ansicht— nicht, dass ein gemeinsam gestalteter rechtsmissbräuchlicher Vorgang bei allen mit- oder zusammenwirkenden Beteiligten unbeachtlich bleibt und die Besteuerung ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Umstände bei allen Beteiligten nach einer angemessenen rechtlichen Gestaltung vorzunehmen ist. Vielmehr kann ein und derselbe Vorgang in der Person eines der Beteiligten als Missbrauch zu beurteilen sein, in der Person des anderen aber nicht (, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, unter II.3.b der Gründe, und vom I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, unter II.1.c der Gründe). Dem entspricht die Entscheidung des I. Senats, dass auch bei der Veräußerung von Anteilen an einer liquidationsreifen GmbH die missbräuchliche Gestaltung des Veräußerers allenfalls unter besonderen Umständen dem Erwerber zuzurechnen sei (BFH-Urteil in BFHE 196, 128, unter II.3. der Gründe).

b) Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor.

aa) Der I. Senat hat in diesem Urteil ausgeführt, dass der Erwerb von Anteilen an einer liquidationsreifen GmbH von einem fremden Dritten, um deren liquides Vermögen mittels einer Ausschüttung zu vereinnahmen, nicht schon deshalb einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten begründe, weil die Erwerberin die Gesellschaft anschließend liquidiert. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Veräußerer der Gesellschaftsanteile auf die Erwerberin keinen beherrschenden Einfluss ausüben könnten. Denn die Liquidation sei —ebenso wie die dadurch bedingte Abschreibung der erworbenen Beteiligung auf den niedrigeren Teilwert und die Inanspruchnahme der sich aus § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 ergebenden Anrechnung der Körperschaftsteuer— lediglich eine wirtschaftliche und rechtliche Konsequenz der Vollausschüttung. Auch der Umstand, dass der Erwerb der Beteiligung u.a. auch durch ein Darlehen der anschließend liquidierten GmbH ermöglicht worden sei, lasse den Geschäftsvorfall weder ungewöhnlich noch unangemessen erscheinen.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die „Anteilsrotation„ ist nur dann unangemessen, wenn tatsächlich nicht eine Veräußerung der Anteile, sondern eine Liquidation der Gesellschaft gewollt war, diese aber wegen der damit verbundenen günstigeren steuerrechtlichen Folgen über eine Veräußerung der Anteile an eine von den veräußernden Gesellschaftern beherrschte Gesellschaft oder an eine zwischengeschaltete dritte Person herbeigeführt wird (, BFHE 181, 490, BStBl II 1998, 90, unter II.2. der Gründe; in BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729, unter II.1.a der Gründe, und in BFHE 196, 128, unter II.3.c der Gründe, m.w.N.). Die damit verbundenen Rechtsfolgen treten zunächst bei den —mit Missbrauchsabsicht handelnden (zu dieser Voraussetzung vgl. Senatsurteil in BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729, unter II.1.c der Gründe und die Rechtsprechungsnachweise bei Klein, a.a.O., § 42 Rz. 22)— veräußernden Gesellschaftern ein; bei diesen ist deshalb auch § 42 AO 1977 vorrangig und regelmäßig mit dem Ergebnis zu prüfen, dass die „den wirtschaftlichen Vorgängen angemessene rechtliche Gestaltung„ (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) diejenige ist, die mit der „Anteilsrotation„ verhindert werden sollte, also die Entstehung von Bezügen i.S. von § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG bei den bisherigen Gesellschaftern. Werden bei ihnen die im Zeitpunkt der Veräußerung zu fingierenden Bezüge in vollem Umfang besteuert, gibt es keinen Grund, die an die Übertragung der GmbH-Anteile und der Gewinnansprüche anzuknüpfenden Rechtsfolgen (einschließlich der Körperschaftsteueranrechnung) beim Erwerber unbeachtet zu lassen (zur Besteuerung des vereinbarten „Kaufpreises„ für die Anteile vgl. Senatsurteil in BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729). Von diesem Regelfall ist nach den Feststellungen des FG auch hier auszugehen.

Der Senat lässt offen, ob und unter welchen Voraussetzungen die „Anteilsrotation„ beim Erwerber der Anteile Rechtsfolgen nach § 42 AO 1977 auslösen kann. Bei einem eigene wirtschaftliche und steuerrechtliche Interessen verfolgenden Erwerber müssten dazu jedenfalls besondere Umstände vorliegen (BFH-Urteil in BFHE 196, 128, unter II.2.a und 3.a; besondere Umstände bejahend BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1246). Solche sind hier nicht ersichtlich.

bb) Damit entspricht der hier zu beurteilende Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten dem Sachverhalt, über den der I. Senat in seinem Urteil in BFHE 196, 128 zu entscheiden hatte. Auch in diesem Fall hatte die Klägerin (eine GmbH) von den Gesellschaftern einer ihr nicht nahe stehenden GmbH —teilweise von dieser fremdfinanziert— alle Anteile gekauft, die veräußernden Gesellschafter waren nicht wesentlich i.S. von § 17 EStG an der GmbH beteiligt, das Vermögen der GmbH bestand weitgehend nur aus flüssigen Mitteln und die Käuferin hat kurz nach dem Erwerb der Anteile die Liquidation beschlossen und das Vermögen der GmbH an die Klägerin ausgekehrt. Die steuerpflichtigen Dividendenerträge wurden weitgehend durch eine ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung kompensiert; im Streitfall ist —insoweit vergleichbar— Rechtsgrundlage dieser Kompensation der nach § 17 Abs. 4 EStG eintretende Auflösungsverlust.

Soweit sich die Sachverhalte voneinander unterscheiden, ist der Unterschied nicht entscheidungserheblich. Die Gründung der Y-GmbH als sog. Vorratsgesellschaft durch zwei dem Kläger bzw. seiner Ehefrau nahe stehenden Kapitalgesellschaften ändert nichts daran, dass der Kläger die Anteile an der Y-GmbH später als fremder Dritter und im eigenen Interesse erworben hat. Auch die leicht modifizierte Fremdfinanzierung des Kaufpreises durch die jeweils „veräußerte„ GmbH ist für die Beurteilung der Fälle ohne Bedeutung.

3. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von seinem Urteil in BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729 ab. Er hatte in diesem Urteil nur über die Frage zu entscheiden, ob der Verkauf aller Anteile an einer GmbH zur Vermeidung einer Versteuerung des Liquidationserlöses nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG bei den Verkäufern rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 AO 1977 war. Im Streitfall geht es um die Besteuerung des Erwerbers der Anteile, die bei diesem und bei einer Beteiligung im Privatvermögen nach § 20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 EStG und § 17 Abs. 4 EStG vorzunehmen ist, wenn nicht wegen der besonderen Umstände des Falles nur bei ihm eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung anzunehmen ist.

Soweit der Senat in seinem Urteil in BFHE 186, 534, BStBl II 1999, 729 darauf hingewiesen hat, dass in der Person des Erwerbers nur formale Rechte entstanden seien und dieser letztlich kein Entgelt für die Anteile bezahlt habe, beruhen diese Ausführungen auf der Besonderheit des dort zu beurteilenden Sachverhalts, die darin lag, dass im Zeitpunkt der Veräußerung der Anteile das Vermögen der GmbH faktisch bereits an die Gesellschafter verteilt war und an den Erwerber nur noch ein leerer GmbH-Mantel weitergegeben wurde. Zudem war die erwerbende Gesellschaft von einer ausländischen Domizilgesellschaft im Auftrage und mit dem Kapital der veräußernden Anteilseigner gegründet worden und unterlag offensichtlich auch weiterhin deren Einflussbereich mit der Folge, dass die Gesellschafter die Liquidation über eine zwischengeschaltete Erwerber-GmbH letztlich selbst durchgeführt haben.

4. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass sich der im Falle der Auflösung und Abwicklung einer Kapitalgesellschaft innerhalb der 10-jährigen Sperrfrist entstandene Gewinn nach § 50c Abs. 11 EStG nicht beim Veräußerer, sondern beim Erwerber der Anteile um den Unterschiedsbetrag zwischen den Anschaffungskosten und dem Nennbetrag der Anteile (Sperrbetrag i.S. von § 50c Abs. 4 EStG) erhöht, wenn sowohl Erwerber als auch Veräußerer zur Anrechnung der Körperschaftsteuer berechtigt sind. § 50c Abs. 11 EStG ist erst durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom (BGBl I 1997, 2590) in das EStG eingefügt worden. Die Vorschrift ist gemäß § 52 Abs. 1 EStG 1998 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997 anwendbar; ihre Anwendbarkeit kann nicht unter Hinweis auf § 42 AO 1977 vorverlagert werden (BFH-Urteil in BFHE 181, 490, BStBl II 1998, 90; in BFHE 196, 128, unter II.2.b der Gründe).

5. Die Vorentscheidung ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Sie war deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist entsprechend dem zweiten Hilfsantrag (Ansatz eines Verlustes nach § 17 EStG in Höhe von 214 000 DM, von Kapitaleinkünften in Höhe von 235 820 DM, unter Anrechnung einer Körperschaftsteuer in Höhe von 84 895 DM sowie Kapitalertragsteuer in Höhe von 37 731 DM) zu ändern. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Höhe der Gewinnausschüttung und des Auflösungsverlustes unter den Beteiligten nicht streitig ist. Die Ermittlung und Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 925
BFH/NV 2004 S. 925 Nr. 7
DStR 2004 S. 948 Nr. 23
DStRE 2004 S. 736 Nr. 12
KÖSDI 2004 S. 14240 Nr. 7
LAAAB-21056