Vorzeitiger unentgeltlicher Verzicht auf ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht
Leitsatz
1. Der vorzeitige unentgeltliche Verzicht auf ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht erfüllt als Rechtsverzicht den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. § 25 Abs. 1 ErbStG steht der Tatbestandsmäßigkeit nicht entgegen.
2. Eine Doppelerfassung des Nießbrauchsrechts —sowohl bei der Nichtberücksichtigung als Abzugsposten nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG als auch beim späteren Verzicht des Berechtigten— ist bei der Besteuerung des Nießbrauchsverzichts durch den Abzug des bei der Besteuerung des nießbrauchsbelasteten Gegenstandes tatsächlich unberücksichtigt gebliebenen (Steuer-)Werts des Nutzungsrechts von der Bemessungsgrundlage (Steuerwert) für den Rechtsverzicht zu beseitigen.
Gesetze: ErbStG § 1 Abs. 1 Nr. 2ErbStG § 7 Abs. 1 Nr. 1ErbStG § 10 Abs. 1 Satz 1ErbStG § 25 Abs. 1AO 1977 § 163
Instanzenzug: (EFG 2001, 148) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Im Jahre 1985 übertrug S auf seinen Neffen, den Kläger und Revisionskläger (Kläger), einen Geschäftsanteil an der A-GmbH zum Nennwert von 15 000 DM. Der Geschäftsanteil war mit einem lebenslänglichen Nießbrauchsrecht zu Gunsten der Mutter des S belastet, die im März 1986 verstorben ist. Der Kläger verpflichtete sich „als Gegenleistung„ für die Übertragung des Geschäftsanteils zur Übernahme des zu Gunsten der Mutter des S bestehenden Nießbrauchsrechts und räumte zugleich dem am geborenen S unter der aufschiebenden Bedingung des Ablebens der Mutter des S ein Nießbrauchsrecht an dem Geschäftsanteil ein.
Das damals für die Schenkungsteuerfestsetzung zuständige Finanzamt (FA X) setzte für diesen Vorgang durch Bescheid vom die Schenkungsteuer auf 0 DM fest. Der gemeine Wert des vom FA X mit 404 550 DM bewerteten Geschäftsanteils war niedriger als die Summe der von ihm auf der Grundlage der durchschnittlichen Ausschüttungen der letzten drei Jahre ermittelten Kapitalwerte der Nießbrauchsrechte zu Gunsten des S (394 875 DM) und seiner Mutter (21 875 DM).
Am verkauften der Kläger und weitere Gesellschafter, u.a. auch S, ihre Geschäftsanteile an der A-GmbH. Die Übertragung der Anteile sollte „frei von Rechten Dritter„ erfolgen. S verstarb am .
Der nunmehr zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA Y—), dem der Wegfall des Nießbrauchsrechts als Folge des Anteilsverkaufs erst 1996 bekannt wurde, sah hierin einen Nießbrauchsverzicht des S zu Gunsten des Klägers und setzte —ausgehend vom gemeinen Wert der Anteile zum — durch Bescheid vom wegen eines „Erwerbs vom aus der Schenkung von S„ gegen den Kläger Schenkungsteuer zunächst in Höhe von 91 632 DM fest. Mit Einspruchsentscheidung vom ermäßigte das FA Y die Steuer auf 5 401 DM. Seiner Steuerberechnung legte das FA nur noch den Kapitalwert des Nießbrauchsrechts des S nach dem Zeitraum des Verzichts ( bis ) in Höhe von 59 163 DM zugrunde.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger geltend machte, § 25 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) stehe der Besteuerung des Wegfalls des Nießbrauchsrechts des S entgegen, blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führt in seiner Entscheidung aus, dass der in dem Verkauf der Geschäftsanteile „frei von Rechten Dritter„ liegende Verzicht des S auf sein Nießbrauchsrecht eine nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerpflichtige Zuwendung an den Kläger darstelle. Bei dem Erwerb des nießbrauchsbelasteten Vermögens einerseits und dem späteren Verzicht auf das Nießbrauchsrecht durch den Berechtigten andererseits handele es sich um zwei unterschiedliche und eigenständige Vorgänge, die jeweils zu einem Vermögenszuwachs führten. Das Abzugsverbot des § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG beseitige nicht die in dem späteren Verzicht auf den Nießbrauch liegende Bereicherung des Nießbrauchsverpflichteten.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 148 veröffentlicht.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 ErbStG. Der unentgeltliche Nießbrauchsverzicht sei kein eigener Steuertatbestand; dieser gehe vielmehr in der Besteuerung des nießbrauchsbelasteten Gegenstandes auf.
Der Kläger beantragt, das sowie den Schenkungsteuerbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
Das FA Y beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Nießbrauchsverzicht des S zu Gunsten des Klägers nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerbar ist.
Der Wegfall des Nießbrauchsrechts, dem der S zugestimmt und für den er einen Ausgleich vom Kläger nicht erlangt hat, stellt als Rechtsverzicht zu Gunsten des Klägers eine Schenkung unter Lebenden i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG dar. Danach gilt jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird, als Schenkung unter Lebenden. Als Bereicherung kommt jede Vermögensmehrung und jede Minderung von Schulden oder Belastungen beim Bedachten in Betracht. Durch den Verzicht des S auf sein Nießbrauchsrecht im Zuge des Anteilsverkaufsvertrags vom ist auf Kosten des S eine Belastung beim Kläger entfallen; dieser war danach in der Lage, seinen Anteil „frei von Rechten Dritter„ zu veräußern und das Entgelt für den unbelasteten Anteil zu vereinnahmen.
2. Der Steuerbarkeit des Verzichts auf das Nießbrauchsrecht steht § 25 Abs. 1 ErbStG nicht entgegen. Die objektive, ausschließlich nach bürgerlich-rechtlichen Bewertungsgrundsätzen zu beurteilende, durch den Rechtsverzicht bewirkte Bereicherung und damit die Tatbestandsmäßigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG kann durch die etwaige frühere steuerliche Behandlung des Erwerbs des nießbrauchsbelasteten Vermögens nach § 25 Abs. 1 ErbStG nicht beseitigt werden (so auch: Moench, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 25 Anm. 33 ff.; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz, § 25 Rz. 49), weil § 25 Abs. 1 ErbStG nicht die Frage nach der objektiven Bereicherung, d.h. nach der Tatbestandsmäßigkeit eines Schenkungsvorgangs, sondern nach der Bereicherung gemäß den erbschaftsteuer- und schenkungsteuerrechtlichen Regeln betrifft, zu denen neben den steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften auch die steuerrechtlichen Beschränkungen für den Abzug von Verbindlichkeiten (hier der Nießbrauchsbelastung) zählen. Da das Abzugsverbot nach § 25 ErbStG nur im Rahmen der Ermittlung der steuerrechtlichen Bereicherung nach § 10 ErbStG zu beachten ist, kann es auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit des nachfolgenden Rechtsverzichts nicht zu einer „doppelten„ Erfassung ein und desselben Vermögensgegenstandes kommen. Kann der Erwerber nießbrauchsbelasteten Vermögens nach bürgerlich-rechtlichen Bewertungsgrundsätzen den Wert des Nießbrauchsrechts von seinem Vermögenserwerb abziehen, wird dieses nur beim nachfolgenden Rechtsverzicht erfasst.
Der Auffassung des Klägers, § 25 Abs. 1 ErbStG enthalte eine abschließende, den § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ausschließende Regelung dergestalt, dass bei einem Erlöschen des Nutzungsrechts infolge des Verzichts des Nießbrauchsberechtigten lediglich die zinslose Stundung der auf den Kapitalwert des Nutzungsrechts entfallenden, bereits festgesetzten Steuer endet (so: Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 13. Aufl., § 7 Anm. 55, § 25 Anm. 15, und in der Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge —ZEV— 1998, 406, Urteilsanmerkung; Schuck in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2004, § 25 ErbStG Rdnr. 46; Pahlke in Christoffel/Geckle/ Pahlke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 25 Rz. 33; Ziegeler, Der Betrieb —DB— 1998, 1058), kann deshalb nicht gefolgt werden.
Dementsprechend ist ein in einer möglichen Doppelerfassung des Nießbrauchs liegender und durch § 25 ErbStG herbeigeführter Wertungswiderspruch nicht auf der Ebene der objektiven Bereicherung, d.h. der Tatbestandsmäßigkeit des Rechtsverzichts nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, sondern nur im Rahmen der Ermittlung der steuerlichen Bereicherung nach § 10 ErbStG, d.h. nur bei der Prüfung auflösbar, ob und inwieweit durch den späteren Rechtsverzicht steuerrechtlich eine Bereicherung des Erwerbers vorliegt, die bisher noch nicht der Steuer unterlag.
3. Das FG hat zutreffend angenommen, dass die steuerrechtliche Bereicherung des Klägers i.S. von § 10 ErbStG mit dem nach den Allgemeinen Bewertungsvorschriften (s. § 12 Abs. 1 ErbStG) zu ermittelnden (Steuer-)Wert des Rechtsverzichts anzusetzen ist, und hat im Ergebnis auch zutreffend die Notwendigkeit einer „Korrektur„ der Besteuerung des Nießbrauchsverzichts verneint.
a) Zwar ist richtig, dass die als Folge des (steuerrechtlichen) Abzugsverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG mögliche zweimalige steuerliche Erfassung des gleichen Vermögensgegenstandes, nämlich des Nutzungsrechts sowohl bei der Nichtberücksichtigung als Abzugsposten als auch beim späteren Verzicht, dem in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG verankerten Bereicherungsprinzip widersprechen würde. Denn dieses gebietet die Anknüpfung der Besteuerung an die (Netto-)Bereicherung des Erwerbers und schließt damit die mehrfache steuerliche Erfassung eines Vermögenszuwachses aus. Eine Doppelerfassung des Nießbrauchsrechts als Folge des Abzugsverbots müsste deshalb bei der Besteuerung des späteren Nießbrauchsverzichts durch den Abzug des bei der Besteuerung des nießbrauchsbelasteten Gegenstandes tatsächlich unberücksichtigt gebliebenen (Steuer-)Werts des Nutzungsrechts von der Bemessungsgrundlage (Steuerwert) für den Rechtsverzicht beseitigt werden. Eines Rückgriffs auf § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) bedarf es in diesen Fällen nicht (a.A. H 85 Abs. 4 Hinweise zu den Erbschaftsteuer-Richtlinien —Erbschaftsteuer-Handbuch 2003—).
b) Eine Anrechnung des unberücksichtigt gebliebenen (Steuer-) Werts des Nutzungsrechts auf die Bemessungsgrundlage (Steuerwert) für den Rechtsverzicht scheidet aber im Streitfall aus, weil die (volle) Erfassung der in dem Rechtsverzicht liegenden steuerlichen Bereicherung des Klägers zu keiner doppelten Besteuerung des Nießbrauchs geführt hat und damit dem Bereicherungsprinzip nicht widerspricht.
Insoweit kann dahinstehen, aus welchen Gründen das seinerzeit zuständige FA Y die Steuer für den Erwerb des nießbrauchsbelasteten Vermögens auf 0 DM festgesetzt hat, etwa weil es (möglicherweise zu Unrecht) der Auffassung war, der Erwerb habe bereits objektiv, d.h. nach bürgerlich-rechtlichen Bewertungsmaßstäben zu keiner Bereicherung geführt oder das Abzugsverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG sei hier (z.B. wegen des Nießbrauchs zu Gunsten der Mutter des S) nicht zu beachten. Denn ein Verstoß gegen das Bereicherungsprinzip läge nur vor, soweit es bei der Besteuerung des Nießbrauchsverzichts tatsächlich zu einer doppelten steuerlichen Erfassung des Nießbrauchs käme. Das ist jedoch bei beiden denkbaren Varianten nicht der Fall, weil im Streitfall das Nießbrauchsrecht bei der Besteuerung des nießbrauchsbelasteten Vermögens tatsächlich schenkungsteuerrechtlich noch nicht in einer Weise berücksichtigt wurde, die eine erneute Erfassung im Rahmen des Rechtsverzichts ausschlösse.
Offen bleiben kann im Streitfall auch, ob eine Zusammenrechnung des Nießbrauchsverzichts aus dem Jahre 1991 mit dem Erwerb des nießbrauchsbelasteten Vermögens aus dem Jahre 1985 nach § 14 ErbStG vorzunehmen ist. Denn selbst wenn die Voraussetzungen des § 14 ErbStG vorlägen, könnten die sich aus einer Zusammenrechnung ergebenden Konsequenzen zu Lasten der Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr gezogen werden. Das FA Y hat eine Zusammenrechnung nicht vorgenommen; eine Verböserung der Steuerfestsetzung durch den Bundesfinanzhof kommt nicht in Betracht.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 429
BB 2004 S. 1320 Nr. 24
BFH/NV 2004 S. 726 Nr. 5
BStBl II 2004 S. 429 Nr. 9
DB 2004 S. 1974 Nr. 37
DStR 2004 S. 722 Nr. 17
DStRE 2004 S. 608 Nr. 10
FR 2004 S. 603 Nr. 10
KÖSDI 2004 S. 14178 Nr. 5
StB 2004 S. 204 Nr. 6
EAAAB-20257