BFH Beschluss v. - VIII R 56/03

Wiedereinsetzung nur bei ausreichender Postausgangskontrolle

Gesetze: FGO § 56

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) legte gegen das am zugestellte Urteil fristgemäß am Revision ein. Auf ihren rechtzeitig gestellten Antrag wurde die Frist zur Begründung der Revision bis zum (Montag) verlängert. Mit einem am zugestellten Schreiben wies die Vorsitzende des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) darauf hin, dass die Frist für die Begründung der Revision am abgelaufen sei und eine Begründung bisher nicht vorliege. Mit einem am eingegangenen Schriftsatz beantragte die Klägerin wegen Versäumung der Frist für die Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Revision.

Zur Begründung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trägt die Klägerin vor:

Der gesetzliche Fristablauf für die Revisionsbegründung wäre der gewesen. Diese Frist sei im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten mit Vorfristen notiert worden. Nach Bewilligung der Fristverlängerung bis zum habe der bearbeitende Prozessbevollmächtigte die Notfrist auf der Bewilligung verfügt; diese Frist sei sowohl in der Akte als auch im zentralen Fristenkalender der Kanzlei notiert worden. Entsprechend der generellen Anweisung in der Kanzlei sei eine erste Notfrist sieben Tage vor Fristablauf () und eine zweite Notfrist zwei Arbeitstage vor Ablauf (, weil der Fristablauf auf einen Montag gefallen sei) notiert worden.

Die rechtzeitige Vorlage bei Fristabläufen und die Ausgangskontrolle seien in der Kanzlei wie folgt sichergestellt:

Grundsätzlich sei einem Rechtsanwalt eine bestimmte Sekretärin zugeordnet. Es bestehe die Anweisung, dass Notfristen grundsätzlich getrennt von den übrigen Fixterminen vorgelegt werden müssten mit einem gesonderten Zettel, auf dem mit Rotstift auf den Ablauf der Frist hingewiesen werde. Neue Mitarbeiter würden auf die bei Notfristen einzuhaltende Verfahrensweise von der Bürovorsteherin oder ihrer Stellvertreterin hingewiesen. Darüber hinaus kontrolliere die Bürovorsteherin täglich anhand des Fristenkalenders, welche Notfristen abliefen. Sodann vergewissere sie sich, dass die Akte mit korrektem Notfristzettel an den Sachbearbeiter weitergegeben werde.

Im Streitfall sei die Wiedervorlage weisungsgemäß am 5. und erfolgt. Am 11. September habe der bearbeitende Prozessbevollmächtigte einen Entwurf der Revisionsbegründung erstellt. Die Revisionsbegründung habe dann am per Telefax an den BFH übermittelt werden sollen.

Der bearbeitende Prozessbevollmächtigte sei am ab dem frühen Nachmittag bis abends in seinem Arbeitszimmer gewesen und könne sicher sagen, dass er die Akten in seinem Arbeitszimmer nicht festgestellt habe. Er habe vor Verlassen des Büros die weisungsgemäß gesondert aufgestellten Akten mit roten Zetteln, die auf Notfristen hinwiesen, durchgesehen. Er wisse sicher, das er dabei die fraglichen Akten nicht gesehen habe. Am Nachmittag des habe er bei der Abschlusskontrolle der für diesen Tag vorgelegten Fristsachen an exponierter Stelle die fragliche Akte mit dem roten Zettel und dem Hinweis auf den Fristablauf am vorgefunden.

Sicher könne festgestellt werden, dass unter Verstoß gegen die dargestellte Weisung von Seiten der Büroangestellten keine Ausgangskontrolle vorgenommen worden sei. Gleichwohl sei die Notfrist im Fristenkalender gestrichen worden. Die dem unterzeichnenden Prozessbevollmächtigten zugeordnete Büroangestellte Frau X sei seit mehr als drei Jahren im Büro tätig und als besonders sorgfältig und gewissenhaft bekannt. Ein solcher Fehler sei bei ihr noch nie vorgekommen.

Zur Glaubhaftmachung des Sachvortrags hat die Klägerin Kopien aus der Handakte und dem Fristenkalender sowie eidesstattliche Erklärungen des bearbeitenden Prozessbevollmächtigten und der Bürovorsteherin überreicht. Die Bürovorsteherin bestätigt den Sachvortrag hinsichtlich der allgemeinen Handhabung von Notfristen. Sie erklärt, dass Frau X seit mehr als drei Jahren in der Kanzlei tätig gewesen sei und im Zusammenhang mit Fristen noch nie einen Fehler gemacht habe. Es sei entgegen der anwaltlichen Weisung am Tage des Ablaufs der Notfrist keine Ausgangskontrolle vorgenommen worden, d.h. es habe keine Überprüfung stattgefunden, ob die Frist eingehalten worden sei. Gleichwohl sei im Fristenkalender die Notfrist gestrichen worden.

Die Klägerin beantragt, ihr wegen Versäumung der Frist für die Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Vorentscheidung aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und der Klage auch insoweit stattzugeben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Klägerin habe die Tatsachen, die zur Fristversäumnis geführt hätten, nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 56 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) schlüssig vorgetragen. Nach dem geschilderten Verfahrensablauf sei der Entwurf der Revisionsbegründung am erstellt worden und die Revisionsbegründung habe dem BFH am übermittelt werden sollen. Am Tage nach Fristablauf habe der bearbeitende Rechtsanwalt die Akten in seinem Arbeitszimmer gefunden. Danach bleibe offen,

. ob und wem der bearbeitende Rechtsanwalt den Vorgang zur Fertigung der Revisionsbegründungsschrift weitergegeben habe,

. wer das Fax habe absenden sollen und

. wann und durch wen der Termin im Fristenkontrollbuch gestrichen worden sei.

Die Fristversäumnis sei nicht als Büroversehen entschuldbar, sondern müsse dem Prozessbevollmächtigten als Organisationsmangel angelastet werden, da nicht geregelt sei, wie die rechtzeitige Absendung fristwahrender Schriftstücke kontrolliert und durch wen und zu welchem Zeitpunkt der Termin im Fristenkalender gestrichen werde. Dieser Organisationsmangel sei ursächlich für die Fristversäumnis im Streitfall.

Die Klägerin erwidert darauf, ihrer Auffassung nach sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Die Revisionsbegründung ist beim BFH nicht innerhalb der nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO bis zum verlängerten Frist, sondern erst am und damit verspätet eingegangen (§ 124 Abs. 1 FGO). Die Revision ist daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO). Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO liegen nicht vor.

1. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass die Klägerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden verhindert waren, die Frist für die Revisionsbegründung einzuhalten. Die dafür erheblichen Tatsachen sind spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses schlüssig darzulegen (§ 56 Abs. 2 FGO). Ein Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten ist der Klägerin nach § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO zuzurechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Prozessbevollmächtigter verpflichtet ist, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (vgl. , BFH/NV 1994, 328, m.w.N.). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten liegt vor, wenn die Fristversäumung ursächlich auf eine mangelhafte Büroorganisation zurückzuführen ist (, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266). Dies trifft im Streitfall zu.

Die Klägerin hat zwar im Einzelnen die Maßnahmen geschildert, die im Büro ihrer Prozessbevollmächtigen die Eintragung der Notfristen in den Fristenkalender und die rechtzeitige Vorlage des Vorgangs an den jeweiligen Bearbeiter sicherstellen. Ihrem Vorbringen ist aber nicht zu entnehmen, dass im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten eine ausreichende Ausgangskontrolle sichergestellt ist. Das FA weist zu Recht darauf hin, es sei nicht dargelegt, wie die rechtzeitige Absendung fristwahrender Schriftsätze kontrolliert und durch wen zu welchem Zeitpunkt der Termin im Fristenkalender zu streichen sei. Zur Organisationspflicht eines Rechtsanwaltsbüros gehört es, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, dass fristwahrende Schriftstücke nicht über den Fristablauf hinaus im Büro liegen bleiben. Bei einer Versendung durch die Post ist für eine ordnungsmäßige Endkontrolle die Anweisung erforderlich, Fristen erst dann zu löschen, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich gefertigt und abgesandt ist oder zumindest postausgangsbereit vorliegt. Dementsprechend dürfen Fristen erst nach der Bereitstellung der Schriftstücke für die Mitnahme zur Post gelöscht werden. Bei einer Versendung durch die Post gehört zu einem zuverlässigen Kontrollsystem, dass zwischen dem Fristenkalender und dem Postausgangsbuch eine Übereinstimmung in der Weise sichergestellt wird, dass die Fristen im Kalender auf der Grundlage der Eintragungen im Postausgangsbuch gelöscht werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, unter 2.a und b der Gründe, m.w.N.).

Im Streitfall sollte nach dem Vorbringen der Klägerin die Revisionsbegründung zwar nicht per Post, sondern per Telefax übermittelt werden. Es besteht aber kein Grund, bei dieser Versendungsart geringere Anforderungen an die Ausgangskontrolle als bei einer Versendung per Post zu stellen. Deshalb hätte die Klägerin vortragen müssen, wie für diesen Fall im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten die Ausgangskontrolle sichergestellt war und welche Personen in welcher Phase der Bearbeitung zu Streichungen im Fristenkalender befugt waren. Dass —wie von der Klägerin vorgetragen— eine ordnungsgemäß eingetragene Frist im Fristenkalender der Prozessbevollmächtigten gestrichen worden ist, ohne dass festgestellt und damit dargelegt werden kann, wer diese Streichung zu welchem Zeitpunkt vorgenommen hat, bestätigt die mangelhafte Organisation der Ausgangskontrolle. Dieser Organisationsfehler ist auch ursächlich für die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist geworden, weil bei einer ordnungsgemäß organisierten Ausgangskontrolle rechtzeitig festgestellt worden wäre, dass die Revisionsbegründung nicht versendet worden war.

2. Der Klägerin könnte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aber auch deshalb nicht gewährt werden, weil die Lücken in ihrem Sachvortrag einen Sachverhalt als möglich erscheinen lassen, bei dem ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten auch aus anderen Gründen vorliegt. Das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller innerhalb der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist (vgl. , BFH/NV 1988, 317). Daran mangelt es nach zutreffender Auffassung des FA im Streitfall. Denn es sind außer der Frage, wer zu welchem Zeitpunkt die korrekt eingetragene Revisionsbegründungsfrist im Fristenkalender gestrichen hat, weitere Lücken im Sachverhalt bestehen geblieben, die von solcher Art sind, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Frist i.S. des § 56 Abs. 1 FGO ohne Verschulden der Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist.

Die Klägerin hat vorgetragen, der den Streitfall bearbeitende Prozessbevollmächtigte habe einen Entwurf der Revisionsbegründung „erstellt„ und die Revisionsbegründung habe am , dem Ablauftag, per Telefax an den BFH übermittelt werden sollen. Es ist offen, ob die dem bearbeitenden Rechtsanwalt zugewiesene Sekretärin in diesen „Erstellungsvorgang„ eingebunden war, wo die Akten seit der Erstellung des Entwurfs aufbewahrt worden sind, zu welchem Zeitpunkt die im Entwurfsstadium vorliegende Revisionsbegründung endgültig hätte gefertigt und unterzeichnet werden sollen und welche konkreten Weisungen der Prozessbevollmächtigte welcher Bürokraft für den weiteren Arbeitsablauf nach Erstellung des Entwurfs erteilt hat. Es ist auch nicht vorgetragen worden, dass eine Büroangestellte und ggf. welche ausdrücklich damit beauftragt worden sei, am Tage des Fristablaufs die Revisionsbegründung an den BFH zu versenden. Die Klägerin hat in ihrer Stellungnahme zur Revisionserwiderung des FA ihr bruchstückhaftes Vorbringen auch nicht ergänzt, obwohl das FA ausdrücklich auf diese Lücken im Sachvortrag hingewiesen hat. Diese Lücken im Sachverhaltsvortrag konnten auch nicht unter Berücksichtigung der eingereichten eidesstattlichen Versicherungen geschlossen werden, weil die vorliegenden eidesstattlichen Versicherungen darüber keine Aussagen enthalten und eine eidesstattliche Versicherung der Sekretärin, die dem bearbeitenden Rechtsanwalt zugewiesen ist, nicht eingereicht worden ist.

Bleibt —wie im Streitfall— nach dem Sachvortrag zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten beruht, kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (vgl. , Neue Juristische Wochenschrift 1992, 574).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
KAAAB-20255