BFH Urteil v. - I R 57, 58/02

Instanzenzug: , 17 K 2204/02 E

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist niederländische Staatsangehörige. Sie hat ihren Wohnsitz in den Niederlanden. Ihr dort zu versteuerndes Einkommen betrug im Streitjahr 1997 42 994 hfl und im Streitjahr 1998 75 676 hfl. Darin enthalten waren Einnahmen von —umgerechnet— 4 623,48 DM (1997) sowie von 33 257 DM (1998) aus einer in Deutschland im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgeübten selbständigen Tätigkeit. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer auf die im Inland bezogenen Einnahmen unter Bezugnahme auf § 50 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997) für 1997 —unter Berücksichtigung eines vortragsfähigen Verlustes von 4 276 DM— mit 85 DM und für 1998 mit 8 310 DM fest. Die hierauf entfallenden Einkommensteuern wurden in den Niederlanden von der dortigen Gesamtsteuerbelastung abgezogen.

Den Klagen, mit denen die Klägerin die Veranlagung unter Zugrundelegung des Einkommensteuertarifs nach § 32a EStG 1997 begehrte, wurde stattgegeben. Der Mindeststeuersatz des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1997 von 25 v.H. sei gemeinschaftsrechtswidrig. Das ergebe sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C-107/94 „Asscher„ (Slg. 1996, I-3089, 3124), welches die unmittelbare Nichtanwendung des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1997 nach sich ziehe. - Die sowie 17 K 2204/02 E, deren Leitsätze in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1309 wiedergegeben sind, stimmen weitgehend mit dem Urteil desselben , abgedruckt in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2003, 1316, EFG 2002, 1309 (nur Leitsatz) überein.

Das FA begründet seine Revisionen mit Verletzung materiellen Rechts und beantragt, die FG-Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

II. Die —zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (§ 73 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—)— Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Klagenabweisung. Das FG hat die für die Klägerin nach Maßgabe des § 32a Abs. 1 EStG 1997 festzusetzende Einkommensteuer zu Unrecht unter Gewährung des Grundfreibetrages berechnet.

1. Die Klägerin war in den Streitjahren in Deutschland mit ihren Einnahmen aus der selbständig ausgeübten Tätigkeit beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 und § 18 EStG 1997). Sie wird mit den hieraus erzielten Einkünften im Inland veranlagt (§ 46 Abs. 2 Nr. 2 und 8 EStG 1997). Die Einkommensteuer bemisst sich daher gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 EStG 1997 nach § 32a Abs. 1 EStG 1997. Sie beträgt jedoch gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz EStG 1997 mindestens 25 v.H. des Einkommens. Demzufolge wurde die Einkommensteuer vom FA zu Recht für 1997 —unter Berücksichtigung des vortragsfähigen Verlustes— auf 85 DM und für 1998 auf 8 310 DM festgesetzt.

2. Damit wird die Klägerin im Ergebnis schlechter gestellt als ein vergleichbarer unbeschränkt Steuerpflichtiger und auch als ein vergleichbarer beschränkt Steuerpflichtiger, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Denn bei solchen Personen beliefe sich die Einkommensteuer unter Berücksichtung des progressiven Steuertarifs gemäß § 32a Abs. 1 EStG 1997 und damit auch unter Gewährung des sog. Grundfreibetrages gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1997 in Höhe von 12 095 DM (für 1997) bzw. 12 365 DM (für 1998) bei den Gegebenheiten des Streitfalles, in dem die Einnahmen von 4 623,48 DM (1997) sowie von 33 257 DM (1998) den Nettoeinkünften entsprechen, für 1997 —nach Berücksichtigung des Verlustvortrages— auf jeweils nur 0 DM sowie für 1998 auf jeweils nur 5 810 DM. Eine Mindestbesteuerung scheidet dort aus (vgl. für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer § 50 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 1 Satz 6 EStG 1997).

3. Diese Ungleichbehandlungen sind jedoch weder aus gemeinschaftsrechtlicher noch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstanden.

a) Die insoweit bestehende unterschiedliche steuerliche Behandlung von sog. Gebietsfremden und sog. Gebietsansässigen verletzt nicht die in Art. 52 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft —EGV— (= Art. 43 nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften —EG—, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt Nr. C-340/173, 1977, 1) garantierten Grundfreiheiten.

aa) Der EuGH, dem die Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorbehalten ist, hat in seinem Urteil in Slg. 1996, I-3089, 3124 entschieden, dass es einem Mitgliedsstaat verwehrt ist, auf einen Angehörigen eines Mitgliedsstaates, der eine selbständige Erwerbstätigkeit im Gebiete dieses Staates und daneben eine andere selbständige Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat, in dem er auch wohnt, ausübt, einen Einkommensteuersatz anzuwenden, der höher ist, als derjenige, der für Gebietsansässige gilt, die die gleiche Tätigkeit ausüben, wenn kein objektiver Unterschied in der Situation dieses Steuerpflichtigen und derjenigen der gebietsansässigen Steuerpflichtigen und der diesen gleichgestellten Personen besteht, der geeignet wäre, eine solche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Wegen der Gründe im Einzelnen wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das Urteil in Slg. 1996, I-3089, 3124 Bezug genommen. Das FG hat diese Entscheidung des EuGH zum Anlass genommen, den Mindeststeuersatz des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1997 und die darin liegende Versagung des sog. Grundfreibetrages nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1997 für gemeinschaftsrechtswidrig zu halten.

bb) Ob diese vom FG gezogene Konsequenz zutreffend ist (im Ergebnis wie das FG z.B. Fehrenbacher, Betriebs-Berater 2001, 1774; Herlinghaus, EFG 2002, 918; anders z.B. Schnitger, Finanz-Rundschau 2003, 745, 752; Lüdicke, Internationales Steuerrecht —IStR— 2001, 286, jeweils m.w.N.), mag dahinstehen. Unterstellt, sie wäre zu bejahen, so wäre sie jedenfalls durch die zwischenzeitliche Rechtsentwicklung überholt (s. Grams/ Molenaar, IStR 2003, 461; vgl. auch Schnitger, ebenda): Wie der EuGH nunmehr durch Urteil vom Rs. C-234/01 „Gerritse„ (BStBl II 2003, 859) entschieden hat, stehen Artikel des EG-Vertrages einer nationalen Vorschrift nicht entgegen, wonach in der Regel die Einkünfte Gebietsfremder einer definitiven Besteuerung zu einem einheitlichen Steuersatz von 25 v.H. durch Steuerabzug unterliegen, während die Einkünfte Gebietsansässiger nach einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag besteuert werden, sofern der Steuersatz von 25 v.H. nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den betroffenen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die Nettoeinkünfte zuzüglich eines Betrages in Höhe des Grundfreibetrages ergeben würde. Konkret ging es in dieser Entscheidung des EuGH um einen niederländischen Künstler, der in den Niederlanden wohnte und in Deutschland bei einem einmaligen Auftritt selbständig tätig war und der hier dem einheitlichen Abgeltungssteuersatz in § 50a Abs. 4 EStG 1996 unterworfen wurde.

cc) Im Unterschied zu diesem Urteil, auf dessen Begründung im Einzelnen ebenfalls Bezug genommen wird, geht es im Streitfall zwar nicht um einen beschränkt Steuerpflichtigen, der dem abgeltenden Steuerabzug unterfällt, sondern um einen solchen, der mit seinen selbständigen Einkünften im Inland veranlagt wird. In dem einen wie in dem anderen Fall wirkt der Steuersatz von 25 v.H. jedoch definitiv. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Steuersätze einerseits als einheitlicher Steuersatz und andererseits als Mindeststeuersatz ändert daran nichts. Dieser Unterschied rechtfertigt es nicht, dem beschränkt Steuerpflichtigen, der dem abgeltenden Steuerabzug unterfällt, den Grundfreibetrag zu versagen, diesen aber dem veranlagten beschränkt Steuerpflichtigen zu gewähren. Wirft die Ungleichbehandlung in dem einen Fall keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken auf, gibt es keinen tragfähigen Grund, sie in dem anderen Fall für gemeinschaftsrechtswidrig zu halten. Die zugrunde liegenden Erwägungen für die Versagung des Freibetrages —der diesem innewohnende Sozialzweck, welcher es rechtfertigt, den Freibetrag in der Regel Steuerinländern vorzubehalten und deren Existenzminimum zu sichern (vgl. ausdrücklich EuGH-Urteil in BStBl II 2003, 859 Rz. 48)— erzwingen im Gegenteil eine gleiche steuerliche Behandlung. Auf die bislang diskutierte Frage, ob der Grundfreibetrag rechtstechnisch gesehen bloß ein unselbständiger Teil des in der sog. Grundtabelle des in § 32a Abs. 1 EStG 1997 bestimmten Steuersatzes ist, kommt es insoweit nicht an.

dd) Diese Rechtsfolge der Nichtgewährung des Grundfreibetrages ergibt sich unmittelbar aus dem EuGH-Urteil in BStBl II 2003, 859. Sie ist damit geklärt, so dass es einer abermaligen Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG nicht bedarf (vgl.  283/81 „CILFIT„, EuGHE 1982, 3415).

b) Soweit die Klägerin überdies ihre Ungleichbehandlung im Vergleich zu beschränkt Steuerpflichtigen beanstandet, die nichtselbständig tätig sind, ist dies ebenfalls nicht begründet. Gleichheitsrechtliche Bedenken (Art. 3 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) bestehen nicht.

Denn beide Personengruppen sind nicht miteinander vergleichbar. Im Inland beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer verfügen regelmäßig allein über Lohneinkünfte im Tätigkeitsstaat, so dass die Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse im Wohnsitzstaat mangels ausreichender steuerpflichtiger Einkünfte dort oftmals scheitert. Gerade in Anbetracht der sozialen Zielsetzung des Grundfreibetrages ist es deshalb gerechtfertigt, ihnen den Grundfreibetrag einzuräumen. Bei Beziehern anderer Einkunftsarten, auch bei selbständig Tätigen, besteht ein vergleichbares soziales Erfordernis jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht. Solche Personen üben ihre Tätigkeiten im Inland zumeist neben einer Haupttätigkeit im Ansässigkeitsstaat aus und erzielen dort einen Großteil, wenn nicht den Hauptteil ihrer Einkünfte. Die im Streitfall zu beurteilenden Verhältnisse der Klägerin belegen dies nachhaltig. Ihnen bleibt überdies die Möglichkeit, bei Erreichen der in § 1 Abs. 3 EStG 1997 in der vorgenannten Fassung bestimmten Einkunftsgrenzen die steuerliche Behandlung als fingiert unbeschränkt Steuerpflichtige zu beantragen. Es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht deswegen hinzunehmen, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des ihm eingeräumten Gestaltungsfreiraums die insoweit unterschiedlichen Sachverhalte unterschiedlichen steuerlichen Bedingungen unterwirft.

Es ist folglich nicht erforderlich, eine Gleichbehandlung dadurch sicherzustellen, dass in dem einen wie in dem anderen Fall der Grundfreibetrag entgegen den insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelungen mittels verfassungskonformer Regelungsanalogie gewährt wird (anders insoweit jedoch , IStR 2003, 740, im Anschluss an das EuGH-Urteil in BStBl II 2003, 859 für den durch Steuerabzug besteuerten beschränkt Steuerpflichtigen). Ebenso wenig bedarf es einer Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 766 Nr. 6
WAAAB-20238