Umfang des Rechts auf Gehör
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzgericht (FG) der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) das rechtliche Gehör versagt hat.
Die Klägerin ist eine GmbH, die in den Jahren bis 1999 jeweils Verluste erzielte. Zum wurde für sie ein vortragsfähiger Verlust in Höhe von 31 556 DM festgestellt. Nach dem Körperschaftsteuerbescheid 1999 vom betrug ihr Einkommen vor Verlustabzug im Jahr 1999 11 770 DM; die Körperschaftsteuer wurde auf 0 DM festgesetzt. Zugleich setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) gegen die Klägerin für das Streitjahr (2001) Körperschaftsteuer-
Vorauszahlungen fest, wobei er von einem zu versteuernden Einkommen von 11 770 DM ausging.
Die Klägerin focht den Vorauszahlungsbescheid nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage an. Während des Klageverfahrens wurden im Zusammenhang mit der Veranlagung der Klägerin für das Jahr 2000 die Vorauszahlungen für das Streitjahr auf 0 DM herabgesetzt. Daraufhin stellte die Klägerin ihre Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um. Das FG hielt diese für zulässig, aber für unbegründet. Es führte im Wesentlichen aus, das FA sei zu einer Schätzung der voraussichtlichen Besteuerungsgrundlagen berechtigt gewesen, nachdem die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Auf der Basis dieser Schätzung habe das FA eine „vorgezogene Anpassung„ der Vorauszahlungen vorgenommen. Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Das FG hat das Recht der Klägerin auf Gehör nicht verletzt.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil u.a. dann zuzulassen, wenn das Urteil auf einem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Zu den Verfahrensmängeln i.S. dieser Vorschrift zählt u.a. die Verletzung des Rechts auf Gehör.
2. Dieses Recht beinhaltet zwar u.a., dass das FG sein Urteil sowohl in tatsächlicher (§ 96 Abs. 2 FGO) als auch in rechtlicher Hinsicht nur auf Gesichtspunkte und Erwägungen stützen darf, mit deren Heranziehung die Beteiligten gerechnet haben oder zumindest rechnen mussten (Senatsurteil vom I R 45/01, BFH/NV 2003, 173; Senatsbeschluss vom I B 22/02, BFH/NV 2003, 925, m.w.N.). Andererseits ist das FG jedoch nicht verpflichtet, die Rechtslage mit den Beteiligten zu erörtern oder ihnen mitzuteilen, welche Umstände und Überlegungen seine Entscheidung voraussichtlich tragen werden. Das gilt vor allem im Verhältnis zu einem Beteiligten, der —wie im Streitfall die Klägerin— im gerichtlichen Verfahren von einem rechtskundigen Berater vertreten wird. Jedenfalls in einem solchen Fall wird das Recht des Beteiligten auf Gehör nur dann verletzt, wenn das FG seine Entscheidung auf eine Erwägung stützt, die weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen war und zu deren Berücksichtigung der Beteiligte nach dem bisherigen Verfahrensverlauf keinen Anlass hatte (Senatsbeschluss vom I B 49/02, BFH/NV 2003, 1058, m.w.N.). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt hingegen nicht vor, wenn das FG im Urteil einen rechtlichen Gesichtspunkt als maßgebend herausstellt, der im bisherigen Verfahren angesprochen wurde; das gilt unabhängig davon, ob dies im gerichtlichen Verfahren oder im voraufgegangenen Verwaltungsverfahren geschehen ist (Senatsbeschluss in BFH/NV 2003, 1058, m.w.N.).
3. Nach diesen Kriterien ist im Streitfall das Recht der Klägerin auf Gehör nicht verletzt:
a) Das gilt zunächst insoweit, als das FG davon ausgegangen ist, dass nach dem vom FA eingesetzten Rechenprogramm der Finanzverwaltung bei der Festsetzung von Vorauszahlungen ein vorhandener verbleibender Verlustabzug jedenfalls bis zu einer bestimmten Höhe nicht berücksichtigt wird. Das FG hat hierauf nämlich zwar seine der Klägerin günstige Erwägung gestützt, dass das FA bei zukünftigen Veranlagungen in derselben Weise vorgehen könnte und dass die Klägerin deshalb ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids habe. Bei der Beurteilung der materiellen Rechtslage hat es jedoch dem genannten Umstand keine Bedeutung beigemessen, sondern allein darauf abgestellt, dass das FA in der Einspruchsentscheidung die Nichtberücksichtigung des Verlustvortrags bewusst bestätigt habe. Daher kann seine Annahme, diese Handhabung habe ursprünglich auf der Programmierung des Rechners beruht, sich nicht zu Ungunsten der Klägerin ausgewirkt haben.
b) In der Sache ist das FG davon ausgegangen, dass das FA nach § 37 Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Anpassung der Vorauszahlungen berechtigt gewesen sei. Die Heranziehung dieser Vorschrift konnte für die Klägerin nicht überraschend kommen, nachdem das FA sich sowohl in der Einspruchsentscheidung als auch im voraufgegangenen Einspruchsverfahren (Schreiben vom ) auf sie berufen und diese Äußerungen zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht hatte. Damit war § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG als mögliche Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide ausdrücklich angesprochen, so dass das FG auch ohne weiteren Hinweis hierauf abstellen durfte. Dass die Klägerin ihrerseits auf die Möglichkeit einer Maßnahme nach § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG nicht eingegangen war, ist insoweit unbeachtlich.
c) Dasselbe gilt insoweit, als das FG das FA für berechtigt erachtet hat, die Grundlagen für die Festsetzung der Vorauszahlungen zu schätzen. Die Klägerin musste mit einer solchen Schätzung rechnen, nachdem sowohl das FA als auch das FG sie zur Vorlage einer betriebswirtschaftlichen Auswertung aufgefordert hatten und sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen war. Dass sie selbst die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht für gegeben hielt, ändert daran nichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 799 Nr. 6
IAAAB-20234