Wahrung der Festsetzungsfrist bei rechtzeitiger Absendung eines Steuerbescheids mit einer unzutreffenden, aber durch die Post korrigierten Postleitzahl
Gesetze: AO § 169 Abs. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Miterbin nach ihrem 1991 verstorbenen Vater. Auf Aufforderung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—) gab sie 1992 eine Erbschaftsteuererklärung ab, die letztmalig mit Bescheid vom zu einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung führte. Als sich im Dezember 1996 herausstellte, dass sich der Wert einer Beteiligung des Erblassers an einer Kapitalgesellschaft nicht bis Ende 1996 —und damit nicht bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist— werde ermitteln lassen, gab das FA am mit Postzustellungsurkunde einen nochmaligen Änderungsbescheid zur Post, mit dem es bei unveränderten Besteuerungsgrundlagen die Steuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) hinsichtlich des Werts der genannten Beteiligung für vorläufig erklärte. Der Bescheid war an die Klägerin unter der Anschrift „Z-Straße 3, X1145 A-Stadt„ gerichtet, obwohl die Postleitzahl X0935 hätte lauten müssen. Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist er am nach entsprechender Benachrichtigung der Klägerin bei der für sie zuständigen Postfiliale niedergelegt worden. Der Umschlag trug einen Stempel, wonach die unrichtige Postleitzahl die Sendung verzögert habe. Außerdem war auf dem Anschriftenfenster die falsche Postleitzahl durchgestrichen und die richtige Zahl darunter gesetzt worden.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage, mit der die Klägerin geltend gemacht hatte, die Änderung sei wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig gewesen, statt. Das FG war mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 666 veröffentlichten Urteil der Ansicht, die rechtzeitige Absendung des Änderungsbescheides noch im Jahr 1996 habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung Ende 1996 nicht gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 hindern können, weil der Bescheid wegen der fehlerhaften Postleitzahl nicht zutreffend adressiert gewesen sei. Ohne die Mitwirkung der Post, die die richtige Postleitzahl ermittelt habe, hätte der Bescheid der Klägerin nicht zugehen können.
Mit der Revision rügt das FA eine fehlerhafte Anwendung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977. Die Angabe einer falschen Postleitzahl sei unbeachtlich. Ihre Berichtigung sei für die Post eine Routineangelegenheit gewesen, die nichts daran ändere, dass der Klägerin der Bescheid auf dem vorgesehenen Weg zugegangen sei.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie führt dazu ergänzend aus, der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom II R 70/94 (BFHE 181, 274, BStBl II 1997, 11) entschieden, die Festsetzungsfrist sei dann nicht gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 gewahrt, wenn der rechtzeitig abgesandte Bescheid dem Adressaten nach Fristablauf auf einem nach dem Inhalt der Steuerakten nicht vorgesehenen Weg bekannt werde. Zu einem solchen Ausschluss der Fristwahrung sei es auch im Streitfall gekommen. Die Änderung der Postleitzahl durch die Post stelle eine rechtserhebliche Abweichung von dem seitens des FA vorgesehenen Weg der Bekanntgabe dar.
II. Die Revision ist begründet. Mit der Absendung des im Januar des Folgejahres tatsächlich zugegangenen Änderungsbescheides vom ist die Festsetzungsfrist gewahrt worden. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat zutreffend angenommen, dass die gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des Jahres 1992 angelaufene und nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 vierjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1996 endete. Entgegen seiner Annahme ist die Frist jedoch durch die am erfolgte Aufgabe des angefochtenen Änderungsbescheides zur Post gewahrt worden, da dieser Bescheid der Klägerin tatsächlich zugegangen ist.
1. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 ist die Festsetzungsfrist gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor ihrem Ablauf die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde verlassen hat. Da unter Steuerbescheid gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 der nach § 122 Abs. 1 des Gesetzes bekannt gegebene Verwaltungsakt zu verstehen ist, muss der rechtzeitig abgesandte Bescheid dem Steuerpflichtigen auch tatsächlich zugehen (vgl. dazu Beschluss des Großen Senats des , BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548). Ist dieses weitere Erfordernis erfüllt, ist unerheblich, dass der Bescheid mit einer unzutreffenden, aber durch die Post korrigierten Postleitzahl versehen war.
Zu Unrecht beruft sich das FG für seine gegenteilige Auffassung auf eine Voraussetzung für die Fristwahrung, die mit der durch den genannten Beschluss des Großen Senats in BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548 aufgegebenen Rechtsprechung aufgestellt worden war. Nach dieser Rechtsprechung (vgl. , BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518; vom IV R 64/96, BFHE 186, 94, BStBl II 1998, 556; vom V R 24/97, BFH/NV 1999, 281, sowie vom III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211) sollte die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 unabhängig davon gewahrt sein, ob der rechtzeitig den Bereich der zuständigen Behörde verlassende Bescheid dem Empfänger zugegangen ist oder nicht. Allerdings sollte für den Fall, dass der Bescheid dem Empfänger nicht zugegangen ist, erforderlich sein, dass die zuständige Finanzbehörde bei Abgang des Bescheides alle Voraussetzungen erfüllt hatte, die für den Erlass eines wirksamen Bescheides vorgeschrieben sind, und dass —im Streitfall ohne Bedeutung— die Behörde einen zweiten gleichlautenden Bescheid erlässt, der dem Empfänger auch tatsächlich bekannt gegeben wird. Dieses Erfordernis, wonach die Behörde alle Voraussetzungen erfüllt haben musste, die für den Erlass eines wirksamen Bescheides vorgeschrieben sind, diente erkennbar dazu, die Zubilligung einer fristwahrenden Wirkung trotz fehlender Bekanntgabe durch erhöhte Anforderungen an den rechtzeitig abgesandten, aber nicht zugegangenen Bescheid einzugrenzen. Die diesem Zweck dienenden Anforderungen können nicht auf Bescheide erstreckt werden, die dem Empfänger tatsächlich bekannt gegeben worden sind. Soweit der Entscheidung des Senats in BFHE 181, 274, BStBl II 1997, 11 etwas anderes zu entnehmen ist, wird daran nicht mehr festgehalten. Derartige Bescheide werden vielmehr auch dann gemäß § 124 Abs. 1 AO 1977 wirksam, wenn die Adresse fehlerhaft war und dies nicht zur Folge hatte, dass aus der Sicht des Empfängers ggf. nach Kenntnisnahme auch vom Inhalt des Bescheides eine Verwechslungsmöglichkeit mit anderen Personen bestand (vgl. Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl. 2000, § 122 Anm. 6 a.E.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 169 AO 1977 Anm. 28). Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif. Das FA hat mit dem Änderungsbescheid vom die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 gewahrt. Der Bescheid hat noch vor Ablauf der Frist das FA verlassen und ist der Klägerin auch tatsächlich zugegangen. Er ist damit wirksam bekannt gegeben worden (§§ 122 Abs. 1, 124 Abs. 1 AO 1977). In § 9 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) in der 1996/1997 geltenden Fassung (nunmehr § 9 VwZG) ist unter der Überschrift „Heilung von Zustellungsmängeln„ nämlich ausdrücklich geregelt, dass ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Dies muss dann erst recht bei Verletzung solcher Zustellungsregelungen gelten, die nicht zu den zwingenden Zustellungsvorschriften gehören und nur das Verhältnis des Absenders zum Zusteller betreffen, ohne schutzwürdigen Interessen des Empfangsberechtigten zu dienen. Der tatsächlich zugegangene Bescheid leidet im Streitfall auch nicht an einem Mangel der Art, wie er in den BFH-Urteilen vom II 65/63 (BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598, 600) sowie vom IX R 57/90 (BFH/NV 1992, 51) angesprochen ist und bei dem eine Heilung nach § 9 Abs. 1 VwZG a.F. ausgeschlossen ist. Zu diesen inhaltlichen Mängeln eines Steuerbescheides gehört die Angabe einer fehlerhaften Postleitzahl nicht. Eine der in § 9 Abs. 2 VwZG a.F. noch vorgesehenen Ausnahmen von der Heilung nach Abs. 1 der Vorschrift liegt im Streitfall, in dem mit Zugang des angefochtenen Bescheides lediglich eine Einspruchsfrist in Lauf gesetzt und Einspruch eingelegt wurde, nicht vor (vgl. dazu Beschluss des Großen Senats des , BFHE 121, 9, BStBl II 1977, 247).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 761 Nr. 6
TAAAB-17476