§ 26 AO; Örtliche Zuständigkeit in Liquidations- und Insolvenzfällen
1. Personengesellschaften und juristische Personen
Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder den Beginn einer Liquidation ergeben sich grundsätzlich im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit keine Besonderheiten. Ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit kann jedoch dann eintreten, wenn der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Geschäftsführung im Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts ausübt.
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie durch die Bestellung eines vorläufigen „starken„ Verwalters gem. § 22 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den vom zuständigen Insolvenzgericht bestellten Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).
Bei einer (vorläufigen) Liquidation obliegt es den mit der Abwicklung betrauten Liquidatoren, die laufenden Geschäfte zu beenden, die Verpflichtungen der aufgelösten Gesellschaft zu erfüllen, die Forderungen derselben einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geld umzusetzen; sie haben die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (§ 70 Satz 1 GmbHG, §§ 268, 269 AktG, §§ 149, 161 Abs. 2 HGB).
In beiden Fällen werden die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die die gewöhnliche Tagespolitik einer Gesellschaft mit sich bringen, dauernd durch den Insolvenzverwalter bzw. Liquidator ausgeübt, so dass diese die Geschäftsleitung i. S. des § 10 AO innehaben. Führt der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Tagesgeschäfte der Gesellschaft an einem Ort – z. B. seinem eigenen Büro –, der nicht im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts liegt, welches bisher für die Besteuerung der Gesellschaft zuständig war, tritt ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit nach § 26 Satz 1 AO ein.
Es ist bei der Liquidation oder Insolvenz von Gesellschaften jedoch nicht zweckmäßig, kurz vor dem Erlöschen der Steuerpflicht noch ein anderes Finanzamt mit der Bearbeitung eines ggf. komplizierten Steuerfalls zu befassen. Zudem kann die Aktenüberweisung, deren Abwicklung sich nach der allgemeinen Erfahrung häufig über einen längeren Zeitraum hinzieht, zum Versäumen wichtiger Fristen oder Termine (z. B. § 28 Abs. 1, § 194 Abs. 1 InsO) und damit zu Steuerausfällen führen.
In diesen Fällen hat daher regelmäßig das bisher für die Besteuerung zuständige Finanzamt das Verwaltungsverfahren fortzuführen und zu beenden. Die Zuständigkeit ist in derartigen Fällen auf § 26 Satz 2 AO zu stützen.
In Fällen der Sanierung in sonstiger Weise (§ 156 Abs. 1 Satz 2 InsO) oder mittels Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO), die mit einem Zuständigkeitswechsel einhergehen, sollte allerdings geprüft werden, ob die Anwendung des § 26 Satz 2 AO und damit der Verbleib beim bisherigen Finanzamt tatsächlich zweckmäßig und vereinfachend i. S. der Vorschrift ist.
In den Fällen der vom Insolvenzgericht angeordneten Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) ist der Schuldner berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die Tätigkeit des Sachwalters beschränkt sich in diesen Fällen grundsätzlich auf eine Überwachung des Schuldners. Da in diesen Fällen der Schuldner die Tagesgeschäfte der Gesellschaft führt, ergeben sich hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit keine Besonderheiten.
2. „Formlose„ Beendigung der werbenden Tätigkeit einer GmbH
Es kommen immer wieder Fälle vor, in denen eine GmbH ohne Durchführung eines Insolvenzverfahrens bzw. ohne förmliche Liquidation (§§ 60 ff. GmbHG) ihre aktive Beteiligung am Wirtschaftsverkehr einstellt. Der zur Vertretung der GmbH befugte Geschäftsführer ist vielfach nicht mehr auffindbar. Die nach § 137 AO vorgesehene Anzeige wird regelmäßig nicht erstattet.
Da sich in diesen Fällen der gem. § 20 Abs. 1 AO für die örtliche Zuständigkeit maßgebliche Ort der Geschäftsleitung regelmäßig nicht mehr feststellen lässt, kommt es zu einem Zuständigkeitswechsel, wenn sich der nunmehr gem. § 20 Abs. 2 AO maßgebliche Sitz der GmbH nicht im Bezirk des gem. § 20 Abs. 1 AO zuständig gewesenen Finanzamts befindet.
Auch in diesen Fällen sollte gem. § 26 Satz 2 AO regelmäßig das bisher für die Besteuerung zuständige Finanzamt das Verwaltungsverfahren fortführen und beenden.
3. Firmenaufkäufer (sog. Firmenbestatter)
Sog. „Firmenbestatter„ kaufen insolvente oder insolvenzgefährdete Unternehmen (zumeist GmbH’s) auf. Gegen die Entrichtung einer „Übernahmegebühr„ oder eines „Entsorgungsentgelts„ sagen sie den ehemaligen Geschäftsführern die volle Schuldenübernahme zu. Im Anschluss an die Übernahme sämtlicher Geschäftsanteile beantragen sie regelmäßig eine Umfirmierung sowie die Sitzverlegung des Unternehmens, i. d. R. ins Ausland.
Auch Firmenaufkäufe, die erkennbar nur zum Zweck der Liquidation erfolgen, sollen entsprechend der Grundsätze unter Nr. 1 nicht zu einem Zuständigkeitswechsel führen.
Das Gleiche gilt in Fällen, in denen eine zentrale Zuständigkeit nach der UStZustVO [1] in Betracht käme.
Über bekannt gewordene „Firmenbestatter„ ist der Oberfinanzdirektion unter Angabe von Namen, Anschrift (soweit bekannt) und Gewerbekennzahl/Gewerbezweig umgehend zu berichten.
OFD Hannover v. - S 0121 - 7 - StH 461S 0121 - 4 - StO 321
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
CAAAB-15960