OFD Frankfurt am Main - FG 2020 A - 1 - St II 4.01

§ 46 FGO; Untätigkeitsklage

1. Gegenstand der Klage

Die Klage ist u.a. zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (sog. Untätigkeitsklage).

Verfahrensgegenstand ist der durch Einspruch angefochtene Verwaltungsakt. Die Klage ist nicht darauf gerichtet, eine Untätigkeit der Behörde zu beseitigen, also z.B. eine Einspruchsentscheidung zu erzwingen. Sie dient vielmehr dazu, dem Rechtsbehelfsführer eine gerichtliche Entscheidung in der Sache selbst zu verschaffen ( BStBl 1976 II S. 116, 117). Mit der Klage ist deshalb die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen oder der Erlass des abgelehnten Verwaltungsakts zu beantragen (Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage). Für eine Klage, die nur darauf abzielt das FA zum Erlass einer Einspruchsentscheidung zu verpflichten, besteht kein Rechtsschutsbedürfnis ( BStBl 1974 II S. 116; BFH/NV 1987 S. 271).

Allerdings kann eine auf §§ 46, 40 FGO gestützte Klage mit dem Antrag, das FA zu verpflichten, über den Einspruch zu entscheiden, in eine Anfechtungsklage umgedeutet werden ( BStBl 1975 II S. 38; EFG 1975 S. 121).

Auf Feststellungsklagen (§ 41 FGO) ist § 46 FGO nicht anzuwenden, da Feststellungsklagen eines Vorverfahrens nicht bedürfen ( BStBl 1985 II S. 580).

Eine Untätigkeitsklage, die zu einem Zeitpunkt erhoben wird, zu dem wegen eines vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Musterverfahrens weder die Rechtsbehelfsbehörde noch das Finanzgericht eine Entscheidung in der Sache treffen können, ist unzulässig (BFH-Beschlüsse vom , BStBl 1992 II S. 673, und vom , BFH/NV 1996 S. 412 m.w.N.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 46 FGO im Einzelnen vorliegen oder nicht. Die Klage ist deshalb selbst dann unzulässig, wenn die Finanzbehörde dem Kläger den Grund für die Untätigkeit nicht mitgeteilt hatte. Eine rechtsmissbräuchlich erhobene Untätigkeitsklage kann nicht in die Zulässigkeit hineinwachsen.

2. Vorliegen eines zureichenden Grundes

Ein zureichender Grund liegt vor, wenn infolge dieses Grundes bei objektiver Betrachtungsweise eine Entscheidung nicht zu erwarten war. Hierbei sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

Hat z.B. das FA die erforderlichen Ermittlungen trotz zügiger Bearbeitung nicht abschließen können oder der Rechtsbehelfsführer die zur Aufklärung des Sachverhalts angeforderten Nachweise und Unterlagen nicht beigebracht oder sich mit einer Aussetzung oder dem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt ( BStBl 1971 II S. 493), so ist ein zureichender Grund gegeben. Ein zureichender Grund für eine Untätigkeit des FA liegt auch vor, wenn das FA die Durchführung einer Veranlagung vorübergehend ablehnt, da es noch festzustellen hat, welchem Ehegatten bei getrennter Veranlagung die Einkünfte zuzurechnen sind ( BFH/NV 2001 S. 1416). Auch die Mitteilung des FA, dass die Entscheidung von dem Ausgang eines anderen Verfahrens abhängig und gemäß § 363 Abs. 1 AO ausgesetzt sei (BFH-Beschlüsse vom , BStBl 1972 II S. 20 und vom , BFH/NV 2003 S. 197) oder dass es das Ergebnis der vom Rechtsbehelfsführer angeregten Außenprüfung abwarten wolle ( BStBl 1968 II S. 471), ist als zureichender Grund anzusehen. Dagegen kann Arbeitsüberlastung (vgl. EFG 2000 S. 1021, 1022) oder Aussetzung der Vollziehung für sich allein nicht als entschuldbarer Hinderungsgrund gelten.

3. Mitteilung eines zureichenden Grundes

Für die Mitteilung des zureichenden Grundes an den Rechtsbehelfsführer ist eine besondere Form nicht vorgeschrieben. Es reicht aus, wenn das FA in klarer Weise bekannt gibt, aus welchem Grund es über den Rechtsbehelf noch nicht entscheidet. Da jedoch etwaige Unklarheiten in der Erklärung einer Behörde zu ihren Lasten gehen, ist dem Rechtsbehelfsführer der zureichende Grund stets schriftlich mitzuteilen.

Kann über den vorliegenden Rechtsbehelf wegen laufender Ermittlungen oder aus anderen Gründen nicht alsbald entschieden werden, so ist dem Rechtsbehelfsführer rechtzeitig vor Beginn der Frist für die Erhebung der Klage i.S.d. § 46 Abs. 1 FGO unaufgefordert Zwischennachricht zu erteilen, aus der ersichtlich ist, weshalb eine Sachentscheidung noch nicht getroffen worden und wann mit ihr zu rechnen ist. Wenn sich die Entscheidung über den mitgeteilten Zeitpunkt hinaus verzögert, muss erneut Zwischennachricht gegeben werden.

4. Angemessene Frist für die Entscheidung über den Rechtsbehelf

Welche Frist für die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf angemessen ist, hängt von den Verhältnissen des Einzelfalles ab. Die Bedeutung sowie die tatsächliche und rechtliche Schwierigkeit der Streitsache, aber auch die Arbeitslage der für die Entscheidung zuständigen Dienststelle sind zu berücksichtigen. Die Klage kann jedoch nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände in der Person des Rechtsbehelfsführers oder in der Sache eine kürzere Frist geboten ist. Solche Umstände können z.B. vorliegen, wenn der Rechtsbehelfsführer auswandern will oder Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn ergriffen werden oder das FA die Rechtsbehelfsbearbeitung innerhalb einer bestimmten Frist zugesagt hatte ( BStBl 1968 II S. 471).

Hat der Rechtsbehelfsführer die Klage vor Ablauf der Klagefrist von sechs Monaten erhoben, ohne dass besondere Umstände für eine kürzere Frist sprechen, so ist die Klage gleichwohl zulässig, wenn die Sechsmonatsfrist bis zur gerichtlichen Entscheidung verstrichen ist ( BStBl 1982 II S. 150, 152 und vom , BStBl 1991 II S. 363 m.w.N.).

Entfällt der mitgeteilte zureichende Grund, so endet die angemessene Frist nicht gleichzeitig, sondern grundsätzlich erst nach Ablauf eines Monats seit Wegfall des Hinderungsgrundes.

5. Entscheidung der Rechtsbehelfsbehörde

Durch die Erhebung der Klage wird die Befugnis des FA, das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen und über den vorliegenden Rechtsbehelf zu entscheiden, nicht berührt. Etwaige Formmängel des angefochtenen Verwaltungsakts i.S. von § 126 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AO können deshalb auch noch nach Erhebung der Untätigkeitsklage gemäß § 126 Abs. 2 AO durch eine Einspruchsentscheidung geheilt werden ( BStBl 2002 II S. 120, und vom , BFH/NV 2002 S. 1419). Erlässt das FA vor Ablauf der Sechsmonatsfrist oder innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist einen Abhilfebescheid, der dem Antrag des Rechtsbehelfsführers voll entspricht, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt anzusehen. Die Kostenfolge zu Lasten des FA ergibt sich aus § 138 Abs. 2 FGO. Soweit allerdings die von dem Rechtsbehelfsführer erhobene Untätigkeitsklage unzulässig war, da ein zureichender Grund für die Untätigkeit des FA vorlag, findet § 138 Abs. 2 FGO keine Anwendung. Die Kostenentscheidung richtet sich in solchen Fällen nach § 138 Abs. 1 FGO ( BFH/NV 2003 S. 197).

Gibt das FA dem Begehren des Rechtsbehelfsführers nicht oder nicht in vollem Umfang statt, so wird das gerichtliche Verfahren fortgesetzt, ohne dass eine erneute Klage erforderlich oder zulässig wäre (BFH-Beschlüsse vom , BStBl 1989 II S. 107 und vom , BFH/NV 2001 S. 800) und ohne dass es eines Antrags des Rechtsbehelfsführers bedarf. Gegenstand des Verfahrens ist nunmehr der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Form, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Eine Rechtsbehelfsbelehrung braucht daher der Einspruchsentscheidung nicht mehr beigefügt zu werden ( BStBl 1976 II S. 428).

Die gleichen Grundsätze gelten, wenn das FA erst nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist, aber vor Ergehen eines Urteils über den außergerichtlichen Rechtsbehelf entscheidet.

OFD Frankfurt am Main v. - FG 2020 A - 1 - St II 4.01

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Fundstelle(n):
RAAAB-15715