§ 20 EStG; Einkommensteuerrechtliche Behandlung diverser Kapitalanlageformen im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 2 EStG
Qualifikation der Kapitalanlage
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art steuerpflichtig, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.
Mit dem Tatbestandsmerkmal „oder gewährt worden ist„ sollen die Fälle erfasst werden, in denen ohne eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung die Rückzahlung des überlassenen Kapitals oder die Leistung eines Entgelts aufgrund der Ausgestaltung der Kapitalanlage sicher ist ( IV B 4 – S 2252 – 116/98).
Dies bedeutet, dass zum Zeitpunkt der Emission aufgrund der Ausgestaltung der Kapitalanlage eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit zu den Fällen mit ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung gegeben sein muss. Eine rückschauende Betrachtung, ob eine sichere Kapitalrückzahlung bzw. ein sicherer Kapitalertrag vorliegt, ist nicht möglich.
Es ergeben sich drei Möglichkeiten, die zu einer Steuerpflicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen können:
Sowohl die Rückzahlung des Kapitals als auch der Kapitalertrag ist gesichert (Erträge aus festverzinslichen – mit gleichmäßiger oder ungleichmäßiger Verzinsung ausgestatteten – Kapitalforderungen, Auf und Abzinsungspapiere).
Die Rückzahlung des Kapitals ist gesichert, ein Kapitalertrag ist jedoch unsicher.
Ein Kapitalertrag ist gesichert, die Rückzahlung des Kapitals ist jedoch unsicher.
Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG setzt für die Annahme von Einkünften aus Kapitalvermögen nicht die vollständige Rückzahlung des überlassenen Kapitalvermögens voraus. Die Erträge gehören nach dieser Vorschrift auch dann zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn nur die teilweise Rückzahlung des Kapitalvermögens zugesagt worden ist.
Sofern keine der drei vorgenannten Tatbestandsalternativen zu bejahen ist, ist eine Steuerpflicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu verneinen.
Es ist jedoch zu prüfen, ob ggf. eine Steuerpflicht nach anderen Vorschriften – insbesondere gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und darüber hinaus § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG – gegeben ist.
Da die gesetzliche Formulierung „unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage„ auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abstellt, kommt dem Erfordernis der sicheren Kapitalrückzahlung und / oder des sicheren Kapitalertrags eine entscheidende Bedeutung zu. Nicht die Bezeichnung oder zivilrechtliche Ausgestaltung der Kapitalanlage, sondern allein der wirtschaftliche Inhalt der Vereinbarung ist maßgebend für die einkommensteuerrechtliche Behandlung, so dass die Bezeichnungen einiger Finanzprodukte deren einkommensteuerrechtlicher Behandlung widersprechen können.
So fallen Optionsscheine grundsätzlich nicht unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Eine abweichende Beurteilung gilt jedoch z.B. für die klassischen „Bandbreiten-Optionsscheine„ („Range Warrants„) bzw. für die sogenannten „Capped Warrants„, da sowohl die Rückzahlung des Kapitals als auch der Kapitalertrag gesichert ist.
Dagegen ist der Ertrag von Anleihen grundsätzlich unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG einzuordnen, eine Ausnahme gilt jedoch z.B. für „Full-Index-Link-Anleihen„, bei denen sowohl der Kapitalertrag als auch die Kapitalrückzahlung von der ungewissen Entwicklung eines Index abhängen. Im Zweifel sind die Emissionsbedingungen bzw. die bei jeder Bank ausliegenden Wertpapiergattungsdaten anzufordern.
Die vorstehend dargestellten Grundsätze sind regelmäßig für den Ersterwerber bzw. Durchhalter einer Kapitalanlage einschlägig. Für die einkommensteuerrechtliche Erfassung von Kapitalerträgen, die im Wege von Zwischenveräußerungen realisiert werden, wurden in § 20 Abs. 2 Nr. 4 EStG weitergehende Tatbestände geschaffen. Diese sind auch im Falle der Einlösung der Kapitalanlagen anzuwenden.
Emissionsrendite:
Gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 EStG sind die Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 2 Nr. 4 Buchstabe a – d EStG steuerpflichtig, soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen. Der Begriff Emissionsrendite ist im Gesetz nicht definiert. Es handelt sich um die Rendite, die bei der Emission des Wertpapiers bzw. bei der Begründung der Forderung von vornherein zugesagt und bis zur Einlösung des Wertpapiers / der Forderung mit Sicherheit erzielt werden wird.
Die Einnahmen, die rechnerisch der auf die Besitzzeit des Steuerpflichtigen entfallenden Emissionsrendite entsprechen, können nach den im (BStBl 1985 I S. 77) entwickelten Grundsätzen ermittelt werden.
Die Emissionsrendite ist vom Steuerpflichtigen nachzuweisen, z.B. durch den Emissionsprospekt oder eine Bestätigung des Kreditinstituts oder Emittenten. Eine Ermittlung durch das Finanzamt erfolgt nicht.
Sofern der Steuerpflichtige – aus welchen Gründen auch immer – die Emissionsrendite nicht nachweist, erfolgt die Besteuerung unter Zugrundelegung der sog. Marktrendite. Dem Steuerpflichtigen wird somit das Recht gewährt, durch den Nachweis die Besteuerung nach der Emissionsrendite und durch das Unterlassen des Nachweises die Besteuerung nach der Marktrendite zu wählen.
Erfolgt eine Besteuerung nach der rechnerisch auf die Besitzzeit des Steuerpflichtigen entfallenden Emissionsrendite, so ist es zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung erforderlich, die bereits vom Steuerpflichtigen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu versteuernden Zinsen und die gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG zu versteuernden Stückzinsen auszuscheiden, da die Emissionsrendite sämtliche Erträge umfasst, § 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 3 EStG.
Marktrendite:
Sofern der Steuerpflichtige die Emissionsrendite nicht nachweist, erfolgt der Ansatz der Marktrendite (Differenzmethode). Hier ist als Kapitalertrag der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung der Wertpapiere und Kapitalforderungen anzusehen (§ 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 EStG). Der steuerpflichtige Kapitalertrag kann regelmäßig anhand der Abrechnungen der Kreditinstitute über den An- und Verkauf der Wertpapiere berechnet werden, die deshalb ggf. zusätzlich zur Steuerbescheinigung anzufordern sind.
Da die Marktrendite nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 EStG der Unterschied zwischen Anschaffungskosten und Verkaufspreis ist, kann der Kapitalertrag positiv oder negativ sein. Das heißt, durch den Ansatz der Marktrendite werden unter Umständen realisierte marktbedingte Kursschwankungen der betreffenden Kapitalforderung und Wechselkursschwankungen in die Besteuerung nach § 20 EStG einbezogen. Da der Nachweis der Emissionsrendite und deren besitzzeitanteilige Ermittlung sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für die Finanzverwaltung auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, wollte der Gesetzgeber mit der Marktrendite eine leichtere Form der Ertragsermittlung zulassen. Hierbei nimmt der Gesetzgeber in gewissem Umfang in Kauf, daß sich Wertveränderungen auf der Vermögensebene, verursacht durch den Kapitalmarkt (z.B. Zinsniveauänderungen), auch ertragsteuerlich niederschlagen.
Liegt ein Kursverlust hingegen eindeutig auf der Vermögensebene (z.B. Insolvenz oder Vergleich des Anleiheschuldners), darf dieser bei der Ertragsbesteuerung nicht berücksichtigt werden. In diesem Fall muss eine einschränkende Auslegung des § 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 EStG auf solche Fälle erfolgen, in denen die bei Ausgabe der Kapitalanlage zugrunde gelegten Vertragsbedingungen eingehalten werden, d.h. dass die Papiere auch tatsächlich zum Ende der Laufzeit eingelöst werden.
Die Regelung des § 20 Abs. 2 Nr. 4 S. 2 EStG verwendet zwar den Begriff der Marktrendite nicht ausdrücklich, es wird aber allgemein davon ausgegangen, dass diese Vorschrift den Ansatz der Marktrendite als der sich am (Kapital-)Markt ergebenden Rendite bestimmt („Differenz zwischen Entgelt für Erwerb und Einnahmen aus der Veräußerung„). Ertragsbeeinflussende Faktoren, die außerhalb des Kapitalmarkts wirken, dürfen daher diese Rendite nicht beeinflussen. Um einen solchen Einfluss von außerhalb des Kapitalmarkts handelt es sich jedoch bei der nach Emission einer Anleihe eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Anleiheschuldners, die dazu führt, dass der dem Anleger nach den am Kapitalmarkt geltenden Emissionsbedingungen zustehende Anspruch auf Zahlung des Einlösungsbetrag – i.d.R 100 % des Nominalwerts – nicht erfüllt wird. In einem solchen Fall besteht daher kein Wahlrecht, die Emissionsrendite oder die Marktrendite anzusetzen. Ein Ansatz der Marktrendite scheidet aus. Wenn die Forderung nicht vollständig ausgefallen ist, kommt nur noch der Ansatz einer anteiligen Emissionsrendite in Betracht. Soweit z.B. im Rahmen eines Vergleichsverfahrens nur eine Quote der Gesamtforderung zurückgezahlt wird, ist zu prüfen, ob die geleistete Rückzahlung auch auf den dem Gläubiger der Kapitalerträge geschuldeten Zinsanteil (kalkulierte „Emissionsrendite„) entfällt. Ein solcher Anteil der Rückzahlung stellt dann die anteilige Emissionsrendite dar, die nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 EStG steuerpflichtiger Kapitalertrag ist.
Bei der Ermittlung der Marktrendite sind etwaige mit dem Erwerb oder der Veräußerung im Zusammenhang stehende Nebenkosten wie z.B. Bankprovisionen und Spesen nicht mit einzubeziehen.
Lautet die Kapitalanlage nicht auf Euro, ist das Entgelt für den Erwerb und die Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung in der ausländischen Währung und damit auch der Unterschiedsbetrag zwischen beiden Größen in der ausländischen Währung zu ermitteln (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 2. Halbsatz in Verbindung mit § 52 Abs. 37b EStG). Erst der in der ausländischen Währung ermittelte Unterschiedsbetrag, d.h. die Marktrendite, wird in Euro umgerechnet. Diese Rechenweise bewirkt, dass Wechselkursschwankungen, die auf der Vermögensebene anfallen, nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst werden, sondern allenfalls – wenn das Papier nicht länger als ein Jahr gehalten wird – als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften. Ab wird bei Umrechnungen in Währungen, die nicht als Währungseinheit am Euro teilnehmen (z.B. DM ? US $) der Weg über den Euro beschritten, da offizielle Wechselkurse zwischen der DM und Drittwährungen nicht mehr festgelegt werden. Der Wert in Euro wird anschließend bis einschließlich 2001 für steuerliche Zwecke in DM umgerechnet.
Flat-Handel:
Ein Flat-Handel liegt vor, wenn festverzinsliche Wertpapiere ohne gesonderten Stückzinsausweis veräußert werden.
Bei flat gehandelten Wertpapieren sammeln sich die Erträge im Kurs an. Die Stückzinsen sind somit in der Flat-Notierung bereits enthalten und werden nicht gesondert in Rechnung gestellt.
Praktisch werden am deutschen Finanzmarkt nur „Genußscheine„ flat gehandelt, da nach den deutschen Bankusancen dem Erwerber einer verzinslichen Schuldverschreibung die Stückzinsen in aller Regel gesondert in Rechnung gestellt werden. Jedoch werden an ausländischen Börsen zum Teil auch die Stückzinsen mit im Kurs ausgewiesen. Sofern bei einzelnen Anlageformen theoretisch ein Flat-Handel denkbar ist, wird im ABC gesondert darauf hingewiesen.
OFD Frankfurt am Main v. - S 2252 A - 42 - St II 3.04
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAB-15209