Instanzenzug: Urteil vom 6 K 7121/99 K
Gründe
I. Bei den Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) handelt es sich um zwei Schwestergesellschaften, jeweils in der Rechtsform der GmbH. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist bei beiden Unternehmen X.
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von „außerordentlichem Aufwand„ in Höhe von 2 635,74 DM (Klägerin zu 1) und in Höhe von 21 000 DM (Klägerin zu 2) unter Hinweis auf einen Gelddiebstahl. Nach Darlegung der Klägerinnen handelte es sich bei dem Betrag von 2 635,74 DM um den Kassenbestand der Klägerin zu 1 und bei dem Betrag von 21 000 DM um den Teilbetrag aus dem Barverkauf eines betrieblichen Fahrzeuges der Klägerin zu 2. Beide Bargeldbeträge waren nach Darlegung der Klägerinnen in einem betrieblichen PKW der Klägerin zu 1 über ein Wochenende deponiert worden, weil es nicht mehr rechtzeitig während der Geschäftszeiten möglich gewesen sei, die Beträge zur Bank zu bringen. Lediglich ein weiterer Teilbetrag aus dem Fahrzeugverkauf in Höhe von 4 000 DM sei in die Betriebskasse der Klägerin zu 2 eingelegt worden. Der PKW sei am , einem Sonntag, gestohlen worden. In dem später sichergestellten Fahrzeug habe das Geld gefehlt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) sah die geltend gemachten Aufwandspositionen im Streitjahr 1994 als nicht abziehbar an.
Die Klagen gegen die hiernach ergangenen Steuerbescheide blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf wies sie mit inhaltlich übereinstimmenden Urteilen vom 6 K 7119/99 K, abgedruckt in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2003, 807, und 6 K 7121/99 K, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 639, als unbegründet ab.
Ihre Revisionen stützen die Klägerinnen auf Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen, die FG-Urteile aufzuheben und die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide 1994 unter Berücksichtigung der Geldverluste von 21 000 DM und 2 635,74 DM als Betriebsausgaben zu ändern.
Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
II. Die —gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen— Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG. Dieses ist nach Lage der Dinge jedenfalls im Streitjahr zu Unrecht von zu aktivierenden Ersatzansprüchen der Klägerinnen gegenüber ihrem Alleingesellschafter-Geschäftsführer ausgegangen. Die tatrichterlichen Feststellungen reichen aber nicht aus, um durchzuerkennen. Es lässt sich hiernach nicht ausschließen, dass verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) anzunehmen sind.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1991 bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1991 auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht (vgl. z.B. Senatsurteil vom I R 2/02, BFHE 200, 197). Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der Bundesfinanzhof (BFH) eine Veranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (Senatsurteil vom I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626). Die Vermögensminderung ist als Tatbestandsvoraussetzung einer vGA mit Hilfe der Steuerbilanz zu ermitteln, wie sie ohne Berücksichtigung der Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1991 unter Anwendung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 EStG) aufzustellen ist. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass jede Forderung einer Kapitalgesellschaft gegen ihren Gesellschafter solange, als sie nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung in der Steuerbilanz in voller Höhe zu aktivieren ist, nicht Gegenstand einer vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1991 sein kann. Der die Vermögensminderung ausschließende Ansatz in der Steuerbilanz hat Vorrang vor der Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1991 (Senatsurteil vom I R 6/94, BFHE 175, 412, BStBl II 1997, 89).
2. Das FG ist in den Vorentscheidungen davon ausgegangen, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer durch sein Verhalten bei der Unterbringung der in Rede stehenden Barmittel leichtsinnig verfahren sei und dass er deshalb gemäß § 43 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) schadensersatzpflichtig war. Die Ersatzansprüche seien zu aktivieren, so dass es an der für die Annahme von vGA erforderlichen bilanziellen Vermögensminderung fehle.
Diese Beurteilung des FG stützt sich nicht auf ausreichende tatsächliche Feststellungen. Dabei mag dahinstehen, ob das Verhalten des Gesellschafter-Geschäftsführers eine Haftung nach § 43 GmbHG auslösen konnte. Denn in jedem Fall erfordert der bilanzielle Ausweis eines solchen Ersatzanspruchs, dass dieser entweder rechtskräftig feststeht oder aber unter den betroffenen Beteiligten letztlich unstreitig ist. Das ist eine Folge des Grundsatzes der Vorsicht (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 des Handelsgesetzbuchs —HGB—). Solange die Ersatzforderung noch in Streit steht oder zu erwarten ist, dass sie bestritten werden wird, kommt ihre Aktivierung nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom I R 147/84, BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213). In den Streitfällen kommt hinzu, dass die Klägerinnen ersichtlich erstmals in den mündlichen Verhandlungen auf die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Gesellschafter-Geschäftsführers hingewiesen worden sind. Der in den Verhandlungen anwesende Geschäftsführer hat das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen, insbesondere der groben Fahrlässigkeit, in Abrede gestellt. Die Aktivierung entsprechender Ansprüche gegen diesen schied damit aufgrund der vorrangig zu beachtenden Bilanzierungsgrundsätze zum Ende des Streitjahres aus.
3. Das schließt indes nicht aus, dass gleichwohl Zweifel daran bestehen mögen, ob die Schilderungen der Klägerinnen über die vorübergehende Aufbewahrung des Bargeldes in dem PKW der Klägerin zu 1 und über den Diebstahl des Geldes und das Verhalten des Gesellschafter-Geschäftsführers als solche glaubhaft sind. Die Sachverhaltswürdigungen des FG könnten geeignet sein, diese Schilderungen in Frage zu stellen. Allerdings hat das FG sie unter diesem Aspekt nicht abschließend beurteilt. Sollten sich die Bedenken gegen die Schilderung der Klägerinnen bestätigen, wären ggf. vGA —mit der Rechtsfolge der Herstellung der Ausschüttungsbelastung gemäß §§ 27 ff. KStG 1991— anzunehmen. Es ist Sache des FG, dem weiter nachzugehen. Zu dessen Überzeugung muss für einen Misserfolg der Klagen feststehen, dass sich die Sachverhalte nicht so abgespielt haben wie geschildert.
4. Da die Vorentscheidungen keine entsprechenden Feststellungen enthalten, können sie keinen Bestand haben. Sie waren aufzuheben. Die Sachen waren an das FG zurückzuverweisen, weil es dessen Aufgabe ist, die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nachzuholen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 182
BFH/NV 2004 S. 182 Nr. 2
PAAAB-13831