Ersatzzustellung durch Einwurf der Mitteilung über die Niederlegung der Sendung durch den Briefschlitz; Schätzung von Beteiligungseinkünften im Folgebescheid
Gesetze: AO § 122 Abs. 5, § 162
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat (vgl. unten 1.), noch die Fortbildung des Rechts (vgl. unten 2.) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO erfordert (vgl. unten 3.). Auch ein Verfahrensmangel ist nicht gegeben (vgl. unten 4.).
1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zur Begründung seines Rechtsmittels aufgeworfenen folgenden Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung:
Ist ein mittels Postzustellungsurkunde zuzustellender Bescheid im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 122 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977), § 3 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), § 182 der Zivilprozessordnung (ZPO) —in der in den Streitjahren geltenden Fassung— durch Niederlegung bei der Post wirksam zugestellt worden, wenn die Benachrichtigung über die Niederlegung „in der für den Kläger bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise„ durch Einwurf in den Einwurfschlitz an der Haustüre eines Mehrfamilienhauses in den Hausflur abgegeben wird?
Besteht eine Schätzungsbefugnis des Wohnsitzfinanzamts nach § 162 Abs. 3 AO 1977 auch dann, wenn überhaupt kein Feststellungsbescheid zu erlassen war oder ist eine dennoch getroffene vorläufige Maßnahme in sinngemäßer Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 aufzuheben, soweit feststeht, dass die Schätzung endgültig zu Unrecht vorgenommen wurde?
Führt der Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids zur Unwirksamkeit des Einkommensteuerbescheids bzw. des Vorauszahlungsbescheids für das Verlustentstehungsjahr bzw. sind diese Bescheide trotz eingetretener Festsetzungsverjährung aufzuheben?
a) Die Rechtsfrage, wie bei einer Ersatzzustellung nach § 122 Abs. 5 AO 1977, § 3 Abs. 3 VwZG, § 182 ZPO die Benachrichtigung über die Niederlegung abgegeben werden muss, ist durch die Rechtsprechung des BFH im Wesentlichen geklärt. Danach kann die Mitteilung über die Niederlegung der Sendung durch den an der Tür des Wohnhauses des Klägers befindlichen und für die Postsendungen aller Mitbewohner des Hauses bestimmten Briefschlitz eingeworfen werden, wenn diese Form offenkundig und von den Beteiligten nicht bestritten für das vom Kläger bewohnte Haus die auch bei gewöhnlichen Briefen übliche Weise i.S. des § 182 ZPO darstellt (, BFH/NV 1991, 714). Keinesfalls kann —wie der Kläger meint— die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung davon abhängig sein, ob hinter dem Türschlitz ein —von außen ohnehin nicht sichtbares— Behältnis angebracht ist (, BFH/NV 1995, 615).
Auch im Falle des BFH-Urteils in BFH/NV 1991, 714 hatte der Postbedienstete die Mitteilung über die Niederlegung der Sendung „durch den an der Tür des Wohnhauses des Klägers befindlichen und für die Postsendungen aller Mitbewohner des Hauses bestimmten Briefschlitz eingeworfen„. Das Urteil enthält hierzu die Feststellung, dass diese Form der Mitteilung offenkundig und von den Beteiligten nicht bestritten für das vom Kläger bewohnte Haus die auch bei gewöhnlichen Briefen übliche Weise i.S. des § 182 ZPO dargestellt habe.
Im Übrigen kann der Zustellungsempfänger eine Fristversäumnis im Regelfall nicht mit dem Hinweis darauf entschuldigen, der Benachrichtigungszettel über die Zustellung durch Niederlegung sei ihm nicht zur Kenntnis gelangt, weil die übliche Handhabung der Postzustellung dergestalt geschah, dass die Post für den Betroffenen durch einen Briefschlitz in der Hauseingangstür geworfen wurde, der auch von Dritten zur Empfangnahme ihrer Post mitbenutzt wurde, und deshalb der Benachrichtigungsschein abhanden gekommen sein könnte (Bundesgerichtshof —BGH—, Beschluss vom AnwZ (B) 46/95, BRAK-Mitt. 1996, 79; vgl. auch Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 16 Sa 925/00, Monatsschrift für Deutsches Recht —MDR— 2001, 145; , OLGR Köln 2001, 298).
b) Durch die Rechtsprechung des BFH geklärt ist auch die Frage, dass durch § 155 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 AO 1977 das Erfordernis der gesonderten Feststellung von Einkünften, an denen mehrere Personen beteiligt sind (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977), nicht beseitigt, sondern nur eingeschränkt worden ist. Bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen handelt es sich in diesen Fällen um eine vorläufige Maßnahme, der ein Grundlagenbescheid nachfolgen muss. Steuerbescheide, in denen das Finanzamt (FA) Gewinnanteile an einer Personengesellschaft nicht nur vorläufig schätzt, sondern abschließend über sie entscheidet, sind rechtswidrig (, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom I R 155/84, BFH/NV 1987, 564; vom I R 167/83, BFH/NV 1987, 629). Zudem könnte im Streitfall eine Entscheidung zu dieser Rechtsfrage nicht erfolgen, da der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1994, in dem das FA Beteiligungseinkünfte endgültig geschätzt hat, bestandskräftig ist.
c) Nicht klärungsbedürftig ist die vom Kläger zuletzt aufgeworfene Rechtsfrage, da sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Dass das (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681), wonach dem Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) solange keine Feststellungsverjährung entgegen steht, als diese Feststellung für künftige Einkommensteuerfestsetzungen oder Verlustfeststellungen nach § 10d EStG von Bedeutung ist, nicht dazu führen kann, dass bestandskräftige Einkommensteuerbescheide für das Verlustentstehungsjahr unwirksam werden, ergibt sich aus dem Gesetz. Da ein Verlustfeststellungsbescheid stets nur in anderen Veranlagungszeiträumen als dem Verlustentstehungsjahr von Bedeutung sein kann, liegt es auf der Hand, dass ein Verlustfeststellungsbescheid nicht zur Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids des Verlustentstehungsjahres führen kann. Die Aufhebung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nach Eintritt der Festsetzungsverjährung kommt aus diesem Grunde ebenfalls nicht in Betracht.
2. Auch § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts kommt nur in Betracht, wenn der Streitfall Veranlassung gibt, Leitsätze zur Auslegung des Gesetzes aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 147). Im Streitfall ist eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich, da die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen im Wesentlichen geklärt sind (vgl. oben 1.) und gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung keine gewichtigen Argumente vorgetragen worden sind, die der BFH noch nicht erwogen hätte (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 41).
3. Ebenso wenig rechtfertigt § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) die Zulassung der Revision.
a) Dieser Zulassungsgrund erfasst zwar namentlich auch die Abweichung der angegriffenen Vorentscheidung von der Rechtsprechung des BFH und/oder von der Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., Rz. 49). Indes liegen die vom Kläger gerügten Divergenzen zu den von ihm bezeichneten Urteilen des BFH und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) nicht vor.
aa) Eine Divergenz der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) zum (BFHE 114, 176, BStBl II 1975, 286) liegt schon deshalb nicht vor, weil das FG eine andere Rechtsfrage zu beantworten hatte. Es hatte sich mit der Frage zu befassen, ob bei einer Ersatzzustellung die Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben wurde. Der BFH hatte hingegen das Problem zu entscheiden, ob das FA die bestrittene Bekanntgabe eines durch einfachen Brief versandten Steuerbescheids auch dann nachzuweisen hat, wenn der Mangel des Zugangs darauf beruhen kann, dass die Post den Brief mangels eines Hausbriefkastens nicht postalisch ordnungsmäßig zugefertigt hat.
bb) Auch das BVerwG hatte sich in der Entscheidung vom VII C 180.66 (BVerwGE 29, 318) mit einer anderen Rechtsfrage als das FG im Streitfall zu befassen. Das BVerwG hatte zu entscheiden, ob § 50 Abs. 4 der Postordnung vom (BGBl I 1963, 341) rechtswirksam ist. Die genannte Entscheidung enthält die Aussage, dass es dem Empfänger gewöhnlicher Briefsendungen zumutbar ist, diese dem —vom Vermieter gegen den Willen des Mieters angebrachten— Hausbriefkasten zu entnehmen, und dass der Postzusteller —wegen des vorhandenen Briefkastens— Briefe dem Empfänger nicht an die Wohnungstür bringen muss.
cc) Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Kläger die Divergenz der Entscheidung des FG zu den BFH-Urteilen vom V R 146/83 (BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370) und vom I 65/64 (BFHE 86, 646, BStBl III 1966, 605) dargelegt, also die abstrakten Rechtssätze im angefochtenen Urteil und in den (mutmaßlichen) Divergenzentscheidungen herausgearbeitet und einander gegenübergestellt hat, so dass die behauptete Abweichung erkennbar ist. Jedenfalls ist eine Abweichung des FG-Urteils zu der Entscheidung des BFH in BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370 nicht gegeben, da nach dieser Entscheidung der Rechtsstreit über die Anfechtung eines Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids in der Hauptsache erledigt ist, sobald der Umsatzsteuerjahresbescheid wirksam wird. Das BFH-Urteil in BFHE 86, 646, BStBl III 1966, 605 ist durch den Beschluss des Großen Senats des (BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730) überholt. Danach werden auch Einkommensteuervorauszahlungsbescheide durch den Jahressteuerbescheid abgelöst. Mit Ergehen des Einkommensteuerbescheids (§ 36 Abs. 1 EStG, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) ist der Vorauszahlungsbescheid i.S. des § 124 Abs. 2 AO 1977 „auf andere Weise„ erledigt und verliert dadurch seine Wirksamkeit. Frühere Entscheidungen, die durch die neuere Rechtsprechung des BFH überholt sind, können eine Divergenz nicht begründen (vgl. z.B. , BFHE 129, 313, BStBl II 1980, 211). Mit dem Beschluss vom XIII B 31/81 (BStBl II 1981, 67) kann der Kläger die Divergenz der Entscheidung des FG zur Rechtsprechung des BFH schon deshalb nicht begründen, weil es eine solche Entscheidung nicht gibt. Soweit der Kläger eine Abweichung vom (BFHE 133, 267, BStBl II 1981, 767) rügen wollte, ist auch diese Entscheidung durch den Beschluss des Großen Senats in BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730 überholt. Demzufolge teilte das FA dem Kläger im Schreiben vom —entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung— nicht mit, dass aus dem Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für das Jahr 1993 weiterhin vollstreckt werde, sondern verwies lediglich darauf, dass der Verlustfeststellungsbescheid zum keine Auswirkungen auf die festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 1993 habe.
b) Selbst wenn man mit der Beschwerdebegründung davon ausgeht, dass nach neuem Zulassungsrecht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO auch Rechtsfehler von erheblichem Gewicht ohne Rücksicht auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zur Zulassung der Revision führen können, kommt im Streitfall eine Zulassung nicht in Betracht, da sich die Rechtsauffassung des FG, die Schätzungsbescheide für die Jahre 1992 und 1994 seien nicht nichtig, als vertretbar erweist. Der Streitfall ist nicht mit dem Fall vergleichbar, der den Senatsentscheidungen vom X R 33/99 (BFH/NV 2002, 1415) und X R 34/99 (nicht veröffentlicht) zugrunde liegt. Die Besonderheit dieses Falls lag darin, dass dem den Schätzungsbescheid erlassenden FA aus einer Vielzahl von Informationen bekannt sein musste, dass der Kläger in den Streitjahren kein Einzelunternehmen führte, sondern dieses von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) übernommen worden war. Da das Schätzungsergebnis trotz der vorhandenen Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abwich und in keiner Weise erkennbar war, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden, waren die Schätzungsbescheide „objektiv willkürlich„ und damit nichtig. Ganz anders ist hingegen die Sachlage im Streitfall. Das FA übernahm in den Schätzungsbescheiden für die Jahre 1993 und 1994 die für das Jahr 1992 festgestellten Beteiligungseinkünfte des Klägers. Zu diesem Zeitpunkt lagen dem FA keinerlei Erkenntnisse darüber vor, dass die GbR durch Betriebsaufgabe beendet wurde. Zudem hat es die Beteiligungseinkünfte in dem Änderungsbescheid vom nach Eingang einer entsprechenden Mitteilung des für die GbR zuständigen Betriebsstättenfinanzamts reduziert.
4. Mit der Rüge, sein Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) sei dadurch verletzt, dass das FG seine eidesstattliche Versicherung im Klageverfahren, die Benachrichtigung über die Ersatzzustellung vom nicht erhalten zu haben, nicht als nach § 418 Abs. 2 ZPO möglichen Gegenbeweis berücksichtigt habe, kann der Kläger nicht durchdringen. Der Gegenbeweis für die in der Postzustellungsurkunde enthaltene Angabe, die Benachrichtigung wie bei gewöhnlichen Briefen üblich in den Hausbriefkasten eingelegt zu haben, kann nicht mit einer eidesstattlichen Versicherung des Inhalts, die Mitteilung nicht erhalten zu haben, geführt werden. Die Frage der Anwendbarkeit des § 418 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren ist im Streitfall zudem nicht klärungsfähig, da mit der eidesstattlichen Versicherung des Klägers kein Gegenbeweis geführt werden kann (vgl. oben).
5. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 602 Nr. 5
FAAAB-13817