Wirtschaftliches Eigentum eines Nacherben an dem von ihm errichteten Einfamilienhaus auf einem zum Nachlass gehörenden Grundstück
Gesetze: EStG § 10e; AO § 39; BGB § 2113
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) errichtete 1989 ohne weitere Vereinbarung ein Einfamilienhaus aus eigenen Mitteln auf einem Grundstück, das seinem Mündel (Frau F.) gehörte. Sie war nicht befreite Vorerbin aufgrund eines Erbvertrags, in dem der Kläger zum Nacherben, zum Testamentsvollstrecker und zum Verwalter für das Vermögen der Vorerbin bestellt worden war. Die in ihrer geistigen Entwicklung beeinträchtigte Vorerbin war nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich zu erledigen. In dem Erbvertrag hatte sich der Kläger verpflichtet sicher zu stellen, dass die Vorerbin im elterlichen Haus ihr weiteres Leben verbringen könne.
Im August 1990 wurde durch einen für die Grundstückseigentümerin bestellten Ergänzungspfleger ein lebenslanges Nießbrauchsrecht zugunsten des Klägers an dem von ihm bebauten Grundstücksteil bewilligt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) hatte sowohl den für das Jahr 1989 wie für das Jahr 1990 vom Kläger geltend gemachten Abzugsbetrag nach § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgelehnt. Der Streit um die Einkommensteuer 1989 wurde durch das Finanzgericht (FG) rechtskräftig entschieden. Der Kläger beanspruchte auch für das Streitjahr 1992 den Abzugsbetrag nach § 10e EStG vergeblich.
Im Klageverfahren brachte er vor, er sei als Nacherbe einer nicht befreiten Vorerbin wirtschaftlicher Eigentümer des von ihm errichteten Einfamilienhauses. Nach dem voraussichtlichen Geschehensablauf habe er davon ausgehen können, in Zukunft bürgerlich-rechtlicher Eigentümer zu werden. Als Vormund der Grundstückseigentümerin sei er unmittelbarer Besitzer ihres Vermögens gewesen und habe sie von jeder Einwirkung auf das Gebäude ausschließen können. Er habe das Grundstück beleihen können und hätte es —bei Mitwirkung eines Ergänzungspflegers— sogar an sich selbst veräußern können. Es sei kein von ihm selbst nicht beeinflussbarer Fall denkbar, welcher dazu geführt haben könnte, ihm die Sachherrschaft zu entziehen. Die Errichtung des Gebäudes mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts stelle keinen Missbrauch seiner Stellung als Vormund dar. Mit der Nießbrauchsbestellung sei sein wirtschaftliches Eigentum lediglich dinglich bestätigt worden, ohne dass eine Änderung der tatsächlichen Rechtsverhältnisse eingetreten sei. Spätestens mit der Eintragung seines Nießbrauchsrechts sei er wirtschaftlicher Eigentümer geworden.
Das FA vertrat im Klageverfahren die Auffassung, der Kläger habe das Gebäude weder in Ausübung eines dinglichen Rechts noch zu einem nur vorübergehenden Zweck errichtet. Daher sei die Grundstückseigentümerin auch Eigentümerin des Gebäudes geworden. Somit könnten die vom Kläger aufgewendeten Herstellungskosten nicht als Bemessungsgrundlage für § 10e EStG herangezogen werden. Daran ändere sich durch die nachträgliche Bestellung des Nießbrauchsrechts nichts. Die Stellung als Vormund und als Nacherbe begründe kein wirtschaftliches Eigentum des Klägers, weil er seine Möglichkeiten, über das Grundstück zu verfügen, nicht im eigenen Interesse, sondern nur im Interesse und für Rechnung seines Mündels hätte ausüben können.
Das FG wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 1505 veröffentlichten Urteil ab.
Der Kläger habe weder rechtliches noch wirtschaftliches Eigentum an dem Gebäude erworben. Und selbst wenn der Kläger durch die Einräumung des Nießbrauchsrechts im Jahre 1990 wirtschaftlicher Eigentümer des Gebäudes geworden wäre, käme die Steuervergünstigung nach § 10e EStG nicht in Betracht, weil der Kläger zur Erlangung dieses wirtschaftlichen Eigentums keine Anschaffungskosten getätigt habe.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt der Kläger, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1992 vom dergestalt zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Steuerbegünstigung nach § 10e EStG von 14 471 DM festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Dem Kläger steht als wirtschaftlichem Eigentümer des von ihm errichteten Gebäudes die Wohneigentumsförderung nach § 10e EStG zu.
1. Die Förderung nach § 10e Abs. 1 EStG setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung im eigenen Haus oder eine eigene Eigentumswohnung hergestellt oder angeschafft hat. Er muss Eigentümer des begünstigten Objekts sein. In Fällen, in denen zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum (hier: am Gebäude) nicht übereinstimmen, steht die Förderung dem wirtschaftlichen Eigentümer (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung —AO 1977—) zu (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2000, 1331, m.w.N.).
Wie der Senat mit Urteilen vom X R 23/99 (BFHE 196, 145, BStBl II 2002, 281), X R 15/01 (BFHE 196, 151, BStBl II 2002, 278), X R 16/99 (BFH/NV 2002, 322), und X R 111/96 (BFH/NV 2002, 173) bekräftigt hat, gelten die von der Rechtsprechung zu § 39 AO 1977 entwickelten Grundsätze zum Begriff des wirtschaftlichen Eigentums im Rahmen des § 10e EStG uneingeschränkt (, BFHE 168, 261, BStBl II 1992, 944, und vom X R 94/92, BFHE 178, 429, BStBl II 1996, 186).
2. Zutreffend hat das FG erkannt, dass der Kläger das Gebäude weder in Ausübung eines dinglichen Rechts noch zu einem vorübergehenden Zweck (§ 95 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB—) errichtet hat (§§ 93, 94, 946 BGB). Daran vermag das dem Kläger nachträglich eingeräumte Nießbrauchsrecht nichts zu ändern (vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2001, § 95 Rz. 25; Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearbeitung 1995, § 95 Rz. 18; a.A. Soergel/Mühl, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl. 1987, § 95 Rz. 19, und Michalski in Ermann, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10. Aufl., § 95 Rz. 6).
3. Der Kläger war im Streitjahr allerdings wirtschaftlicher Eigentümer des Gebäudes.
a) Wirtschaftlicher Eigentümer ist nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO 1977 derjenige, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall auf Dauer von der Einwirkung wirtschaftlich ausschließen kann. Einen wirtschaftlichen Ausschluss in diesem Sinn nimmt die Rechtsprechung an, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse kein Herausgabeanspruch besteht oder der Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat (vgl. die Nachweise in den Senatsurteilen vom X R 92/92, BFHE 182, 104, BStBl II 1998, 97, und vom X R 20/99, BFH/NV 2001, 9). Dies gilt unabhängig davon, ob das Verfügungsrecht, insbesondere das Recht zur Belastung und Veräußerung, beim zivilrechtlichen Eigentümer verbleibt. Denn entscheidend ist der wirtschaftliche Ausschluss des Eigentümers von der Einwirkung auf die Sache (vgl. , BFHE 100, 516, BStBl II 1971, 133, unter III. 1., und in BFHE 182, 104, BStBl II 1998, 97, unter 3. d, jeweils m.w.N.).
b) Im Streitfall war die zivilrechtliche Eigentümerin nach dem normalen Verlauf der Dinge unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Verhältnisse gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 von der Einwirkung auf die Sache auf Dauer wirtschaftlich ausgeschlossen. Der Kläger hatte mehr als eine ungesicherte Erwerbschance, wie sie etwa eine jederzeit widerrufliche Erbeinsetzung vermittelt (vgl. hierzu Senatsurteil vom X R 15/99, BFH/NV 2002, 175). Er besaß das Grundstück „in Erwartung des Eigentumserwerbs„ (vgl. , BFHE 114, 22, BStBl II 1975, 281).
Die zivilrechtliche Eigentümerin konnte infolge der Bestimmungen des Erbvertrags als nicht befreite Vorerbin gemäß § 2113 BGB über das Grundstück nicht verfügen. Sie stand unter der Vormundschaft des Klägers, der zugleich Testamentsvollstrecker war. Der Kläger hatte aufgrund seiner Stellung als Nacherbe der nicht befreiten Vorerbin die rechtlich gesicherte und nicht entziehbare Erwartung, nach dem normalen Verlauf der Dinge künftig selbst rechtlicher Eigentümer des Nachlasses und somit auch des von ihm —wie schon im Klageverfahren vorgebracht und nicht bestritten— mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts bebauten Grundstücks zu werden. Die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts lässt den Kläger das Gebäude auf dessen gewöhnliche Nutzungsdauer berechtigt nutzen. Auch deshalb ginge ein Herausgabeverlangen der zivilrechtlichen Eigentümerin dem Kläger gegenüber ins Leere. Seine so ausgestaltete Position führte dazu, dass ihm das im eigenen Namen und für eigene Rechnung auf dem Grundstück der Vorerbin errichtete Gebäude ab dem Zeitpunkt der Herstellung wirtschaftlich zuzurechnen war, was von diesem Zeitpunkt an die Anwendung des § 10e EStG und die Inanspruchnahme der entsprechenden Abzugsbeträge rechtfertigt.
c) Die vormundschaftsgerichtliche Zustimmung zur Errichtung des Gebäudes lässt in steuerrechtlicher Hinsicht keinen Raum für die Bedenken, die sich bei bloßer zivilrechtlicher Betrachtung aus § 1805 BGB ergeben könnten.
d) Das aus der Sicht des Klägers vorliegende Einverständnis der zivilrechtlichen Eigentümerin räumt auch die Bedenken gegen seine Handlungsweise aus, die sich daraus ergeben könnten, dass der Kläger nicht nur Nacherbe und Vormund war, sondern auch das Amt des Testamentsvollstreckers innehatte, das grundsätzlich fremdnützig ausgeübt werden muss, während sein Vorgehen vorrangig wohl dem eigenen und weniger dem Nutzen der Vorerbin diente.
4. Die Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr ist somit unter Berücksichtigung des vom Kläger beanspruchten Abzugsbetrags und ggf. von Nachholungsbeträgen nach § 10e Abs. 3 Satz 1 EStG durchzuführen.
Die Steuerberechnung wird dem FA gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 306 Nr. 3
GAAAB-13701