Leitsatz
1. Ein förmlich zuzustellender
Steuerverwaltungsakt muss dem für das Verwaltungsverfahren bestellten
Bevollmächtigten nur zugestellt werden, wenn dieser nicht nur seine
Vertretungsbefugnis angezeigt, sondern auch eine schriftliche
(Zustellungs-)Vollmacht vorgelegt hat. Ist dies nicht geschehen, liegt im
Regelfall kein Zustellungsmangel vor, wenn sich das Finanzamt für eine
Zustellung unmittelbar an den Steuerpflichtigen entscheidet.
2. Stehen ein in- und
ausländischer Haftungsschuldner zur Auswahl, so kann sich das Finanzamt
wegen der leichteren Durchsetzbarkeit auf die Inanspruchnahme des
inländischen Haftungsschuldners beschränken, ohne dies besonders
begründen zu müssen. Gleiches gilt, wenn das Finanzamt mehrere
Haftungsschuldner durch getrennte Haftungsbescheide in Anspruch nimmt und den
einzelnen Haftungsschuldnern die wechselseitige Inhaftungnahme bekannt ist, z.
B. weil sie im Rechtsbehelfsverfahren durch denselben Bevollmächtigten
vertreten waren oder sie die Vermögenslosigkeit eines nicht in Anspruch
genommenen potenziell Mithaltenden kennen.
3. Voraussetzung einer die
Erwerberhaftung nach
§ 75 Abs. 1 Satz 1 AO
auslösenden Unternehmensübereignung ist der Übergang einer
lebenden organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden
Maßnahmen, die einem Unternehmenszweck dienen oder zumindest dessen
wesentliche Betriebsgrundlagen ausmachen, so dass der Erwerber den jeweiligen
Gegenstand eines Unternehmens ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen
fortführen und damit dessen wirtschaftliche Kraft weiter nutzen kann. Dass
der Übernehmer nach der Unternehmensübereignung gegebenenfalls noch
Betriebsmittel hinzu erwirbt, ist ohne Belang, weil es für die Frage der
Erforderlichkeit haftungsausschließender zusätzlicher
Anlaufinvestitionen des Betriebsübernehmers allein auf die Sachlage im
Zeitpunkt der Unternehmensübereignung ankommt.
4. Auch die Überschuldung eines
Unternehmens schließt eine Betriebsübernehmerhaftung nicht generell
aus, weil das Unternehmen allein aufgrund seiner Überschuldung noch nicht
aufhört, als lebendes Unternehmen fortbestehen zu können. Ebenso ist
ohne Belang, ob die Betriebsübernahme in einem einzigen
Übertragungsakt oder in mehreren Teilakten erfolgt, sofern die einzelnen
Teilakte in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und der Wille auf den Erwerb
des gesamten Unternehmens und damit auf die tatsächliche Weiternutzung der
übernommenen Unternehmenssubstanz gerichtet ist, selbst wenn diese ganz
oder weitgehend im Sicherungseigentum Dritter steht.
5. Obwohl die Beschränkung der
Haftung nach
§ 75 Abs. 1 Satz 2 AO
grundsätzlich erst in der Zwangsvollstreckung und auch dann nur auf Einwendung hin
relevant wird, ist die haftungsweise Inanspruchnahme des
Betriebsübernehmers dann ermessensfehlerhaft, wenn bereits beim Erlass des
Haftungsbescheides bzw. spätestens der Einspruchsentscheidung als dem
Zeitpunkt der abschließenden Ausübung des Haftungsermessens
feststeht, dass übernommenes Vermögen, in das vollstreckt werden kann, nicht vorhanden ist.
6. Maßgebend für die
zivilrechtliche Steuerhaftung nach
§ 419 BGB ist das übernommene
Aktivvermögen des Steuerpflichtigen ohne Abzug der Schulden. Nicht zu dem
Aktivvermögen gehören dabei solche Gegenstände, die bereits mit
vorrangigen Eigentumsrechten Dritter belastet sind, weil die nachrangigen
Gläubiger in diese Gegenstände ohnehin nicht hätten vollstrecken können.
7. Auch im Falle der Steuerhaftung
nach
§ 419 BGB beschränkt sich die
Haftung des Übernehmers gemäß
§ 419 Abs. 2 Satz 1 BGB
a.F. grundsätzlich auf den vollstreckungsfähigen Bestand des übernommenen
Vermögens und eventueller Surrogate, so dass eine Haftung in Höhe des
Wertes der Haftungsmasse nicht besteht. Jedoch muss die Haftungsforderung des
Steuergläubigers auch hier ohne Erfolg bleiben, wenn die Dürftigkeit
des übernommenen Vermögens bereits im Haftungsgrundverfahren
zweifelsfrei feststeht.