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Finanzgericht des Saarlandes  v. - 1 K 111/00

Gesetze: AO § 122 Abs. 1AO § 80 Abs. 3VwZG § 8 Abs. 1 S. 2AO § 191 Abs. 1 S. 1FGO § 102AO § 75 Abs. 1 S. 1AO § 75 Abs. 1 S. 2BGB § 419 Abs. 1 a.F. BGB § 419 Abs. 2 S. 1 a.F.

Finanzamtliche Zustellung an den Steuerpflichtigen statt an Bevollmächtigten

Ausnahmen vom Begründungserfordernis bei mehreren Haftungsschuldnern

Betriebsübernehmerhaftung bei Übernehmerinvestitionen, Unternehmensüberschuldung, Betriebsübernahme in Teilakten und Drittsicherungseigentum an den wesentlichen Betriebsgrundlagen

Bedeutung der Haftungsbeschränkung des § 75 Abs. 1 Satz 2 AO

Gegenstand und Beschränkung der Haftung des Vermögensübernehmers nach § 419 BGB a.F

Umsatzsteuerhaftung des Betriebsübernehmers

Leitsatz

1. Ein förmlich zuzustellender Steuerverwaltungsakt muss dem für das Verwaltungsverfahren bestellten Bevollmächtigten nur zugestellt werden, wenn dieser nicht nur seine Vertretungsbefugnis angezeigt, sondern auch eine schriftliche (Zustellungs-)Vollmacht vorgelegt hat. Ist dies nicht geschehen, liegt im Regelfall kein Zustellungsmangel vor, wenn sich das Finanzamt für eine Zustellung unmittelbar an den Steuerpflichtigen entscheidet.

2. Stehen ein in- und ausländischer Haftungsschuldner zur Auswahl, so kann sich das Finanzamt wegen der leichteren Durchsetzbarkeit auf die Inanspruchnahme des inländischen Haftungsschuldners beschränken, ohne dies besonders begründen zu müssen. Gleiches gilt, wenn das Finanzamt mehrere Haftungsschuldner durch getrennte Haftungsbescheide in Anspruch nimmt und den einzelnen Haftungsschuldnern die wechselseitige Inhaftungnahme bekannt ist, z. B. weil sie im Rechtsbehelfsverfahren durch denselben Bevollmächtigten vertreten waren oder sie die Vermögenslosigkeit eines nicht in Anspruch genommenen potenziell Mithaltenden kennen.

3. Voraussetzung einer die Erwerberhaftung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AO auslösenden Unternehmensübereignung ist der Übergang einer lebenden organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die einem Unternehmenszweck dienen oder zumindest dessen wesentliche Betriebsgrundlagen ausmachen, so dass der Erwerber den jeweiligen Gegenstand eines Unternehmens ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen und damit dessen wirtschaftliche Kraft weiter nutzen kann. Dass der Übernehmer nach der Unternehmensübereignung gegebenenfalls noch Betriebsmittel hinzu erwirbt, ist ohne Belang, weil es für die Frage der Erforderlichkeit haftungsausschließender zusätzlicher Anlaufinvestitionen des Betriebsübernehmers allein auf die Sachlage im Zeitpunkt der Unternehmensübereignung ankommt.

4. Auch die Überschuldung eines Unternehmens schließt eine Betriebsübernehmerhaftung nicht generell aus, weil das Unternehmen allein aufgrund seiner Überschuldung noch nicht aufhört, als lebendes Unternehmen fortbestehen zu können. Ebenso ist ohne Belang, ob die Betriebsübernahme in einem einzigen Übertragungsakt oder in mehreren Teilakten erfolgt, sofern die einzelnen Teilakte in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und der Wille auf den Erwerb des gesamten Unternehmens und damit auf die tatsächliche Weiternutzung der übernommenen Unternehmenssubstanz gerichtet ist, selbst wenn diese ganz oder weitgehend im Sicherungseigentum Dritter steht.

5. Obwohl die Beschränkung der Haftung nach § 75 Abs. 1 Satz 2 AO grundsätzlich erst in der Zwangsvollstreckung und auch dann nur auf Einwendung hin relevant wird, ist die haftungsweise Inanspruchnahme des Betriebsübernehmers dann ermessensfehlerhaft, wenn bereits beim Erlass des Haftungsbescheides bzw. spätestens der Einspruchsentscheidung als dem Zeitpunkt der abschließenden Ausübung des Haftungsermessens feststeht, dass übernommenes Vermögen, in das vollstreckt werden kann, nicht vorhanden ist.

6. Maßgebend für die zivilrechtliche Steuerhaftung nach § 419 BGB ist das übernommene Aktivvermögen des Steuerpflichtigen ohne Abzug der Schulden. Nicht zu dem Aktivvermögen gehören dabei solche Gegenstände, die bereits mit vorrangigen Eigentumsrechten Dritter belastet sind, weil die nachrangigen Gläubiger in diese Gegenstände ohnehin nicht hätten vollstrecken können.

7. Auch im Falle der Steuerhaftung nach § 419 BGB beschränkt sich die Haftung des Übernehmers gemäß § 419 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. grundsätzlich auf den vollstreckungsfähigen Bestand des übernommenen Vermögens und eventueller Surrogate, so dass eine Haftung in Höhe des Wertes der Haftungsmasse nicht besteht. Jedoch muss die Haftungsforderung des Steuergläubigers auch hier ohne Erfolg bleiben, wenn die Dürftigkeit des übernommenen Vermögens bereits im Haftungsgrundverfahren zweifelsfrei feststeht.

Fundstelle(n):
RAAAB-12465

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Finanzgericht des Saarlandes v. 04.12.2001 - 1 K 111/00

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