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Grundlagen - Stand: 26.06.2023

Tatsächliche Verständigung

Alexander v. Wedelstädt

I. Definition

Nicht selten gestaltet sich die Sachverhaltsermittlung aufwendig und zeitraubend, ohne dass es letztlich trotz umfassender Mitwirkung des Steuerpflichtigen und Ermittlungen der Finanzbehörde zur zweifelsfreien Feststellung eines der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalts kommt. Folge dieser Situation sind häufig sich über Jahre hinziehende Rechtsstreite mit ungewissem Ausgang. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung für zulässig erklärt, dass durch eine sog. tatsächliche Verständigung zwischen den Beteiligten, d.h. der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen, die Annahme eines bestimmten Sachverhalts oder eine bestimmte Sachbehandlung vereinbart werden kann. Zweck der tatsächlichen Verständigung ist es, zu jedem Zeitpunkt des Besteuerungsverfahrens hinsichtlich bestimmter Sachverhalte, deren Klärung schwierig, aber zur Festsetzung der Steuer notwendig ist, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i. S. des § 88 AO einvernehmlich festzulegen und insoweit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten zu beseitigen. Die tatsächliche Verständigung dient insbesondere zur Behebung eines Beweisnotstandes des Steuerpflichtigen anstelle einer andernfalls nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO regelmäßig gebotenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Das BMF hat in einem ausführlichen Schreiben die Grundsätze dargestellt, die bei einer tatsächlichen Verständigung zu beachten sind.

II. Gegenstand der tatsächlichen Verständigung

Gegenstand der tatsächlichen Verständigung ist die zwischen den Beteiligten, also der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen, einvernehmliche Festlegung eines Sachverhalts, der der Besteuerung zugrunde gelegt werden soll. Die Vereinbarung bezieht sich auf Sachverhaltsfragen und nicht auf Rechtsfragen. Anwendungsmöglichkeiten liegen im Bereich der Schätzung, der Bewertung und der sachlichen Wertung eines Sachverhalts einschließlich der Beweiswürdigung (s. dazu u.a. von Wedelstädt in Kühn/von Wedelstädt, Vor §§ 204207 AO Rz. 15 ff. ).

Beispiele von Gegenständen von tatsächlichen Verständigungen:

  • Zuschätzungen nach Kalkulationsdifferenzen,

  • Abgrenzungen und Aufteilungen z.B. zwischen privater und betrieblicher Nutzung, zwischen steuerpflichtiger und steuerfreier oder nicht steuerbarer Einkunftssphäre, zwischen verschiedenen Einkunftsarten,

  • Angemessenheit von Geschäftsführergehältern, ferner Umfang, insbesondere der Verhältnisanteil der als angemessen anzusehenden variablen Bestandteile der Geschäftsführervergütung einer GmbH,

  • Abgrenzung zwischen Herstellungs- und Erhaltungsaufwand,

  • Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes,

  • Bewertungen wie Teilwert, Verkehrswert oder gemeiner Wert,

  • die Einigung über eine zulässige Ermessensausübung

  • die Auslegung und rechtliche Beurteilung von Vorfragen zum Sachverhalt wie z.B. die Auslegung von Verträgen oder die Angemessenheit der Geschäftsführer-Gesamtausstattung.

  • in welchem Umfang ein Unternehmer Umsätze zum Regelsteuersatz und Umsätze zum ermäßigten Steuersatz ausgeführt hat, wenn diese Aufteilung geschätzt werden muss; eine Verständigung über einen vom Gesetz abweichenden Steuersatz, die unzulässig wäre, liegt darin regelmäßig nicht.

Tatsächliche Verständigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

Liegen grenzüberschreitende Sachverhalte vor, soll das Instrument der tatsächlichen Verständigung nur zurückhaltend angewendet werden. Der BMF weist in diesem Fall auf die bestehenden Instrumente der internationalen Verwaltungszusammenarbeit, z. B. die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Betriebsprüfung, sowie insbesondere auf § 162 Abs. 2 bis 4 AO hin. In diesem Fall sollte die tatsächliche Verständigung zusätzlich auch von der (ggf. im Ausland ansässigen) Konzernspitze unterzeichnet werden.

Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 38 AO und § 85 AO) dürfen keine Vergleiche über die Steueransprüche abgeschlossen werden. Daher ist die tatsächliche Verständigung über die steuerrechtliche Beurteilung von Sachverhalten nicht zulässig.

  • zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen,

  • über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen,

  • über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften.

Ist im Rahmen einer rechtlichen Beurteilung über eine Vorfrage zum Sachverhalt zu entscheiden, ist eine tatsächliche Verständigung insoweit zulässig.

Außerdem ist eine tatsächliche Verständigung nicht zulässig, wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt (s. u. III.).

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