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BGH Beschluss v. - 3 StR 580/24

Instanzenzug: Az: 1 KLs 51 Js 1104/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit banden- und gewerbsmäßigem Handeltreiben mit neuen psychoaktiven Stoffen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat zwei Monate der verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 666.085,23 € angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch. Die erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 6 StPO bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen ohne Erfolg. Der Erörterung bedarf nur die auf Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO gestützte Verfahrensrüge.

3a) Die Revision sieht einen Verstoß gegen das Gebot, die Hauptverhandlung nicht während der Abwesenheit des Angeklagten durchzuführen, darin, dass das Landgericht dem Angeklagten auf dessen Antrag entgegen § 231c Satz 1 Halbsatz 2 StPO gestattet habe, der Hauptverhandlung an einem konkreten Tag fernzubleiben, und in diesem Termin gegen die Mitangeklagten zur Sache verhandelt habe, obwohl hierbei auch Vorgänge zur Sprache gekommen seien, welche die gegen den abwesenden Angeklagten erhobenen Vorwürfe jedenfalls mittelbar betroffen hätten.

4b) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5Mit der Anklageschrift hat die Generalstaatsanwaltschaft dem Angeklagten und ursprünglich sieben Mitangeklagten – betreffend den Angeklagten sowie vier der Mitangeklagten: bandenmäßiges – Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und neuen psychoaktiven Stoffen zur Last gelegt. Unter anderem hat der Anklagesatz dem Angeklagten eine zentrale Stellung in Bezug auf den Aufbau und die Organisation der Bande sowie die Abwicklung der verfahrensgegenständlichen Geschäfte zugeschrieben, einem weiteren Mitangeklagten – und angeblichen Bandenmitglied – die Stellung als Lieferant von zum Online-Vertrieb bestimmten sogenannten Legal-High-Produkten an die Gruppe (nachfolgend: Lieferant). Die Strafkammer hat die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

6Am 14. Hauptverhandlungstag hat die Verteidigung des Lieferanten unter anderem beantragt, einen Mitarbeiter seines (des Lieferanten) Verkäufers als Zeugen zu vernehmen zum Beweis dafür, dass der Lieferant ausschließlich bestimmte unbemakelte Produkte vertrieben habe, wohingegen die verfahrensgegenständlichen bemakelten Produkte durch einen am Verfahren nicht beteiligten Händler umgesetzt worden seien. Auf diese Weise sollte bewiesen werden, dass der Lieferant nie Teil einer Bande um den Angeklagten gewesen sei und – so der Vortrag (erst) mit der Gegenerklärung vom  – entgegen der Anklage keine dem Betäubungsmittelgesetz oder dem Neue-psychosoziale-Stoffe-Gesetz unterfallenden Substanzen an den Angeklagten veräußert habe.

7Nachdem die Strafkammer dem am Vortag des für die Zeugenvernehmung vorgesehenen Verhandlungstages gestellten Antrag des Verteidigers des Angeklagten auf Terminsaufhebung wegen dessen längerfristiger Verhandlungsunfähigkeit nicht gefolgt war, hat sie nach Verhandlungsbeginn den – abwesenden – Angeklagten auf weiteren Antrag des Verteidigers „zum heutigen Hauptverhandlungstermin gemäß § 231c StPO beurlaubt“. Der Zeuge ist zur Sache vernommen worden. Einige Tage später hat die Strafkammer wegen fortdauernder krankheitsbedingter Verhinderung des Angeklagten die Sache zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung ist weder die vorgenannte Beweisaufnahme wiederholt noch der Angeklagte über den in seiner Abwesenheit erfolgten Fortgang informiert worden.

8c) Mit dieser Verfahrensweise hat das Landgericht nicht im Sinne von § 338 Nr. 5 StPO in Abwesenheit des Angeklagten als einer Person verhandelt, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt (§ 230 Abs. 1 StPO). Dabei kann dahinstehen, ob die Strafkammer der ihr durch § 231c Satz 1 Halbsatz 2 StPO auferlegten Pflicht zur vorsichtigen Vorausschau genügt hat, ob tatsächlich auszuschließen sei, dass nicht doch Verfahrensstoff verhandelt werde, der sich – wenn auch nur mittelbar – auf den den beurlaubten Angeklagten betreffenden Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch auswirken könne (vgl. hierzu , BGHR StPO § 231c Betroffensein 5 Rn. 15 mwN). Selbst wenn sie eine inhaltlich unzutreffende oder sich als unzutreffend erweisende Prognoseentscheidung getroffen haben sollte, erfüllte dies die Voraussetzungen des § 338 Nr. 5 StPO hier nicht. Denn die Vernehmung des Zeugen war unter den gegebenen Umständen kein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung.

9aa) § 338 Nr. 5 StPO greift nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ein, wenn die Abwesenheit des Angeklagten keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung betrifft (, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 30 Rn. 19 f.; Urteil vom – 1 StR 643/09, NStZ 2011, 233 Rn. 26, 28; ferner BeckOK StPO/Gorf, 56. Ed., § 231c Rn. 17; Radtke/Hohmann/Röß, StPO, 2. Aufl., § 231c Rn. 11; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 231c Rn. 24; KK-StPO/Gmel/Peterson, 9. Aufl., § 231c Rn. 24; SK-StPO/Deiters, StPO, 6. Aufl., § 231c Rn. 22). Ob ein Verhandlungsteil als wesentlich einzuordnen ist, bestimmt sich nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang ihre sachliche Bedeutung betroffen sein kann (, NStZ 2011, 534; Beschluss vom – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87 Rn. 21 mwN). Die Einstufung als wesentlich ist nicht gerechtfertigt, wenn denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass bezüglich des Prozessgeschehens in Abwesenheit des Angeklagten sein Anspruch auf rechtliches Gehör sowie seine prozessualen Mitwirkungsrechte beeinträchtigt worden sind, und der betreffende Verhandlungsteil auch sonst das Ergebnis der Hauptverhandlung nicht im Sinne von § 261 StPO bestimmt haben kann (, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 30 Rn. 19 f.; Urteil vom – 1 StR 643/09, NStZ 2011, 233 Rn. 26, 28). Denn (erst) wenn der in Abwesenheit erörterte Verfahrensstoff die gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe nicht, auch nicht nur mittelbar (hierzu beispielsweise BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 19/13, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Verteidiger 9 Rn. 16; vom – 3 StR 535/88, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 17; vom – 1 StR 609/84, juris; vom – 1 StR 158/79, juris Rn. 1), berührt und damit keinen auch nur potentiellen Einfluss auf den ihn betreffenden Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch haben kann, ist denkgesetzlich ausgeschlossen, dass das Urteil auf der Abwesenheit während dieses Verhandlungsteils beruht (, NZWiSt 2019, 225, 226; Beschlüsse vom – 2 StR 19/13, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Verteidiger 9 Rn. 16; vom – 4 StR 250/92, BGHR StPO § 338 Beruhen 1; MüKoStPO/Arnoldi, 2. Aufl., § 231c Rn. 20; NK-StPO/Nestler, § 231c Rn. 24, 25).

10bb) Ob der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführte Verfahrensabschnitt wesentlich war im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO, hat das Revisionsgericht von sich aus zu prüfen (vgl. zu §§ 247, 338 Nr. 5 StPO , StV 1983, 3 [in NStZ 1983, 36 punktuell fehlerhaft wiedergegeben]). Maßgeblich sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls (, BGHSt 32, 100, 101). Hierbei vollzieht das Revisionsgericht nicht die Prognoseentscheidung nach § 231c Satz 1 StPO nach, sondern stellt eine Betrachtung ex post unter Berücksichtigung aller verfahrensbedeutsamen Umstände, namentlich der Beweislage, an.

11cc) An diesen Maßstäben gemessen war der Angeklagte von der in seiner Abwesenheit durchgeführten Beweisaufnahme nicht, auch nicht „potentiell“, betroffen.

12Nach den – durch Vernehmung weiterer Zeugen und Telekommunikationsüberwachung beweiswürdigend belegten – Feststellungen schloss sich der Angeklagte mit zwei anderen ehemaligen Mitangeklagten, dem für die technische Betreuung der Online-Shops zuständigen „Programmierer“ und einem als seine (des Angeklagten) „rechte Hand“ fungierenden Angestellten, nicht aber auch mit dem Lieferanten zu einer Bande im Sinne der § 30a Abs. 1 BtMG, § 4 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) NpSG zusammen. Diese bezog die gehandelten Suchtstoffe aus unterschiedlichen Quellen, unter anderem über den Lieferanten. Insoweit zielte die von dessen Verteidigung beantragte Vernehmung des Mitarbeiters seines (des Lieferanten) Verkäufers im Ergebnis darauf ab, dass der Lieferant sich der Bande um den Angeklagten schon deshalb nicht als Bezugsquelle von dem Betäubungsmittel- oder Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz unterfallenden Produkten angeschlossen haben könne, weil derartige Ware nicht von ihm, sondern – wenn auch mit seiner Absatzhilfe – von einem dritten Händler vertrieben worden und daher diesem zuzuordnen sei, wohingegen die von ihm selbst gehandelten „Eigenmarken“ dem Anwendungsbereich der vorgenannten Gesetze nicht unterfielen. Für die Tatsachenfrage, ob der Lieferant die Bande mit bemakelten Produkten belieferte, war die Beweisaufnahme mit Blick auf das anderweitig belegte Beweisergebnis zur personellen Zusammensetzung der Bande und deren Beschaffungswesen nach den Urteilsgründen nicht von Relevanz. Die sich daneben aus Sicht des – seinerseits unter anderem des täterschaftlichen Bandenhandels angeklagten – Lieferanten stellende Wertungsfrage, ob bezüglich dieser Produkte er selbst oder der dritte Händler, dessen Versandabwicklung er übernommen hatte, als Vertreiber anzusehen war, hatte auf die Strafbarkeit des Angeklagten ersichtlich keine Auswirkungen.

132. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch und zur Kompensationsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

14a) Hingegen hält der Strafausspruch revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Strafkammer hat nicht berücksichtigt, dass die am aufgefundenen Betäubungsmittel und neuen psychoaktiven Stoffe, die sie, auch soweit sie von den weiteren Beteiligten verwahrt wurden, dem Angeklagten „gem. § 25 Abs. 2 StGB […] zugerechnet“ hat (UA S. 41), aufgrund der polizeilichen Sicherstellung nicht in den Verkehr gelangt sind. Bei diesem Umstand handelt es sich – jedenfalls soweit Drogen, wie hier, zum Handeltreiben bestimmt sind – wegen des damit verbundenen Wegfalls der von den Suchtstoffen üblicherweise ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO, der sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu beachten ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 23/25, juris Rn. 4; vom – 3 StR 629/17, juris Rn. 5; jeweils mwN).

15Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer geringeren Strafe gelangt wäre, wenn es die Sicherstellung zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hätte. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem bloßen Wertungsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

16b) Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung ist nicht nachvollziehbar, wie sich der der Einziehung unterworfene anteilige Verkaufserlös von 666.085,23 €, „welcher auf inkriminierte Produkte zurückzuführen ist“ (UA S. 41), errechnet. Zugleich ist die Aussage, bei einem Gesamtumsatz „aller verfahrensgegenständlichen Internetshops von 2.498.657,47 Euro“ (UA S. 43) ergebe sich „[d]urch eine Auswertung der verkauften Produkte, die nach den zahlreichen Wirkstoffgutachten Betäubungsmittel oder neue psychoaktive Stoffe enthielten, […] ein Gesamtumsatz von mindestens 666.085,23 Euro, der auf den Verkauf dieser Produkte zurückzuführen ist“ (aaO), nicht vereinbar mit der anderweitigen Feststellung der Strafkammer, es lasse sich „nur bezogen auf den Zeitpunkt der Sicherstellungen“ nachweisen, „in welchem Umfang diese für den Verkauf vorgesehenen Produkte illegale Stoffe im Sinne des BtMG oder des NpSG enthielten“, während vorangegangene Verkäufe Produkte betroffen haben könnten, „die weder Stoffe nach dem BtMG noch dem NpSG enthielten“ (UA S. 41). Die Einziehungsanordnung ist deshalb aufzuheben.

17Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht auf umfassend neuer Grundlage eine widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

Schäfer                                 Berg                                 Erbguth

                     Kreicker                              Munk

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:200825B3STR580.24.0

Fundstelle(n):
CAAAK-07029