Instanzenzug: LG Osnabrück Az: 18 Kls 18/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten schuldig gesprochen
2der Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch „eines Kindes“, mit Herstellen „eines kinderpornografischen Inhalts, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt“, und mit sexuellem Missbrauch „eines Kindes“ ohne Körperkontakt mit dem Kind (Fall II. 4. der Urteilsgründe),
3der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch „eines Kindes“ und mit sexuellem Missbrauch „eines Kindes“ ohne Körperkontakt mit dem Kind (Fall II. 1. der Urteilsgründe),
4des sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen (Fall II. 18. der Urteilsgründe),
5des sexuellen Missbrauchs „eines Kindes“ in sechs Fällen (Fälle II. 3., 6., 7., 15., 16., 19. der Urteilsgründe), davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch „eines Kindes“ ohne Körperkontakt mit dem Kind und mit Herstellen „eines kinderpornografischen Inhalts, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt“ (Fall II. 7. der Urteilsgründe),
6des sexuellen Missbrauchs „eines Kindes“ ohne Körperkontakt mit dem Kind in sieben Fällen (Fälle II. 2., 5., 8. bis 12. der Urteilsgründe), davon in vier Fällen mit Sichverschaffen des Besitzes an „einem kinderpornografischen Inhalt“ (Fälle II. 8. bis 10., 12. der Urteilsgründe) und in einem Fall in Tateinheit mit Drittbesitzverschaffen „eines kinderpornografischen Inhalts“ (Fall II. 11. der Urteilsgründe),
7der Entziehung Minderjähriger (Fall II. 14. der Urteilsgründe),
8des Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Fall II. 13. der Urteilsgründe),
9des versuchten „Überlassens von Cannabis, wobei er als Person über 21 Jahre versuchte, Cannabis an Kinder zum unmittelbaren Verbrauch zu überlassen“ (Fall II. 17. der Urteilsgründe) sowie
10des „Einführens“ von Cannabis (Fall II. 20. der Urteilsgründe).
11Der Angeklagte ist deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. Dagegen wendet er sich mit der auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
121. In den Fällen II. 1., 4., und 7. der Urteilsgründe hat die konkurrenzrechtliche Würdigung des Landgerichts keinen Bestand.
13Allen drei Taten lag ein in sich geschlossener Ablauf im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit zugrunde, in dem es zum einen zum „Hands-on“-Geschehen gegenüber einem Kind kam, zum anderen zur Selbstbefriedigung des Angeklagten vor dem Kind (Fälle II. 1. und 4. der Urteilsgründe) beziehungsweise zum Veranlassen des Kindes zur Masturbation (Fall II. 7. der Urteilsgründe). Im Ansatz zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass der Angeklagte hierdurch jeweils sowohl einen – im Fall II. 4. der Urteilsgründe schweren – sexuellen Missbrauch von Kindern als auch einen sexuellen Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind verwirklichte. In einer solchen Fallkonstellation tritt allerdings § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB hinter den schwereren Formen des § 176 Abs. 1 Nr. 1 und des § 176c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB zurück. Dies entspricht der Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom (zu dieser s. etwa , juris Rn. 2). Allein der Umstand, dass die Begehungsformen jetzt nicht mehr in einem, sondern in unterschiedlichen Straftatbeständen normiert sind, rechtfertigt keine andere Beurteilung (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 468/23, juris Rn. 2; vom – 6 StR 376/24, juris Rn. 3; vom – 1 StR 477/24, juris Rn. 2).
14Die Schuldsprüche sind deshalb, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegt, in allen drei Fällen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin zu ändern, dass jeweils die tateinheitliche Verurteilung des sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind entfällt.
15Die drei Einzelstrafen haben gleichwohl Bestand. Denn das Landgericht hat bei der Strafzumessung sämtliche Teilakte des jeweiligen sexuellen Missbrauchs berücksichtigen dürfen (vgl. , juris Rn. 2; dazu, dass die abweichende konkurrenzrechtliche Würdigung regelmäßig nicht den Unrechts- und Schuldgehalt berührt, s. etwa , juris Rn. 21 mwN).
162. Auch das Geschehen in den sechs Fällen II. 14. bis 19. der Urteilsgründe ist konkurrenzrechtlich anders zu würdigen als im angefochtenen Urteil.
17a) Das Landgericht hat insoweit die folgenden Feststellungen getroffen, rechtlichen Würdigungen vorgenommen und Einzelstrafen verhängt:
18aa) Der Angeklagte hatte als Nicht-Angehöriger über längere Zeit ein Vertrauensverhältnis zum 13-jährigen Nebenkläger und dem gleichaltrigen weiteren Geschädigten aufgebaut, um dieses für sexuelle Handlungen auszunutzen. Am Tattag fuhr er mit beiden Kindern in die Niederlande. Die Eltern des Nebenklägers wussten hiervon nichts; sie wähnten ihren Sohn bei einem Freund. Tatsächlich übernachteten die Kinder gemeinsam mit dem Angeklagten in einem Hotelzimmer in Zutphen. Am Nachmittag des Folgetags verbrachte er sie zurück nach Deutschland (Fall II. 14. der Urteilsgründe).
19Für sich genommen rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer die Fahrt als Entziehung Minderjähriger gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewürdigt (zu den Voraussetzungen der Norm s. , StraFo 2017, 247, 248). Sie hat hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt.
20bb) Zu drei verschiedenen Gelegenheiten auf der Hin- und Rückfahrt streichelte und manipulierte der Angeklagte den bekleideten Genitalbereich des auf dem Beifahrersitz sitzenden Nebenklägers (Fälle II. 15., 16. und 19. der Urteilsgründe). Das Landgericht hat ihn deshalb des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB in drei Fällen schuldig gesprochen und ihn mit Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und drei Monaten belegt.
21cc) Im Hotel in den Niederlanden angekommen, drehte sich der Angeklagte einen „Joint“. Er forderte die Kinder auf, an diesem zu rauchen, was sie ablehnten. Im Anschluss veranlasste er das eine Kind zum Konsum größerer Mengen Alkohol, um sich spätere sexuelle Handlungen an ihm zu erleichtern, und hielt es dazu an, sich nackt schlafen zu legen (Fall II. 17. der Urteilsgründe). Dieses Geschehen hat das Landgericht als versuchtes Überlassen von Cannabis zum unmittelbaren Verbrauch nach § 34 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 KCanG gewürdigt und dabei zutreffend die Voraussetzungen des Regelbeispiels aus § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a KCanG als erfüllt angesehen (zur Tenorierung der Tatvariante im Allgemeinen s. , juris; dazu, dass das Regelbeispiel im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen ist, s. etwa BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 481/23, juris Rn. 7; vom – 5 StR 1/24, juris Rn. 5; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN). Es hat den Angeklagten deshalb zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
22dd) Als der alkoholisierte Junge schlief, manipulierte der Angeklagte an dessen nacktem Penis und bewegte den Nebenkläger dazu, es ihm gleichzutun. In der Folge zogen beide gemeinsam die Vorhaut des schlafenden Kindes vor und zurück (Fall II. 18. der Urteilsgründe). Für dieses Verhalten – vom Landgericht inhaltlich zutreffend als sexueller Missbrauch von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB in weiterer Tateinheit mit sexuellem Übergriff gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt (zur gebotenen Voranstellung des schwersten Delikts im Schuldspruch s. etwa , juris Rn. 7 mwN) – ist der Angeklagte zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
23b) Aus diesen Feststellungen folgt, dass der Angeklagte mit der Entziehung der Kinder von vorneherein den Zweck verfolgte, diese ungestört sexuell zu missbrauchen. Er verwirklichte die Taten zu II. 15., 16., 18. und 19. der Urteilsgründe deshalb nicht nur bei Gelegenheit der Fahrt in die Niederlande. Gleiches gilt für den von ihm angestrebten Marihuanakonsum der Kinder, denn dieser sollte ihm ersichtlich den sexuellen Missbrauch im Entziehungszeitraum erleichtern. Damit ergeben sich Überschneidungen in den tatbestandlichen Ausführungshandlungen – mit der Folge, dass sowohl die vier Sexualstraftaten als auch die versuchte Gebrauchsüberlassung von Cannabis mit der Entziehung Minderjähriger in Tateinheit gemäß § 52 StGB stehen (vgl. , BGHSt 18, 29, 31; Beschluss vom – 3 StR 49/89, BGHR StGB § 236 Entführen 1; Urteil vom – 4 StR 35/96, NStZ 1996, 333, 334; Beschluss vom – 1 StR 387/14, BGHSt 59, 307 Rn. 15 ff.; MüKoStGB/Wieck-Noodt, 5. Aufl., § 235 Rn. 106).
24Als Dauerdelikt ist § 235 Abs. 1 StGB grundsätzlich in der Lage, andere selbständige Taten zur Tateinheit zu verklammern, wenn sie ihrerseits mit der Entziehung Minderjähriger in Tateinheit stehen (, juris Rn. 2 mwN; LK/Krehl, StGB, 13. Aufl., § 235 StGB Rn. 134). Wenn allerdings mindestens zwei weitere, durch verschiedene Einzelakte begangene Gesetzesverstöße ein – mehr als unwesentlich – höheres Gewicht als das Entziehungsdelikt haben, stehen sie, obwohl sie mit diesem jeweils tateinheitlich zusammenfallen, in Tatmehrheit zueinander (s. zur st. Rspr. der Klammerwirkung etwa , NStZ-RR 2013, 82, 83 mwN).
25So liegt es hier. Die Entziehung Minderjähriger ist nur dem versuchten Überlassen von Cannabis zum unmittelbaren Verbrauch annähernd gleichwertig. Denn für jene Tat sieht das Gesetz selbst bei Annahme eines besonders schweren Falls nach § 34 Abs. 3 KCanG und Missachtung der möglichen Versuchsmilderung höchstens fünf Jahre Freiheitsstrafe vor.
26Dagegen ist das Entziehungsdelikt nicht geeignet, die vier Fälle des Kindesmissbrauchs zu einer Tat im materiellrechtlichen Sinne zu verklammern. Denn die Strafbarkeit nach § 176 Abs. 1 StGB mit dem Strafrahmen von einem bis 15 Jahren Freiheitsstrafe wiegt signifikant schwerer als diejenige nach § 235 Abs. 1 StGB, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht. Folglich verbleibt es bei vier tatmehrheitlichen Fällen des (in Fall II. 18. der Urteilsgründe unter anderem) sexuellen Missbrauchs von Kindern, die ihrerseits jeweils in Tateinheit mit der Entziehung Minderjähriger und dem versuchten Überlassen von Cannabis zum unmittelbaren Verbrauch stehen.
27In diesem Sinne ist der Schuldspruch ebenfalls nach § 354 Abs. 1 StPO analog zu ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.
28c) Für das beschriebene Gesamtgeschehen „Niederlande“ haben danach die Einzelstrafen aus den Fällen II. 15., 16., 18. und 19. der Urteilsgründe Bestand, während diejenigen zu den Taten II. 14. und 17. der Urteilsgründe infolge der Schuldspruchänderung entfallen. Deshalb kann dahinstehen, dass die vom Landgericht für die versuchte Gebrauchsüberlassung von Cannabis verhängte Freiheitsstrafe auch für sich genommen Rechtsfehler dahin aufweist, dass weder ein Entfallen der Regelwirkung aufgrund des vertypten Milderungsgrunds des Versuchs noch die Voraussetzungen von § 47 StGB geprüft worden sind.
29Die Gesamtstrafe kann trotz der beiden entfallenden Einzelstrafen bestehen bleiben. Angesichts der Einsatzstrafe von vier Jahren Freiheitsstrafe und weiterer insgesamt 17 Einzelstrafen, darunter eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, eine solche von zwei Jahren und andere zehn, die ein Jahr erreichen oder überschreiten, ist auszuschließen, dass das Landgericht ohne die Einzelstrafen in den Fällen II. 14. und 17. der Urteilsgründe auf eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte. Am Unrechts- und Schuldgehalt des Geschehens hat sich durch das modifizierte Konkurrenzverhältnis ohnehin nichts geändert.
303. Im Übrigen weisen die rechtlichen Würdigungen der Strafkammer keinen Rechtsfehler auf. Insoweit hat der Schuldspruch lediglich eine teilweise sprachliche Neufassung erfahren. Zum einen empfiehlt es sich, das im Vergleich zu den anderen verwirklichten Tatbeständen schwerste Delikt an den Anfang zu stellen (s.o. unter 2. a) dd)), auch innerhalb einer Tat, die mehrere in Tateinheit begangene Straftatbestände aufweist. Zum anderen ist nunmehr die Bezeichnung der Tatbestände an die gesetzlichen Überschriften von § 176 und § 176a StGB angepasst (s. etwa , juris Rn. 2) sowie an diejenige von § 184b StGB (vgl. etwa , juris „Tenor“ und Rn. 3).
314. Der bloß geringfügige Erfolg der Revision des Angeklagten lässt es nicht unbillig erscheinen, ihn mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Schäfer Berg Erbguth
Kreicker Munk
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:281025B3STR418.25.0
Fundstelle(n):
GAAAK-06770