Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 5 S 268/23 Urteil
Gründe
1Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
21. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
3Nach der genannten Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes ( 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Divergenzgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom - 4 B 9.24 - BauR 2025, 208 <208 f.>). Das leistet die Beschwerde nicht.
4Die Beschwerde macht eine Abweichung von einem 8 C 46.91 - (BVerwGE 92, 8 S. 14 f.) sowie Entscheidungen des beschließenden Senats vom - 4 BN 15.99 - (NVwZ 1999, 1338 <1339>, vom - 4 BN 48.99 - (ZfBR 2000, 274 <274>) und vom - 4 CN 14.00 - (BVerwGE 116, 144 <147 f.>) geltend, die sich zur Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verhalten. Sie benennt aber keinen abstrakten Rechtssatz aus dem angegriffenen Urteil, mit dem sich die Vorinstanz zu einem Rechtssatz aus diesen Entscheidungen in Widerspruch gesetzt hätte.
5Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Prüfung die Rechtsprechung des Senats zugrunde gelegt, wonach ein Bebauungsplan i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich sein kann, der es der Gemeinde im Vorgriff auf künftige Entwicklungen ermöglichen soll, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die sich zwar noch nicht konkret abzeichnet, aber bei vorausschauender Betrachtung in einem absehbaren Zeitraum erwartet werden kann (vgl. UA S. 13). Daran hat er seine Prüfung ausgerichtet. Entgegen der Beschwerde lässt sich den weiteren Ausführungen im Normenkontrollurteil auf Seite 14 kein abstrakter Rechtssatz mit dem Inhalt entnehmen, dass für die Erforderlichkeit einer Festsetzung gemäß § 1 Abs. 3 BauGB die Gewährleistung einer Planumsetzung für die Zukunft bei einer Planungsperspektive von mehreren Jahrzehnten sowie die Überlegung ausreichen kann, dass der Bedarf, der Anlass für die Planung war, möglicherweise künftig wegfällt. Der Verwaltungsgerichtshof ist dem Vorbringen der Antragstellerin, die Festsetzung als allgemeines Wohngebiet sei eine unzulässige Vorratsplanung, weil andere Nutzungen als die geplante Kindertageseinrichtung nicht absehbar seien, nicht gefolgt. Diese Festsetzung schaffe zum einen das Baurecht für eine Kindertageseinrichtung, für die eine absehbare Bedarfslage bestehe, und ermögliche zum anderen die ausdrücklich gewollte zukünftige Nutzungsmischung.
6Die anschließenden Ausführungen, die Festsetzung gewährleiste bei einer Planungsperspektive von mehreren Jahrzehnten eine Planumsetzung für die Zukunft, sind Teil der tatrichterlichen Würdigung, dass die städtebauliche Ordnungsfunktion des Plans wegen der Festsetzung allgemeines Wohngebiet - anders als bei der von der Antragstellerin geforderten Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB - selbst dann langfristig gewährleistet sei, wenn die Kindertagesstätte wider Erwarten nicht realisiert werden oder ihr Bedarf künftig wegfallen sollte. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Festsetzung allgemeines Wohngebiet deshalb sowohl im Zeitpunkt des Planerlasses als auch für die Zukunft erforderlich. Die Beschwerde hält diese Auffassung für fehlerhaft, weil die Festsetzung eine unzulässige Vorratsplanung sei. Damit rügt sie der Sache nach aber nur eine fehlerhafte Anwendung von Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts. Das reicht zur Darlegung einer Divergenz nicht aus (stRspr, vgl. 4 BN 25.24 - ZfBR 2025, 475 Rn. 10).
72. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
8Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4 und vom - 4 BN 6.22 - BRS 90 Nr. 195 S. 1505).
9Die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob der theoretische bzw. in zeitlicher Hinsicht nicht konkretisierte Wegfall einer bauplanerisch konkret ins Auge gefassten Nutzungsmöglichkeit (hier: Gemeinbedarfseinrichtung in Form einer Kindertagesstätte) die Gemeinde nach § 1 Abs. 3 BauGB berechtigt, bereits eine darüber hinausgehende Festsetzung (hier: Allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO mit einem unwesentlich eingeschränktem Nutzungsspektrum) unter Berufung darauf zu treffen, dadurch bleibe ihr ein "weiteres, aufwändiges Bebauungsplanverfahren" erspart,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
10Soweit sie auf einen verallgemeinerungsfähigen Kern zurückgeführt werden kann, ist sie in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt. Danach steht es grundsätzlich im planerischen Ermessen der Gemeinde, welchen Festsetzungstyp (Baugebietsfestsetzung nach der BauNVO oder anderweitige Flächenfestsetzung nach § 9 BauGB) sie bei ihrer Bauleitplanung verwendet. Entscheidend ist allein, ob das gesetzte Planungsziel mit dem gewählten Instrumentarium erreicht werden kann. Dabei sind die sich aus dem materiellen Planungsrecht (§ 1 Abs. 3 und 7 BauGB) ergebenden Bindungen zu beachten (vgl. 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 <8 f.>; Beschluss vom - 4 BN 23.97 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 86 S. 42). Davon ist die Vorinstanz ausgegangen (UA S. 14).
113. Die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen, greift nicht durch.
12(Angebliche) Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts, die dem Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügen muss, sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Die Grenzen der Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung sind mit der Folge des Vorliegens eines Verfahrensfehlers erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (stRspr, vgl. 4 BN 6.24 - juris Rn. 3 m. w. N.).
13Einen solchen Mangel legt die Beschwerde nicht dar. Sie macht geltend, für die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, "der künftige Wegfall des Bedarfs für eine Kindertagesstätte stelle gerade im Hinblick auf die Kleinkindbetreuung ein realistisches Szenario dar", fehle es an jeglichen Anhaltspunkten. Diese Ausführungen stünden zudem in offenem Widerspruch zu der vom Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf eine von der Antragsgegnerin vorgelegte Gemeinderatsdrucksache von 2021 angenommenen absehbaren Bedarfslage, die durch den in der mündlichen Verhandlung zu den Akten gereichten "Kita-Bericht 2022" der Antragsgegnerin unterstrichen werde.
14Das führt nicht auf einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz. Die Aussagen der Vorinstanz zur absehbaren Bedarfslage und ihrem künftigen Wegfall widersprechen sich nicht. Sie beziehen sich auf unterschiedliche Zeitpunkte, zum einen auf den Bedarf für eine Kindertageseinrichtung bei Beschlussfassung über den Plan und zum anderen auf dessen möglichen Wegfall in der Zukunft. Mit der Formulierung, der künftige Wegfall des Bedarfs sei ein realistisches Szenario, bringt die Vorinstanz zum Ausdruck, dass der Bedarf für Kindertageseinrichtungen nicht statisch und deshalb prognostisch auch ein Wegfall des Bedarfs für die Einrichtung möglich ist. Sie verhält sich aber nicht dazu, wann dieses Szenario voraussichtlich eintreten wird. Hierauf kam es nach der für das Vorliegen eines Verfahrensmangels maßgeblichen Rechtsauffassung der Vorinstanz (stRspr, vgl. 4 B 24.24 - juris Rn. 4 m. w. N.) entscheidungserheblich nicht an. Aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofs hat der mögliche künftige Wegfall des Bedarfs für eine Kindertagesstätte keine Bedeutung für die Erforderlichkeit, weil das Plangebiet auch anderen Nutzungen offensteht und der Bebauungsplan seine städtebauliche Ordnungsfunktion im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB daher auch in diesem Fall weiterhin erfüllen könne (UA S. 14). Davon ausgehend bestand für den Verwaltungsgerichtshof kein Anlass, der Frage der konkreten Bedarfsentwicklung in der Zukunft näher nachzugehen.
15Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:061125B4BN2.25.0
Fundstelle(n):
ZAAAK-06486