Instanzenzug: Az: 27 KLs 21/24
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
21. Nach den Feststellungen beging der Beschuldigte im Zustand der Schuldunfähigkeit folgende Taten:
3Am kam es in der Einrichtung, in der der Beschuldigte ein Zimmer bewohnte, zwischen ihm und anderen Bewohnern zu einer Auseinandersetzung, anlässlich derer der Beschuldigte etwas kaputtschlug. Gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten, die die Situation durch eine deeskalierende Ansprache aufzulösen versuchten, äußerte der Beschuldigte, dass er mit ihnen nicht sprechen wolle, zog sich in sein Zimmer zurück und hielt sie mit einem hölzernen Stock auf Distanz (Fall IV.1. der Urteilsgründe).
4Am hielt sich der Beschuldigte in der Nähe eines Imbisses auf und gab lautstarke Äußerungen von sich, wodurch sich ein Stammkunde gestört fühlte. Er forderte den Beschuldigten auf, ruhig zu sein, woraufhin der Beschuldigte ein Messer mit einer etwa 8,5 Zentimeter langen Klinge aus seinem Rucksack hervorholte und dem Geschädigten drohend in einem Abstand von etwa zwei Metern sichtbar vorhielt. Der Geschädigte, der sich hierdurch bedroht fühlte, ergriff eine Holzlatte und ging auf den Beschuldigten zu, der daraufhin das Messer einsteckte und sich vom Tatort entfernte (Fall IV.2. der Urteilsgründe).
5Am gegen 03:10 Uhr wurden eine 18-Jährige und eine 14-Jährige vor dem E. Bahnhof auf den Beschuldigten aufmerksam, der laut schreiend umherlief, sein Oberteil vom Körper riss und mit nacktem Oberkörper auf sie zukam. Seine Hose war heruntergerutscht, sodass ein Teil seines Gesäßes zu sehen war. Der Beschuldigte fragte nach Feuer, was die Geschädigten verneinten. Er begann sodann, die beiden zu beleidigen, zerschlug eine Glasflasche an einem Metallgeländer und hielt ihnen den scharfrandigen Glasflaschenstumpf im Abstand von ca. 50 bis 100 Zentimeter im Hals- und Brustbereich vor. Hierbei kündigte er an, sie „abstechen" zu wollen. Sodann näherte er sich beiden in der Absicht, sie zu küssen; zu einem Körperkontakt zwischen ihm und den Geschädigten kam es nicht.
6Nach Eintreffen der hinzugerufenen Polizeibeamten ging der Beschuldigte schreiend auf diese zu, begab sich in eine Liegestützposition und äußerte, er sei CIA-Agent und gehöre den „Marine Corps“ an. Auch erklärte er, er sei Russe und/ oder Mitglied einer „polnischen Anti-Kinderesser-Bewegung". Der Beschuldigte stand bei der Tat unter Einfluss von Amphetamin, Cannabis und Alkohol. Seine Blutalkoholkonzentration betrug 1,6 Promille (Fall IV.3. der Urteilsgründe).
7Am belästigte der Beschuldigte Passanten und warf mit Glasflaschen um sich. Als ihn die hinzugerufenen Polizeibeamten ansprachen, reagierte er zunächst nicht und wollte sich entfernen. Aus dem Griff eines Polizeibeamten riss er sich los, hob seine Faust und drohte zuzuschlagen. Unter Einsatz eines Diensthunds konnte der Beschuldigte schließlich fixiert werden (Fall IV.4. der Urteilsgründe).
8Das Landgericht hat die Fälle IV.1. und IV.4. der Urteilsgründe rechtlich als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte durch Drohung mit Gewalt (§ 113 Abs. 1 und 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) und die Fälle IV.2. und IV.3. der Urteilsgründe jeweils als Bedrohung (§ 241 Abs. 1 StGB bzw. § 241 Abs. 2 StGB), im Fall IV.3. der Urteilsgründe tateinheitlich mit Beleidigung (§ 185 StGB), bewertet. Aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie sei die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in jedem Einzelfall unter dem Eindruck akuten psychotischen Wahnerlebens vollständig aufgehoben gewesen.
92. Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil sich die Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Gefährlichkeit des Beschuldigten als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweisen.
10a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 594/16, BGHR StGB § 63 Anordnung 2 Rn. 3, und vom – 1 StR 525/24, Rn. 8, jeweils mwN). Ob die Schuldfähigkeit zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist prinzipiell mehrstufig zu prüfen (, StV 2025, 382, 383 Rn. 7 mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. , Rn. 11 mwN). Das Tatgericht hat vielmehr mithilfe eines Sachverständigen festzustellen, welchen Ausprägungsgrad und welchen Einfluss die diagnostizierte Störung auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters hat. Seine psychische Funktionsfähigkeit muss durch das psychosoziale Verhaltensmuster bei Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Um dies zu begründen, bedarf es einer konkretisierenden und widerspruchsfreien Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (vgl. , NStZ-RR 2017, 165 f.; Beschlüsse vom – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; vom – 2 StR 114/20, Rn. 5 und 9, und vom – 5 StR 532/22, NStZ-RR 2023, 136 f.).
11b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Es fehlt an einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat.
12Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
„Die Annahme der Sachverständigen, der sich die Kammer anschließt, dass ‚der Beschuldigte die jeweiligen Tatopfer in realitätsverkennender Weise in sein krankheitsbedingtes paranoides Verfolgungsdenken aufgenommen habe und sich daher zur jeweiligen Tatbegehung berechtigt gefühlt habe‘ […], ist nicht konsistent mit den im Urteil geschilderten konkreten Tatmotivationen des Beschuldigten.
Hinsichtlich des Fall[s] 1 führt das Urteil aus, dass der Beschuldigte lediglich nicht mit den herbeigerufenen Polizeibeamten sprechen und diese mittels eines Stocks auf Distanz halten wollte […]. Im Hinblick auf Fall 2 stellt das Urteil allein fest, dass der Beschuldigte dem Zeugen B. gegenüber drohende Gebärden mit einem Messer machte, nachdem dieser ihn aufgefordert hatte, ruhig zu sein […]. Nach den Feststellungen zu Fall 3 sprach der Beschuldigte die Zeuginnen an, um ‚Feuer‘ zu erhalten[,] und fing sodann an, diese zu beleidigen, als sie ihm kein ‚Feuer‘ geben konnten. Als die Zeugin Br. versuchte, sich ihm zu nähern, um ihn zur Rede zu stellen, bedrohte der Beschuldigte die Zeuginnen mit einer abgeschlagenen Glasflasche […]. Zwar habe der Beschuldigte später im Rahmen der Festnahme gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten geäußert, ‚CIA-Agent‘, Mitglied der ‚Marine Corps‘, ‚Russe‘ und ‚Mitglied einer polnischen Anti-Kinderfresser-Bewegung‘ zu sein […]. Ob und inwieweit sich diese Vorstellungen des Beschuldigten jedoch bereits im Rahmen der Handlungen gegenüber den beiden Zeuginnen ausgewirkt haben, hat die Kammer indes nicht erörtert. Letztlich legen auch die Feststellungen zu Fall 4 bisher allein dar, dass sich der Beschuldigte der weiteren polizeilichen Maßnahmen durch sein Verhalten den eingesetzten Polizeibeamten gegenüber entziehen wollte […]. Dass und unter welchen konkreten Wahn- und Verfolgungsvorstellungen der Beschuldigte in den jeweiligen Tatsituationen gelitten hat, wird in den Urteilsgründen nicht näher dargelegt, insbesondere nicht, dass er sich im Zusammenhang mit den konkreten Taten realitätsfremde Umstände vorstellte, die ihn zu den Handlungen veranlasst haben könnten. Die Bekundung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung, er habe die Zeuginnen in Fall 3 ‚angegriffen‘ […], deutet vielmehr darauf hin, dass er sich selbst als Aggressor wahrgenommen und nicht akut verfolgt gefühlt hat.
Schließlich verhält sich das Urteil nicht dazu, ob sich die Taten des Beschuldigten auch normalpsychologisch erklären lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 525/24 -, BeckRS 2025, 4485; vom - 5 StR 532/22 -, NStZ-RR 2023, 136). Dies hätte sich jedoch insbesondere bei den Widerstandshandlungen gegenüber Vollstreckungsbeamten (Fälle 1 und 4) aufgedrängt. Denn sie lassen sich jeweils auch damit erklären, dass der Beschuldigte sich schlichtweg keiner polizeilichen Maßnahme unterziehen lassen wollte, und sind damit zwanglos auch mit dem Verhalten eines in seiner Schuldfähigkeit nicht beeinträchtigten Beschuldigten in Einklang [zu] bringen. […]“
13c) Ungeachtet dessen lassen die Erwägungen der Strafkammer zur Gefährlichkeitsprognose die gebotene Gesamtwürdigung vermissen.
14Danach muss das Tatgericht neben der Würdigung der den Anlass des Verfahrens gebenden strafbewehrten Handlungen die Gesamtpersönlichkeit des Täters, insbesondere die Art seiner Erkrankung, sein ganzes Vorleben, seine allgemeinen Lebensbedingungen und alle sonst in Frage kommenden maßgeblichen Umstände berücksichtigen (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2024, 305, 306 mwN).
15Zwar hat die Strafkammer gesehen, dass der zur Tatzeit 38-jährige Beschuldigte bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Die gleichwohl attestierte negative Prognose hätte jedoch im Hinblick auf die Indizwirkung seiner Unbescholtenheit trotz jahrelang bestehender Erkrankung näherer Begründung bedurft (vgl. , NStZ 2015, 387, 388; Beschluss vom – 2 StR 54/20, NStZ-RR 2020, 274, 275). Hierbei hätte sich die Strafkammer mit der erörterungsbedürftigen Besonderheit befassen müssen, dass der Beschuldigte die Taten unter IV.2. bis IV.4. der Urteilsgründe zu einer Zeit beging, als er seine Unterkunft in einer betreuten Wohneinrichtung – und somit soziale Strukturen – endgültig verloren hatte und obdachlos auf der Straße lebte, während er zuvor stets in einem betreuten Wohnen oder einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht gewesen war.
16d) Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht das Urteil, da nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer bei einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Prüfung der §§ 20, 21 StGB die Schuldfähigkeit des Beschuldigten anders beurteilt bzw. auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Gefährlichkeitsprognose von einer Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen hätte.
173. Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die Feststellungen mit auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellungen zu ermöglichen. Sollte das Sicherungsverfahren in das Strafverfahren überzuleiten sein, wird der neue Tatrichter § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO zu beachten haben (vgl. , Rn. 13).
Menges Zeng Grube
Zimmermann Herold
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:090925B2STR354.25.0
Fundstelle(n):
NAAAK-05693